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1860 MünchenWahnsinn, aber normal

Der TSV 1860 München geht mit einem guten Kader in die neue Saison der dritten Liga und träumt vom Aufstieg. Der verhasste Investor bleibt aber.

Konstanz in der Kurve: die große Fahne mit durchgestrichenem Konterfei von Investor Ismaik Foto: imago

Rund 40 Menschen sind zum Training des TSV 1860 München gekommen, darunter zwei Männer mittleren Alters, die um halb elf Uhr morgens vor der Wirtshütte Löwenstüberl einen Stehtisch mit Bierflaschen in Beschlag genommen haben. Drinnen schaut der Meisterlöwe Rudi Brunnenmeier gemeinsam mit Franz Beckenbauer von einem Schwarzweißfoto. Draußen filmt ein älterer Herr, wie die Spieler aus der Kabine an ihm vorbei auf den Platz laufen. Seine Jacke und seine Handy­hülle weisen ihn als Löwenfan aus. Warum die Anhänger vor allem gekommen sind, wird deutlich, als Kevin Volland auf dem Weg zum Rasen mehrere Autogramm- und Selfiewünsche erfüllen muss.

Als der Offensivspieler auf sein Tor von der Mittellinie beim 4:0 im letzten Test beim Zweitliga-Absteiger Regensburg angesprochen wird, sagt er: „Freitag wär’s mir lieber.“ Gemeint ist das Auftaktspiel in der dritten Liga bei Rot-Weiss Essen. Kurz darauf geht auch Florian Niederlechner Richtung Trainingsplatz. Ein alter Bekannter fängt ihn mit seinem Nachwuchs ab und fragt: „Mogst schnell a Buidl machen?“ Niederlechner bleibt stehen: „Hey, habe die Ehre.“ So viel Zeit muss sein.

Was da kurz vor Saisonbeginn zu beobachten war, zeigte allerdings nur die eine Seite der Löwen. Zu sehen waren die Fannähe und die Vorfreude auf eine Spielzeit, an deren Ende der Aufstieg in die zweite Liga nach neun Jahren in der Viert- und Drittklassigkeit stehen soll. Die Hoffnungen darauf sind nicht nur wegen der beiden prominenten Rückkehrer Volland und Niederlechner groß, die zuletzt bei Union und Hertha in Berlin unter Vertrag standen. Auch andere wie Innenverteidiger Siemen Voet, der für Slovan Bratislava drei Partien in der Cham­pions League absolviert hat, und Torwart Thomas Dähne gelten als vielversprechende Verstärkungen. Überhaupt wird der Kader als einer der besten der Liga eingeschätzt.

Aufstiegsfavorit

Bei einer Trainerumfrage zu den Aufstiegsfavoriten entfielen die meisten Stimmen auf 1860, gefolgt von Hansa Rostock. In umgekehrter Reihenfolge verfügen beide Teams über die höchsten Kadermarktwerte, auch die Wettanbieter sehen sie ganz vorn. Der frühere Nationalspieler Volland äußert zumindest das Ziel, oben mitspielen zu wollen. „Wir haben einen sehr guten Kader mit viel Qualität“, sagt Volland, aber es sei verfrüht, „das Wort Aufstieg in den Mund zu nehmen“.

Es sind ja auch nur Namen, Zahlen und Prognosen, die für viel Zuversicht sorgen. Ob diese gerechtfertigt ist, muss abgewartet werden – vor allem wegen der speziellen Umstände bei den Münchnern. Denn der Verein ist jederzeit in der Lage, sich mit seinem Hang zum Dilettantismus ins Chaos zu stürzen. Das ist die andere Seite. Die hatte sich zuletzt mal wieder aufs Eindrücklichste gezeigt. Das lag daran, dass der TSV 1860 verkündet hatte, eine „hochseriö­se“ Schweizer Familien­holding werde die Anteile des jordanischen Investors Hasan Ismaik übernehmen. Mehr als 50 Millionen Euro seien als Kaufpreis vereinbart worden, zudem sollten alle Schulden getilgt werden. Und der neue Eigner soll sich, wie es hieß, für weitere Herzenswünsche der Löwen einsetzen, darunter für den Ausbau des traditionsreichen Grünwalder Stadions.

Lähmende Auseinandersetzungen

All die den Verein seit Jahren lähmenden Auseinandersetzungen zwischen Investor und Mutterverein schienen sich in Wohlgefallen aufzulösen. Nach der Nachricht von Ismaiks Verkauf veranstalteten Ultras spontan ein Freuden-Feuerwerk im Stadtteil Giesing, wo der Klub zu Hause ist und wo er seine treuesten Fans hat. Es herrschte eine Stimmung, als sei der Verein nach einem jahrelangen Albtraum plötzlich von einem Prinzen wachgeküsst worden. Doch der vermeintliche Retter, der Deutsche Matthias Thoma, zahlte nie. Stattdessen entpuppte er sich als Kopf der Briefkastenfirma „Helvetic Corporate Finance SA“ mit Anschrift in Genf. Ganz offensichtlich war der Kaufinteressent nie wirklich überprüft worden, weder von Ismaiks Seite noch vom Verein.

Am 20. Juli trat Ismaik vom Vertrag zurück und blieb als Investor. Sein vermeintlicher Abschied hatte sich in Rauch aufgelöst wie die Bengalos der feiernden Ultras. Die ganze Geschichte wirkt immer noch wie ein unglaubliches Märchen aus 1859 und einer Nacht. Doch mit einer irren Volte und Pointe ist es bei den Sechzgern selten getan. Sie changieren gefühlt ständig zwischen Löwenzahn und Pusteblume. Deshalb passte es ins Bild, dass Ismaik vier Tage vor dem Ligastart nach dem gescheiterten Verkauf mit seiner Entourage vergnügt aufs Vereinsgelände lief und dabei das neue Heimtrikot mit der Rückennummer 60 und dem Namen Hasan trug. Damit sah er mehr nach Maskottchen denn nach Investor aus.

Alle drei Aufsichtsräte zur Abberufung freigegeben

Zum erstaunlichen Gesamteindruck trug bei, dass Ismaik alle drei Aufsichtsräte, die ihn bisher im sechsköpfigen Gremium vertraten, nach dem gescheiterten Anteilsverkauf zur Abberufung freigab, darunter seinen Bruder Yahya sowie seinen Anwalt Andrew Livingston. Zugleich verkündete Ismaik, dass dafür künftig unter anderem Herbert Bergmaier für ihn im Aufsichtsrat sitzen soll. Bergmaier hatte sich lange als Chef der sehr investorkritischen Fanorganisation Pro1860 entschieden für die Belange des Vereins eingesetzt. Ismaik hatte Bergmaier noch vor einem Jahr öffentlich als „Ideologen“ beschimpft.

Das Erstaunen über diese Personalie war zunächst groß. Doch offenbar verstehen sich Ismaik und Bergmaier seit einer Zusammenkunft im vergangenen Sommer samt Besuch einer Anlage für Sportschützen ganz gut. Vor allem aber möchte Ismaik mit der Personalie wohl den Verkauf seiner Anteile vorantreiben. Bergmaier könnte ihm nützlich sein, als Mittler zum e. V. und auch zur Stadt, mit der der angedachte Stadionausbau geklärt werden muss. Münchens Olympiapläne für frühestens 2036 könnten sich bei diesem Dauerthema als hilfreich erweisen, hoffen sie bei den Löwen. In den ersten Plänen ist das Grünwalder Stadion für die Wett­bewerbe im 7er-Rugby vorgesehen.

