100 Jahre Disney: Von der Maus zum Blockbuster
Der US-Konzern Walt Disney Company wird 100: Ein kritischer Streifzug vom frühen Ruhm eines Start-ups in Hollywood bis zur globalen Medienmarke.
Zum 100-jährigen Jubiläum wurde unter dem Label „Disney 100“ ein Spot produziert, der das ganze Wesen der Marke zusammenfassen möchte: Kinder staunen mit leuchtenden Augen, wie sich ein Feuerwerk aus bunten Bildern vor ihnen entfaltet. Beliebte Figuren wie Mary Poppins, Buzz Lightyear, Arielle oder Micky Maus sind in Filmausschnitten zu sehen, daneben aber auch Hauptcharaktere aus „Star Wars“, „Avatar“ oder „Marvel’s The Avengers“.
Empfohlener externer Inhalt
Der Kauf einer Kinokarte ist heute nicht mehr notwendig, um in Disneys Traumwelten einzutreten – längst sendet der Mediengigant (Marktwert: 145 Milliarden Dollar) auch Serien über Streamingdienste wie Disney+.
Dabei fing alles ganz bescheiden an. Walter Disney, 1901 geboren, erlebte eine ärmliche Kindheit im US-Bundesstaat Missouri. Sie war geprägt von den beruflichen Fiaskos seines Vaters. Walt wollte selbst ein besserer Unternehmer werden. Früh von der Kunst des Trickfilms fasziniert, produzierte er schon 1920 mit seiner Firma Laugh-O-Gram in Kansas City Kurzfilme, ging aber pleite.
1923 gründete er mit seinem Bruder Roy in Los Angeles die Disney Brothers Cartoon Studios (später umbenannt in Walt Disney Productions). Ihr erster Erfolge war die Serie „Alice’s Cartoonland“. Darin erlebte eine kindliche Darstellerin in einer animierten Welt Abenteuer. Schon in dieser originellen Kombination aus Live-Action- und Animationselementen zeigte sich Disneys Mut zum Experiment.
Animierte Welt für Kinder
„Disney 100 Jahre Comics – Das Beste aus Entenhausen“. Egmont Comic Collection, Stuttgart 2023, 368 Seiten, gebunden, 59 Euro
Der Band versammelt 25 seltene Comics und einige der besten Entenhausen-Zeichner: etwa Floyd Gottfredson, Al Taliaferro, Carl Barks, Romano Scarpa
Mit „Oswald the lucky Rabbit“ erzielten die Brüder einen noch größeren Serienhit. Oswald war Star in Dutzenden animierter Komödien, bis es zum Bruch mit dem Verleiher kam und Disney die Rechte am Hasen verlor.
In die Kreation seiner neuen Figur „Mickey Mouse“ (deutsch Micky Maus) steckte Walt nun sein letztes Geld und sein ganzes Talent. Sein bester Zeichner Ub Iwerks entwarf die Figur nach Walts Skizzen und machte daraus einen vorlauten, rebellischen Charakter. Im Aufkommen des Tonfilms erkannte Walt enormes Potenzial. Den Micky-Film „Steamboat Willie“ konzipierte er trotz technischer Widrigkeiten nicht mehr als Stummfilm, sondern als „Sound Cartoon“.
Am Steuerrad eines Dampfers
Angefangen mit der Aufblende, in der Micky am Steuerrad eines Dampfers zu sehen ist und eine Melodie pfeift, choreografierte Disneys Team den gesamten Film nach der Musik und versah ihn zudem mit einer Fülle lustiger Toneffekte.
Micky spielte etwa auf den Zähnen eines Nilpferds Xylofon und brachte damit das Premierenpublikum des New Yorker Colony Theatres im November 1928 zum Brüllen. Etwas derartig Witziges, das auf der Bild- und Tonebene perfekt synchron ablief, hatte man vorher noch nicht gesehen. Micky Maus’ Erfolg breitete sich über die Vereinigten Staaten aus, bis der Mäuserich die ganze Welt „eroberte“.
Im Deutschland der Weimarer Republik zeugt etwa eine Zeichnung Karl Arnolds in einer Ausgabe des Satireblatts Simplicissimus aus dem Jahr 1931 von Mickys Berühmtheit: Charlie Chaplin, Tallulah Bankhead und andere Filmstars der Ära starrten ungläubig auf diese kleine Maus im Scheinwerferlicht, die ihnen frech grinsend die Show stahl. Untertitelt ist die Karikatur mit der Zeile: „Unverschämt, dieses Biest stellt unser aller Prominenz in den Schatten!“
Ein Tier lebt im Jazzrhythmus
Zeitungen, die über Mickys Premiere im Berliner Kino Universum berichteten, überschlugen sich in ihren positiven Besprechungen: „Micky ist in der Tat ein Tonfilmwunder. Ein Tier, das im Jazz-Rhythmus lebt“ (Film-Kurier, 18. 1. 1930).
Noch nie hatte eine gezeichnete Comic-Figur einen solchen Status erreicht. Die intellektuelle Elite der Weimarer Republik war fasziniert vom Animationsfilm und vor allem von Disneys Maus: Walter Benjamin erkannte etwa, dass der Erfolg der Filme darauf beruhe, „dass das Publikum sein eignes Leben in ihnen wiedererkennt“.
