: 100-mal von Clip zu Clip gesprungen
Das Lagerfeuer der Generation „Musikfernsehen“ flackerte im Popsalon von Jens Balzer und Tobi Müller im Deutschen Theater
Von Martin Conrads
Wenn man stirbt, ziehen die Momente des Lebens bekanntlich noch einmal in Form von Musikvideoclips an einem vorbei. Nach 15 Jahren und über 100 Ausgaben war es nun für den „Popsalon“ soweit. Mit einer letzten Ausgabe wurde er am Montagabend zu Grabe getragen – und alle, die in der ausverkauften Bar des Deutschen Theaters dabei waren, konnten ein letztes Mal öffentlich über Geschichte und Gegenwart des immer seltener gewordenen Genres „Musikvideo“ räsonieren.
Zuerst im Roten Salon der Volksbühne, dann im Haus an der Schumannstraße zu Gast, hatten die Berliner Kulturjournalisten und Buchautoren Jens Balzer und Tobi Müller in unregelmäßigen Abständen zu ihrem „Popsalon“ eingeladen. Es waren Abende, die sich der in dieser Weise so einzigartigen wie eigenartigen Kunst des Besprechens von Musikvideos vor Publikum widmeten. Meist ein oder zwei Gäste waren jeweils eingeladen, aktuelle oder ältere Clips zu zeigen, jeweils im Wechsel mit von den Gastgebern mitgebrachten.
Themenabende waren es nicht, vielmehr wurde kurzweilig von Clip zu Clip gesprungen. Es waren nicht nur die neusten Videos von Beyoncé oder Brutalismus 3000, die das Publikum auf dem Laufenden hielten, welchen Instagram- und Tiktok-Accounts Balzer, Müller und Gäste folgten. Vor allem waren es die Ausführungen und Diskussionen über die Clips, die den Popsalon zum spät brennenden Lagerfeuer einer Generation machten, die, noch mit dem Prinzip „Musikfernsehen“ groß geworden, weiterhin genoss, aus medialen Mikroereignissen allgemeine Zeitdiagnosen ableiten zu können (vgl. „Popkritik“).
Zwischen den Gastgebern und ihren Gästen, vor allem aber auch zwischen den beiden Gastgebern ging es so mal nerdig, mal rührselig, mal zäher, oft funkelnd, dabei immer geistesgegenwärtig und freundlich zu. Auf angenehme Weise zählte die bessere Pointe mehr als der letzte Grund. Im Hintergrund klimperten stets die Gläser an der Bar, während das Publikum, das nicht zum Mitdiskutieren eingeladen war, sich mit seiner Rolle als Bekehrte, denen gepredigt wird, begnügte, sich aber durchaus auch dazu hinreißen ließ, poröses Faktenwissen aufzubessern („82, nicht 83!“).
Neben Musiker*innen wie Sophia Kennedy oder Max Rieger rahmten Balzer und Müller über die Jahre auch Kritikerkolleg*innen, aber auch mal einen Politiker wie Jürgen Trittin ein. Am Montag nun nahmen die Entertainerin Gayle Tufts und der Spiegel-Redakteur Andreas Borcholte zwischen den Gastgebern Platz.
Es begann eher trostlos: Tufts hatte jenen Ausschnitt des Bruce-Springsteen-Auftritts in Manchester mitgebracht, bei dem er erstmals seine Trump-Kritik performte (Tufts: „Er spricht vom Teleprompter, aber trotzdem von Herzen!“). Als in dem kurz darauf gezeigten Video von Princes „Money Don’t Matter 2 Night“ (1992) plötzlich auch Donald Trump ausgemacht wird, scheint ein Fluch über dem Abend zu liegen. Dieser löst sich aber zunächst durch das von Balzer mitgebrachte „Easy Lover“ (Phil Collins und Philip Bailey, in den hinteren Reihen wird geschunkelt), schließlich endgültig durch Daft Punks „Get Lucky“ (Klaus Lederer tanzt auf der Terrasse). Als Rausschmeißer gibt es Pulps „Got To Have Love“, dann steht „Tschüss!“ auf der Projektionsfläche.
Es sei die Tiktok-Ära, die die Produktionsbudgets schrumpfen lasse und so auch immer weniger (kritikwürdige) Videos hervorbrächte, so Balzer und Müller. Auf Wikipedia ist zum ersten auf MTV gesendeten Musikvideo („Video Killed the Radio Star“ von The Buggles, 1981) zu lesen: „Ein deutlicher programmatischer Hinweis des Senders darauf, dass die Ära der Musikvermarktung ohne Video zu Grabe getragen werden sollte.“ Über die Doppelbedeutung des Satzes kann man nun, da auch der Popsalon tot ist, noch lange nachdenken.
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