■ 100 Tage Rot-Grün: Michael Naumann und das Holocaust-Mahnmal: Das System Naumann
Als Michael Naumann, noch vor der September- Wahl, als Kulturminister präsentiert wurde, gab es fortan keine Woche, in der er nicht in den Schlagzeilen auftauchte. Mit Siebenmeilenstiefeln rauschte er durch die Debatten; er war für den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses und mit schroffen Worten gegen das Holocaust-Mahnmal. Forsch ging Naumann ans Werk, das apodiktische Urteil schien zum Stil zu werden, das Elitäre zum Markenzeichen, eine auf Glanz erpichte Kulturpolitik zum Programm in Schröder-Deutschland.
Nach dem 27. September veränderte sich der Ton. Nichts war mehr zu hören von der Edelkultur der Berliner Republik, viel von den Mühen der Ebene. Naumann, der große Zampano, die deutsche Ausgabe von Jacques Lang, verließ still die Bühne, es erschien ein eher bescheidener Minister, der seine Arbeit gern als Moderation beschrieb. Was war geschehen? Eine pragmatische Ernüchterung, verursacht durch den grauen Bonner Politikalltag? Ein Gesinnungswechsel, die (richtige) Erkenntnis, daß die Idee, Berlin zur Glanzmetropole aufzupolieren, eine neue, rot-grün gefärbte Geschichtsvergessenheit verraten hätte?
Man weiß es nicht. Das System Naumann blitzt und kracht, versprüht Funken und macht viel Rauch, aber wo das Feuer brennt, das sieht man nicht. Exemplarisch zeigt dies die Debatte um das Holocaust-Mahnmal. Anfangs war Naumann mit eher grobkörnigen Argumenten dagegen, dann zauberte er das „Eisenman3“-Modell aus dem Hut, das Kunst und Pädagogik, Mahnmal und Museum fusionierte. Das war ein Überraschungscoup, der die etwas verfahrene Debatte mit einem Streich beenden wollte. Das war gewissermaßen „Naumann1“ in Aktion: der Minister, der nicht die komplizierten Verfahrensfragen organisiert, sondern wie ein Feudalherr auftritt, der dem Architekten sagt, was am Hofe gewünscht wird.
Nun folgte die Rolle rückwärts: Naumann will einen neuen Wettbewerb, der Mahnmal und Museum verbindet. Dabei ist der erste noch gar nicht abgeschlossen. Irgendwie scheint der Minister das Entscheidungsprocedere, das er entwirren sollte, nun selbst gründlich verknäult zu haben.
Von dem System Schröder sagt man, daß es so funktioniert: Zuerst eine flotte Ankündigung, dann langsam die Erkenntnis, daß es so nicht geht, dann alle abstrafen, die auf der urspünglichen Idee bestehen, am Ende entscheidet Schröder. Das System Naumann funktioniert genauso: Nur daß Naumann alle Rollen in diesem Stück selbst spielt und gewissermaßen als Schröder und Trittin auftritt. Langweilig wird es mit diesem Minister nicht. Stefan Reinecke
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