Die „erdumkreisende Maus“ bewirke „eine therapeutische Sprengung des Unbewussten“. Micky Maus’ phänomenale Beliebtheit fiel in die Zeit der Weltwirtschaftskrise – die Menschen in den USA wie auch in Deutschland sehnten sich nach einem optimistischen Charakter wie Micky, einem Stehaufmännchen, das dem Alltag zu entfliehen half.
Meilenstein Schneewittchen
1934 arbeitete Walt Disney bereits an einem noch ehrgeizigeren Projekt, an das zuvor keiner außer ihm geglaubt hatte: den ersten abendfüllenden Zeichentrickfilm. 1937 verwirklichte er ihn mit „Schneewittchen und die sieben Zwerge“, bis heute ein Meilenstein des Genres.
Er perfektionierte darin Zeichen- und Kameratechniken, erzielte dreidimensionale Effekte bei Kamerafahrten und schuf vor allem die Kunst der Charakteranimation: Animierte, bis dato lustige Figuren entwickelten sich in den Händen von Disneys Animatoren zu tiefgründigen Charakteren, mit denen sich das Publikum identifizieren konnte. Bei der Premiere sollen beim Tod von Schneewittchen Filmstars wie Clark Gable und Carole Lombard geweint haben!
Die ganze Welt sprach von einer neuen Kunstform, die Disney geprägt hatte. „Pinocchio“, „Fantasia“ und „Bambi“ sind weitere Meisterwerke aus dieser Ära. Nicht zu vergessen ist der Einfluss von Disneys liebevoll animierten Filmen auf eine Generation junger Comiczeichner in Europa, darunter André Franquin („Marsupilami“), Morris („Lucky Luke“) und Albert Uderzo („Asterix“). Bevor diese ihre eigenen Figuren kreierten, wollten sie alle Trickfilmzeichner werden.
Uncle Walt und der Finanzchef
„Uncle Walt“ war in vielerlei Hinsicht ein Visionär: Die neu gebauten Studios und Büros sollten für alle Mitarbeitende geräumig und komfortabel sein, es gab Restaurants, ein Kino und Sportmöglichkeiten. Die Filme spielten jedoch oft zu wenig ein, um die Kosten zu decken. Ohne Walts Bruder Roy als solidem Finanzchef wären die Studios wohl bankrott gegangen.
Walt Disneys Begeisterung für seine Projekte wirkte ansteckend. Er konnte aber auch ein Egozentriker und unerbittlicher Schinder sein. Den ersten Streik seiner Angestellten 1941 nahm er ihnen sehr übel, vor McCarthys „Ausschuss gegen unamerikanische Umtriebe“ denunzierte er gar einen aufmuckenden Zeichner als „Kommunisten“. Hier zieht sich eine Linie hin zu Bob Iger, dem amtierende CEO, der den jüngsten Autoren- und Schauspielerstreik in Hollywood abgelehnt hatte.
Während Walt Disneys Leistungen für den Animationsfilm unbestritten sind, gelten manche seiner Spielfilme heute als veraltet, insbesondere da, wo sie die US-Geschichte nostalgisch schönfärbten und rassistische Klischees wiedergaben: Der Film „Song of the South“ (1946, dt. „Onkel Remus’ Wunderland“) stellte etwa die afroamerikanische Bevölkerung als glücklich singende Sklaven dar.
Vergnügungspark als Stützpfeiler
Mit „Disneyland“, seinem ersten Erlebnis- und Vergnügungspark in Anaheim, Kalifornien, erzielte Walt Disney 1955 einen immensen Erfolg, der aus der finanziellen Krise führte und weitere Konzeptparks nach sich zog. Bis heute bilden sie einen wichtigen Stützpfeiler des Konzerns.
Disneys konservatives Weltbild passte in den 1950er Jahren zum Zeitgeist, ab den sechziger Jahren wirkten die Filme zunehmend entrückt, während Vietnamkrieg und Bürgerrechtsbewegung die junge Generation politisierten. Nach einer abermaligen Erfolgswelle mit Filmen wie „Der König der Löwen“ in den 1990ern gelang der Ausbau des Konzerns mit dem Ankauf der Marken Marvel, Lucasfilm und Pixar.
Seit Disney sich vor 14 Jahren vom klassischen Zeichentrickfilm abwandte und einzig auf computeranimierte Filme setzt, läuft das Unternehmen Gefahr, nur noch seelenlose Feelgood-Blockbuster à la „Eiskönigin“ zu kreieren und überflüssige Spielfilmremakes der eigenen Klassiker wie „Das Dschungelbuch“ herauszubringen, die möglichst allen gefallen sollen.
Der Anspruch von „Uncle Walt“, immer bessere Filme zu machen, wird längst dadurch ersetzt, den Wert der Aktie Disney zu erhöhen. Und auch der Umgang mit vermeintlich anstößigen Stellen in älteren Filmen und Comics ist wenig überzeugend: Ganze Filme und manch klassischer Donald-Duck-Comic von Carl Barks werden still und leise vom Markt entfernt, zugunsten einer geglätteten Selbstdarstellung. Dabei verpasst Disney auch die Chance, seine eigenen Erzeugnisse und die Firmenhistorie selbst kritisch einzuordnen und zu kommentieren.
Der Aufsteiger Walt Disney hat Hollywood verändert, er verkörperte den Amerikanischen Traum wie kein anderer. Ob sein visionärer Geist eines Tages wieder in künstlerisch überzeugenden Filmen zurückkehren wird, steht in den Sternen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs