Wirtschaft durch Praxis lernen: 100 Cookies und 100 Kekse sind bestellt
Schüler*innen betreiben in einer Moabiter Schule eine Bäckerei. In Berlin gibt es Dutzende von Schülerfirmen – auch dank guter Unterstützungsangebote.
„Herzlich willkommen“, begrüßt Claudia Armbruster 12 Schüler*innen der 10. Jahrgangsstufe. Die Jugendlichen drücken sich in die Bankreihen. Heute gilt es, einen Auftrag für das Genossenschaftsforum zu erledigen: 100 Cookies und 100 Kekse wurden bestellt. Später müssen dazu eine E-Mail und eine Rechnung geschrieben werden, fasst die Lehrerin zusammen.
Als es aus dem Klassenraum in die gut ausgestattete Küche mit den großen Fenstern geht, wirkt die Gruppe wie verwandelt – energiegeladen und motiviert. Die acht Jungen und vier Mädchen verteilen sich an die drei Arbeitsinseln, legen die laminierten Rezepte vor sich hin und beginnen, Schokolade und Nüsse kleinzuhacken. Die Zutaten haben einige von ihnen vorher in der Pause eingekauft.
Die Schülerfirma „Theos Backstube“ gibt es seit 2015 an der Theodor-Heuss-Gemeinschaftsschule in Moabit. In jedem zweiten Jahrgang wird sie als Wahlpflichtfach angeboten. Mehmet Topal ist seit der 7. Klasse dabei und im Vorstand.
„Ich finde es toll, dass wir eine Genossenschaft sind und damit jeder die gleichen Rechte hat. Auch wenn jemand mehr Geld einbringen würde, hätte er nur eine Stimme“, sagt der 15-Jährige mit der roten Küchenschürze, auf die der Firmenname aufgestickt ist. Sie stammt von einer anderen Berliner Schülerfirma, die sie auf einer Messe getroffen haben. Seiner Vorstandskollegin Isatou Jallok ist die Gesellschaftsform der Firma ebenfalls wichtig: „Wir arbeiten als Team.“ Ein Euro beträgt der Genossenschaftsbeitrag; auch Lehrer*innen können Mitglied werden.
Lieber Backen als Büroarbeit
Boschra Abdallah verarbeitet gerade die Butter, die die Kolleg*innen aus der 8. Klasse aus Sahne selbst hergestellt haben. „Sieht lecker aus, ist irgendwie weicher als die gekaufte.“ Hamsa El-Kassem platziert kleine Teighäufchen mit zwei Löffeln aufs Backpapier. „Ich will mit den Händen arbeiten, vielleicht Elektrotechnik,“ sagt der 16-Jährige, der sich auch in seiner Freizeit gerne in der Küche beschäftigt.
Dass ihnen Backen Spaß macht, betonen hier fast alle. Weniger beliebt ist die Büroarbeit. Die macht heute Hassan Abu-Alfa zusammen mit der Lehrerin Antje Thalheim. Der 15-Jährige hat einen Taschenrechner geholt, zählt die Posten des Einkaufs zusammen und schlägt 30 Prozent auf, so wie es eine der Lehrerinnen nach einer Recherche im Internet vorgeschlagen hatte.
Damit soll jeder Cookie 31 Cent kosten. Darin enthalten sind weder Strom, Abschreibungen für die von den Gewinnen der Schülerfirma angeschafften Waagen und Rührgeräte noch irgendwelche Lohnkosten. 50 Prozent seien wohl doch angemessener, beschließen Hassan und die erwachsene Genossin kurzentschlossen. Für den Transport müssen sie nichts einkalkulieren, den organisiert der Kunde selbst.
Entstanden ist Theos Backstube, nachdem der Senat der Oberschule vor zehn Jahren eine neue Lehrküche finanziert hatte und verlangte, dass sie vielfältig genutzt wird. Die erste Gruppe überlegte das Geschäftsfeld und recherchierte Absatzmöglichkeiten, diskutierte die Rechtsform und entwickelte mit Unterstützung einer befreundeten Wohnungsbaugenossenschaft einen Flyer und das Logo. Immer wieder gibt es Unterricht zu den Fragen, was der Unterschied zwischen Einnahmen und Gewinn ist, und gemeinsam wird entschieden, wofür er eingesetzt wird: Küchenmaschinen, ein Betriebsausflug, ein gemeinsames Essen. Einmal im Jahr beschenkt Theos Backstube auch eine soziale Einrichtung wie eine Obdachlosenunterkunft oder ein Geflüchtetenheim.
