100 Tage Rot-Schwarz: Das Parlament: Dresche für die Opposition
In der Debatte um die ersten 100 Tage von Rot-Schwarz werden nicht die beiden Regierungsparteien SPD und CDU, sondern vor allem die Grünen abgewatscht.
Es ist der Showdown am Ende einer Woche, in der die Regierung, die Fraktionen von SPD und CDU und die oppositionellen Grünen schon einzeln die ersten 100 Tage von Rot-Schwarz bewertet haben. Nun treffen sie im Abgeordnetenhaus direkt aufeinander – und vor allem die Grünen bleiben schwer gezeichnet zurück. Die hatten sich per Parteibeschluss vorgenommen, den Senat zu treiben und müssen sich am Donnerstag samt Linkspartei und Piraten vom Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) auffordern lassen, richtige Oppositionsarbeit zu leisten: „Sie kriegen nämlich Geld dafür.“
Ramona Pop, die grüne Fraktionschefin, hält Rot-Schwarz vor, es bei Ankündigungen zu belassen. Sie will Wowereit als führungsschwach darstellen, weil er beim Thema Arbeitsmarkt im Clinch mit der eigenen Fraktion liegt. Dabei belässt sie es nicht, sondern erinnert an Schlappen Wowereits lange vor dem Start von Rot-Schwarz, geht zurück bis 2009 – kein wirklicher Stoff für eine 100-Tage-Bilanz. Schließlich greift sie darauf zurück, sich über die Ähnlichkeit von Wowereit und CDU-Chef Frank Henkel in Körperbau und Kleidung lustig zu machen. Pech für Pop, dass die beiden an diesem Tag mal nicht die gleiche Krawatte tragen.
Da ist es für CDU-Fraktionschef Florian Graf leicht, Pop daran zu erinnern, dass die Grünen, nachdem sie ihren Fraktionschef verloren haben, jüngst auch noch ihren parlamentarischen Geschäftsführer ersetzen mussten. „In der Schifffahrt würde man sagen: Der Kapitän und der 1. Offizier wurden durch einen Leichtmatrosen ersetzt“, stichelt Graf gegen den neuen parlamentarischen Geschäftsführer Benedikt Lux, früher mit Seebärenbart und im gestreiften Matrosenpulli im Parlament zu sehen.
Dass der noch an seinem Standing arbeiten muss, zeigt wenig später Wowereits Reaktion auf einen Zwischenruf von Lux: „Leichtmatrose, jetzt mal ruhig da!“ Da hilft auch alles Dazwischenbrüllen von Grünen-Finanzexperte Jochen Esser nichts – die Grünen sind an diesem Nachmittag der Watschenmann. Als der Grüne Michael Schäfer dazwischenruft, Wowereit habe ja genug Opposition in der eigenen Partei, kontert der Regierende: „Aber woran liegt das denn? Nur daran, dass Sie Ihre Aufgabe nicht wahrnehmen!“
Es ist auch der Nachmittag der Fast-schon-Liebesbekundungen zwischen den Koalitionspartnern. „Die Arbeitsmarktpolitik ist bei Senatorin Kolat wirklich in guten Händen“, lobt CDU-Mann Graf die SPD-Frau. Und Wowereit stellt sich demonstrativ hinter die von der CDU nominierte parteilose Wirtschaftssenatorin Sybille von Obernitz, jüngst in der Kritik wegen angeblich zu barschen Auftretens. „Es ist richtig, dass sie sich einmischt, dass sie dabei dem einen oder anderen auf die Füße tritt“, sagt Wowereit – das sei ihm lieber, „als wenn da Ruhe herrscht“. Der Satz geht eindeutig Richtung Linkspartei und Obernitz-Vorgänger Harald Wolf – da müssen sich die Grünen zumindest nicht mehr als die einzig Abgewatschten fühlen.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen