135 Schwarzfahrer hinter Gittern: Freifahrt in den Knast
Hohe Kosten für kleine Strafen: Ein Drittel der Inhaftierten der JVA Berlin-Plötzensee sitzt wegen "Beförderungserschleichungen" ein. Grüne fordern Straffreiheit.
Elf Mal ließ sich der 26-jährige Berliner beim Schwarzfahren erwischen - seit dem Wochenende sitzt er dafür im Knast. Zweimal war er für seine Gratisfahrten verurteilt worden, die Geldstrafen von 3.084 Euro hatte er aber nicht berappt. Nun wandert der junge Mann in die JVA: knapp fünf Monate Ersatzhaft, 147 Tage.
Beileibe kein Einzelschicksal, wie ein Blick in die JVA Plötzensee zeigt: Ein knappes Drittel der Inhaftierten sitzt dort aktuell wegen Schwarzfahrdelikten ein - 135 von 444 Gefangenen. Laut JVA sind nur bei ganz wenigen Fällen andere Delikte mit einbezogen worden. Die meisten wollten oder konnten ihre Geldstrafen fürs Umsonstfahren schlicht nicht bezahlen. Die Richter werten Schwarzfahren als Straftat: Erschleichen von Leistungen heißt das. Wer nicht zahlt, kommt nach Plötzensee in Ersatzhaft, die JVA ist in Berlin Erstanlaufstelle für Ersatzfreiheitsstrafen. "Die Zahl der inhaftierten Schwarzfahrer ist seit Jahren konstant", bemerkt JVA-Leiter Udo Plessow. Die meisten würden mehrere Monate sitzen, da sich bei vielen einige Beförderungserschleichungen aufsummiert haben.
Die hohe Zahl der eingeknasteten Schwarzfahrer ist ein Ärgernis für alle: die BVG, die vielfach kein Geld von den Gratisfahrern kriegt. Das Land, das für Inhaftierte mit Mini-Geldstrafen 88 Euro pro Hafttag zahlt. Seine durchschnittlich 135 Schwarzfahrer-Knackis kosten das Land also rund 4,2 Millionen Euro im Jahr. Als "Verlustgeschäft" bezeichnet JVA-Leiter Plessow das scherzhaft. Aber: "Die Verwahrung ist unsere parlamentarisch gewollte Aufgabe."
Zuletzt sind die Ersatzfreiheitsstrafen, auch für andere Delikte, in Berlin gestiegen: 2009 saßen am Stichtag im August 457 Personen wegen nicht gezahlter Geldstrafen in Haft. 2008 waren es 359, 2007 nur 241. In diesem Jahr fiel die Zahl wieder auf 422. "Es ist Aufgabe des Rechtsstaats, seine Gesetze durchzusetzen", sagt Michael Kanert, Sprecher von Justizsenatorin Gisela von der Aue (SPD). Niemand aber müsse wegen Geldstrafen in Haft. "Wenn jemand wirklich kein Geld hat, um die Strafe zu bezahlen, kann er die Strafe auch mit Sozialstunden abarbeiten."
Laut BVG-Sprecher Klaus Watzlack sind aktuell rund 100 bis 120 Kontrolleure in Berlin unterwegs. Diese würden drei bis vier Prozent der überprüften Fahrgäste ohne Fahrschein antreffen. Kann nachträglich kein Fahrschein vorgewiesen werden, werden 40 Euro Strafe fällig. Wer das nicht begleicht, bekommt es mit einem Inkasso-Büro zu tun. "Das lohnt aber kaum", so Watzlack. Nur in rund 40 Prozent der Fälle könne das Geld eingetrieben werden. Parallel seien 2009 rund 20.000 Strafanzeigen wegen mehrfachen Schwarzfahrens gestellt worden. Dies erfolgt in der Regel nach dreimaligem Schwarzfahren - rückwirkend mit drei Strafanträgen auf einmal. "Wer schwarzfährt, fährt auf Kosten aller", so Watzlack. "Das muss natürlich bestraft werden."
Grünen-Innenexperte Benedikt Lux sieht das anders. "Wenn Leute nachweislich ihre Strafe fürs Schwarzfahren nicht zahlen können, sollte der Staat bei diesem Bagatelldelikt alle Augen zudrücken." Es sei auch wirtschaftlich nicht sinnvoll, mit Steuergeldern "Abschreckung für die BVG zu finanzieren".
Dem widerspricht CDU-Abgeordneter Sven Rissmann: "Öffentliche Beförderung ist ein Schutzgut, gegen dessen Missbrauch sich der Staat wehren muss." Es sei aber zu prüfen, ob Strafvollstreckungsabteilungen nicht eindringlicher für Sozialstunden und Ratenzahlungen von Geldstrafen werben müssen. "Schwarzfahrer sollten nicht derartige Kapazitäten in den JVA binden."
Es war Politikprofessor Peter Grottian, der 2003 zum "Umsonstfahren" in Berlin aufrief - als Protest gegen die damals geplante Abschaffung des Sozialtickets. Erwischten Schwarzfahrern zahlte das Bündnis das Strafgeld. "3.500 bis 4.000 Euro hatten wir hingelegt", erinnert sich Grottian. Größere Aktionen pro Schwarzfahren gab es seitdem nicht mehr. "Die Erwischten gehen lieber individualistisch in den Knast", so Grottian. Dabei sei Mobilität ein Menschenrecht. "Auch für sozial Schwache."
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