Vielfältiges Wissen
Lehrerin Armbruster informiert die Jugendlichen über verschiedene Eierqualitäten, lässt sie aus Korn Mehl herstellen, erklärt die Grundzüge von Buchhaltung und hilft Aufträge an Land zu ziehen. Sowohl beim Festival des Handwerks, beim Mädchenfußball-Finale im Poststadion oder bei der Gesamtelternvertretung der Schule ist Theos Backstube mit einem Verkaufsstand präsent. Dafür machen die Schüler*innen dann auch ab und zu Überstunden.
Seit 15 Jahren fördert die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung (DJKS) die Gründung von Schüler*innenfirmen. „Wir erleben oft, dass Jugendliche aufblühen, weil sie Selbstwirksamkeit erleben“, berichtet Lou Hähnlein, die in Berlin für das Programm zuständig ist. Manche Mädchen und Jungen haben eine konkrete Gründungsidee, meist aber kommt der erste Impuls aus der Lehrerschaft. „Wir fangen an dem Punkt an, wo die Schule steht und was gerade gebraucht wird“, so Hähnlein. In einigen Fällen geht sie am Anfang mit in den Unterricht und begleitet das Projekt auch längerfristig, anderswo wird ihre Unterstützung sehr punktuell angefordert.
Etwa 50 aktive Berliner Schülerfirmen hat sie in ihrer Kartei, bei etwa der Hälfte ist die DJKS noch recht nah dran. Sie veranstaltet Workshops, wo die Jugendlichen Buchhaltung lernen können, liefert Handreichungen zu rechtlichen Fragen sowie den einzelnen Schritten im Gründungsprozess. Auch Infomaterial für Pädagog*innen liegt bereit. Alle Angebote der DJKS sind kostenlos.
Die gemeinnützige Stiftung Bildung versteht sich ebenfalls als Partner von Schülerfirmen. Seit 2022 fördert sie mit Geld vom Bundesbildungsministerium die Klein-Unternehmen mit 500 bis 1.000 Euro Startkapital. Um am Programm youstartN teilzunehmen, müssen die Antragstellenden darlegen, wie ihr Projekt zu den 17 Nachhaltigkeitszielen der UNO beiträgt. „Das Formular lässt sich aber in zehn Minuten ausfüllen“, versichert Projektreferent Aldo Stephan.
Umsatzsteuer wird bei Schülerfirmen nicht fällig
Die Bürokratiehürden sind niedrig, Umsatzsteuer wird bei Schülerfirmen eh nicht fällig. Spätestens vier Wochen nach der Einreichung ist klar, ob das Geld kommt. Auch hier gibt es Beratung im Vorfeld – und beim Scheitern auch im Nachgang, um nachbessern zu können. Allerdings ist der Fördertopf gerade leer, wird aber Mitte Januar 2026 wieder aufgefüllt sein.
Zwei Drittel der Schülerfirmen suchen ihr Geschäftsfeld im Ernährungssektor. Sie bieten Catering oder Gebackenes an, organisieren ein Brotdosen-Pfandsystem oder kooperieren mit einem Seniorenheim, um Marmelade und eingelegte Zucchini herzustellen.
Für diese Branche gibt es in Berlin das Programm „Wissen was schmeckt“. Es organisiert für die Belegschaften von Schülerfirmen Exkursionen zu Biohöfen, Mühlen und Bäckereien und bringt die Besucher*innen oft auch in Kontakt mit Azubis, sodass sie ein potenzielles Arbeitsfeld erkunden können. Auch Module zu Lebensmittelverschwendung und gesundheitsförderlicher Ernährung sind Teil des Angebots.
Am 17. und 18. Februar gibt es außerdem die Chance, sich durch 50 echte Schülerfirmen aus ganz Deutschland inspirieren zu lassen. Dann veranstaltet das FEZ Wuhlheide wieder die alle zwei Jahre stattfindende Schülerfirmenmesse.
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