100 Jahre Herbert von Karajan: Ikone und Ärgernis
Herbert von Karajan, der eitelste Dirigent aller Zeiten, wäre am Samstag 100 Jahre alt geworden. Zwei Filme behandeln nun Leben und Werk des umstrittenen Künstlers.
Dass Karajan 100 Jahre alt wird, ist ein musikhistorisches Ärgernis. Man hatte sich wunderbar eingerichtet in einer Welt, in der er eigentlich keine Rolle mehr spielte. Im Laufe der letzten Jahrzehnte hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass Herbert von Karajan nicht nur kein sympathischer Mensch gewesen ist, sondern dass auch seine Aufnahmen musikalisch weitgehend wertlos sind: stromlinienförmig, oberflächlich, ein durchgestyltes Produkt ohne musikalischen Tiefgang. Und nun muss man sich jubiläumsbedingt doch noch einmal mit dem umstrittenen Dirigenten auseinandersetzen.
Das Schöne daran ist, dass zwei neue Fernsehproduktionen einem dabei helfen. Das ZDF zeigt eine Dokumentation, die Leben und Werk des Maestros in vollem Umfang würdigt. Arte hingegen konzentriert sich auf den "Filmstar Karajan", der viel für seine eigene Mediendarstellung getan hat.
Wer mit dem Vermächtnis des eitelsten Dirigenten aller Zeiten wenig vertraut ist, dem sei Robert Dornhelms "Karajan - oder ,Die Schönheit, wie ich sie sehe'" (ZDF, So., 23.40 Uhr) ans Herz gelegt. Dornhelm hat mit all den richtigen Menschen gesprochen: mit Kollegen wie Sir Simon Rattle, mit Musikkritikern wie Joachim Kaiser, mit seinen Protegés wie Anne-Sophie Mutter sowie mit dem zuständigen Exbundeskanzler, Helmut Schmidt.
Natürlich kommt jede Menge unhaltbare Lobhudelei dabei heraus; aber die für Karajans Leben wichtigen Stationen werden zuverlässig durchgearbeitet. Nazivergangenheit, Wien, Berlin, Salzburg, das unwiderstehliche Charisma, der eiserne Wille, die Technikbegeisterung, der alternde Griesgram. Und auch über Musik wird geredet: wie akribisch Karajan die Partituren probte, die er alle auswendig kannte, und wie sehr er an dem glatten Klangbild, dessen künstlerischen Wert man gemeinhin anzweifelt, gearbeitet hat. Fast vergessen hatte man auch Karajans peinliche Körpersprache: das genialische Gebaren, die herrische Geste. Selbst die Haartolle musste ergriffen beben.
Dass sich Karajan so trefflich in bewegten Bildern aufbereiten lässt, liegt nicht zuletzt daran, dass er selbst so großen Wert auf bewegte Bilder gelegt hat. Hier setzt Georg Wübbolts "Filmstar Karajan" (Arte, Mo., 22.35 Uhr) an, dem die exzellente Idee zugrunde liegt, einen Faden aus des Meisters Lebensstrang herauszugreifen und ein Stück Technikgeschichte mit Karajan als Protagonisten zu erzählen.
Karajan hat eine ganze Reihe von Filmen realisiert, die seine Aufführungen mit vielen Schnitten und dramatischen Kameraeinstellungen in Hochglanz verewigen sollten. In Interviews mit Regisseuren, Kameraleuten und Cuttern lernt man viel über den damals noch visionären Versuch, Musik zu visualisieren: das Orchester im Playback, Karajan im Gegenlicht.
Schade an Wübbolts Film ist nur, dass es ihm nicht gelingt, das Thema zu halten. Sei es, dass ihm das Material ausging, sei es, dass er sich in die vielen Anekdote um Karajan verliebte: nach einer halben Stunde verliert sich der Film in Blödeleien und Generalurteilen, die mit dem "Filmstar Karajan" nur noch wenig zu tun haben.
In einigen Punkten überschneiden sich die beiden genannten Produktionen: Karajan erstrahlt als Ikone des modernen Lebens - mit einem Privatflugzeug und einer naiven Technikbegeisterung, die er in den japanischen Sony-Werkstätten bisweilen mit Kinderfreude auslebte. Beide Filme sprechen außerdem das Verhältnis zu Leonard Bernstein an, seinem transatlantischen Gegenentwurf, der auf Gefühl und Menschlichkeit setzte, wo Karajan Wille und Macht sprechen ließ. Karajan und Bernstein verkörperten ästhetische und ethische Gegensätze. "Nothing in this music is normal", erklärt Bernstein den Wiener Philharmonikern die Sinfonien Gustav Mahlers.
Bei Karajan herrschte leider viel zu oft die totale Normalität.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Grünes Wahlprogramm 2025
Wirtschaft vor Klima
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Foltergefängnisse in Syrien
Den Kerker im Kopf
Parteiprogramme für die Bundestagswahl
Die Groko ist noch nicht gesetzt