100. BSE-FALL: DIE AGRARWENDE IST NOCH NICHT RECHT AUSZUMACHEN: Herzlichen Glückwunsch!
Von 0 auf 100 in neun Monaten. Stramme Leistung, herzlichen Glückwunsch!, darf man den Herren Borchert (CDU), Funke (SPD) und Sonnleitner (DBV) zurufen. Sie haben während ihrer Zeit als Landwirtschaftsminister und Bauernvorsteher die Gefahr durch den Rinderwahn mit der ältesten Strategie bekämpft: der Verleugnung. Augen zu und die Zähne immer rein ins blutige Steak! Gratulieren dürfen wir auch dem Verbraucher, dessen ewige Schnäppchenjägerei eine der wesentlichen Ursachen der pervertierten Landwirtschaft ist. Hauptsache billig, um jeden Preis!
Inzwischen ist BSE fast aus den Schlagzeilen verschwunden. Als Konsequenz könnten wir jetzt die Jeremiade vom Rückfall in alte Gewohnheiten anstimmen, zumal sich der Rindfleischverbrauch fast normalisiert hat. Der Verbraucher isst wieder von Montag bis Freitag Sonntagsbraten, der Handel erpresst wieder die Erzeuger, während Bauernführer Sonnleitner mit neuer Chuzpe Botschaften von gestern aus dem Güllebunker funkt. Und Künasts Agrarwende stottert.
Ganz so düster sieht die Welt zum Wahnsinnsjubiläum aber doch nicht aus. Die BSE-Stampede des vergangenen Winters und Frühjahrs, der größte bundesdeutsche Verbraucheraufstand, hat tiefe Spuren hinterlassen. Nicht nur in unseren Hinterköpfen, wo das Grauen aus Schlachthöfen und Kadaveranstalten noch lange nicht von der Festplatte gelöscht ist. Es gibt auch institutionelle Spuren: ein Ministerium für Verbraucherschutz, ein Bundesamt gleichen Namens, einen neu organisierten Bundesverband der Verbraucherzentralen – allesamt Widerspruchsinstanzen, die am Problem dranbleiben, egal ob es gerade Konjunktur hat oder nicht. Genauso wie die Umweltinstitutionen ihr Thema auch in schwieriger Zeit pflegen.
Für die Konjunktur werden neue Katastrophen mit naturgesetzlicher Regelmäßigkeit sorgen. Es ist ganz einfach: Der Skandal wird sich so lange einstellen, solange die Sauerei im Stall nicht ausgemistet ist. Zwei Millionen Hühner in einer einzigen Anlage, Puten, die vor lauter Brustmuskel nicht laufen können, Kaninchen, die sich die Ohren abbeißen, Kälber auf Milchaustauscher, 45 Millionen aussortierte männliche Küken im Schredder – im Euro-Bestiarium hat sich nichts geändert.
Die Agrarwende, so hat kürzlich Verbraucherqueen Edda Müller formuliert, ist auch mit Wahlchancen und politischem Wettbewerb verbunden. Ministerin Künasts Name und ihr Wort stehen für diese Agrarwende. Bisher ist wenig von ihr zu sehen. Die neue Hennenhaltungsverordnung und das Bio-Zeichen sind, wenn sie denn kommen, erste Schritte. Aber: Das kann doch nicht alles gewesen sein. MANFRED KRIENER
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