Kaum nachvollziehbar

All die erstaunlichen Wendungen bei 1860 sind für Außenstehende kaum nachvollziehbar. Uli Kellner hat sie seit 1996 alle miterlebt. Seither schreibt der 54-Jährige für den Münchner Merkur über die Löwen. Damit ist er der dienstälteste Reporter aller Medien, die regelmäßig über den Verein berichten. Und Kellner findet, dass die jüngsten und sehr dubiosen Ereignisse mit dem geplatzten Verkauf von Ismaiks Anteilen gar nicht so besonders sind zwischen all den anderen kuriosen Löwen-Geschichten der vergangenen Jahrzehnte. Er sagt: „Das ist nicht mal das Krasseste. Das ist der ganz normale Wahnsinn.“

Auch einen vollmundig angekündigten und geplatzten Investorendeal hatte es ja schon einmal gegeben bei 1860, als 2009 die Berliner Immobiliengruppe Schwarzer einsteigen wollte. Allein in die Zeit seit Ismaiks Einstieg 2011 fallen viele sonderbare Vorkommnisse, Anekdoten und auch folgenschwere Entscheidungen. Darunter jene, nach dem sportlichen Abstieg aus der zweiten Liga 2017 das für die Lizenz nötige Geld zu verweigern, weshalb 1860 in die vierte Liga abrutschte. Dabei war Ismaik vor 14 Jahren mit dem Ziel beim damaligen Zweitligisten TSV 1860 eingestiegen, auf Sicht mit dem FC Bayern zu konkurrieren. Ismaik träumte von der Champions League und davon, aus den Sechzgern „einen der besten Vereine Europas zu machen“.

Finanzloch von 5 Millionen Euro

Auch von einem neuen, eigenen Stadion sprach er. Angeschlossen sein sollte daran ein Zoo mit echten Löwen, benannt nach früheren 1860-Spielern. Diese Fantasie trug Ismaik vor, nachdem der chronisch klamme TSV nach dem Zwangsabstieg in die Regionalliga aus der gemeinsam mit dem FC Bayern errichteten Arena ausgezogen war. Die Anteile daran waren bereits 2006 für gerade einmal 11 Millionen Euro verkauft worden.

Jetzt soll es endlich wieder aufwärts gehen, trotz der jüngsten Chaostage. Doch die nächsten drohen schon, weil noch im Herbst ein Finanzloch von rund 5 Millionen Euro zu befürchten ist. Dabei geht es um die sogenannte Fortführungsprognose, wenn bei einer Wirtschaftsprüfung geklärt wird, ob und wie die verschuldete Profifußball-KGaA die notorische Unter­deckung bedienen könnte. Auch deshalb könnte Ismaik auf einen Verkauf drängen. Andernfalls müsste er wohl wieder aushelfen und das Loch mit seinem Geld stopfen. Insgesamt soll er bereits einen hohen zweistelligen Millionenbetrag in den TSV gesteckt haben.

Die Hoffnung auf Besserung hat sich bei den Löwen immer wieder als trügerisch erwiesen. Der neue Präsident Gernot Mang will, dass sich das ändert. Er setzt sich für ein Miteinander von e. V. und Investorenseite ein. Das über viele Jahre öffentlich ausgelebte Gegeneinander sei „fast Kindergarten­niveau und muss aufhören“, fordert der 57-Jährige.

Kader aufstiegstauglich

Einer der 40 Zuschauer beim Training der Löwen kurz vor dem Auftakt der dritten Liga ist Vitus Eicher. Für den TSV 1860 hat der 34 Jahre alte Torwart 17 Jahre lang gespielt, ehe er zuletzt beim 1. FC Heidenheim unter Vertrag stand. Sogar seinen Zivildienst hatte er im Nachwuchsleistungszentrum der Löwen geleistet und damals unter anderem Kevin Vol­land betreut. Später spielte er mit ihm bei den Profis, zuvor hatte er mit Florian Niederlechner in der 1860-Jugend gekickt.

Eicher ist guter Dinge, dass die beiden langjährigen Bundesligaspieler einiges bewegen können und der Kader aufstiegstauglich ist. Aber er erinnert sich auch an Zeiten, als die Euphorie schon mal groß war bei den Löwen. Wie 2014, als der damalige Trainer Ricardo Moniz vor der Saison sagte, dass man aufsteigen werde. Am Ende rettete sich der TSV in der Relegation gegen Kiel knapp vor dem Abstieg in die dritte Liga. Eicher legt in seiner Erzählung eine Pause ein, dann sagt er: „Bei 1860 ist es besser, tief zu stapeln.“ Er kennt den Verein ja bestens.

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