: 1. Mai in Berlin: Eitel Sonnenschein
Zum ersten Mal seit 44 Jahren fand in Berlin eine gemeinsame Kundgebung von Gewerkschaftern aus Ost und West statt / Abschlußkundgebung vor dem Reichstag / Kreuzberger 1.-Mai-Demo und das Fest im Görlitzer Park verliefen weitestgehend friedlich ■ Von Kordula Doerfler
Berlin (taz) - Berlin am 1. Mai 1990: Bei strahlendem Sonnenschein und Temperaturen um 25 Grad waren in Berlin Zehntausende von Menschen auf den Beinen, um an 1.-Mai -Veranstaltungen teilzunehmen. Zum ersten Mal seit 1947 fand unter dem Motto „100 Jahre 1. Mai - Solidarität sichert unsere Zukunft“ eine gemeinsame Kundgebung von Gewerkschaftern aus Ost und West statt. Vor dem Reichstag versammelten sich etwa 60.000 Menschen zur Abschlußkundgebung des DGB, als Hauptredner verkündete der DGB-Vorsitzenden Ernst Breit die Vereinigung der beiden Gewerkschaften noch vor der staatlichen Vereinigung.
Ungefähr 16.000 Menschen aus Ost-Berlin hatten sich nach einer Auftaktkundgebung im Lustgarten Richtung Westen in Bewegung gesetzt, um an der gemeinsamen Veranstaltung teilzunehmen. Statt der vom FDGB erwarteten 100.000 Menschen waren dort anfänglich nur wenige Tausend versammelt. Der Zug, in dem auch die PDS mit Gregor Gisy als eigener Block mitlief, konnte das Brandenburger Tor ohne Grenzkontrollen passieren und vereinigte sich mit der West-Demo auf dem Platz der Republik.
Kurze Zeit nachdem die offizielle Maifeier beendet war, begann in Kreuzberg am Oranienplatz die traditionelle Gegendemonstration unter dem Motto „Lieber raus auf die Straße als heim ins Reich“. Nach Angaben der Veranstalter beteiligten sich 15.000 Menschen an der Demo, die Polizei sprach von 10.000. Die Demonstration wurde von einem massiven Polizeiaufgebot begleitet, das sich jedoch überwiegend im Hintergrund hielt. Zu größeren Zwischenfällen kam es nicht, ein Block Autonomer wurde zeitweise von einer Kette abgeschirmt. Zwar fielen am Anfang einige Steine, ansonsten verlief alles friedlich. Auch aus Ost-Berlin waren einige hundert zum Teil Vermummte nach Kreuzberg gekommen. Im Anschluß fand im neu angelegten Görlitzer Park trotz des Verbotes durch den Bezirk das traditionelle 1.-Mai-Fest statt. Aus Angst vor der in den letzten Jahren üblichen Randale nach dem Fest hatte sich der Bezirk zu diesem Schritt entschlossen. Bis Redaktionsschluß verlief auch dort alles friedlich. Berichte zu Maifeiern Seite 5
Berichte aus Berlin auf S.21 und 28
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen