piwik no script img

1. MAIThierse-Kritiker blockiert

Die Jusos fordern die Fraktionsvizechefin wegen ihrer Blockade-Kritik zum Rücktritt auf. Auch Fraktionschef Müller unterstützt Thierse: "Persönliche Angriffe völlig deplaziert"

Verteidigt sich gegen Kritik an seiner Sitzblockade am 1. Mai: Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse Bild: AP

Der weitgehend friedliche 1. Mai hat in der SPD ein weniger friedliches Nachspiel: Nach Kritik an der Sitzblockade der Parteigröße Wolfgang Thierse sind die Abgeordneten Anja Hertel und Tom Schreiber unter Beschuss. Die moralische und politische Integrität Thierses stehe außer Frage, sagte Fraktionschef Michael Müller am Dienstag: "Persönliche Angriffe halte ich für völlig deplaziert." Fraktionsvize Hertel sah sich sogar einer Rücktrittsforderung seitens der Jusos gegenüber. In der Fraktionssitzung war einem Sprecher zufolge eine klare Mehrheit der Meinung, Thierses Protestform sei angemessen gewesen.

Thierse, Vizepräsident des Bundestags, hatte mit anderen Landes- und Bundespolitikern am 1. Mai die Bornholmer Straße in Prenzlauer Berg blockiert, um sich der Neonazi-Demonstration in den Weg zu stellen. CDU und FDP hatten Thierse deshalb stark kritisiert. Laut Versammlungsgesetz macht sich strafbar, wer grobe Störungen verursacht, um nicht verbotene Versammlungen oder Demos zu verhindern.

SPD-Fraktionsvize Hertel hatte Thierses Verhalten nach eigenen Angaben in einem Telefoninterview als "für einen Vizepräsidenten nicht würdig" bezeichnet. Ihr Fraktionskollege Tom Schreiber hatte am Montag im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses kritisiert, Thierse habe seine parlamentarische Immunität schamlos ausgenutzt.

Gegenüber der taz bedauerteHertel am Dienstag ihre Aussage: "Es war nicht richtig, ihn wegen mangelnder Würde zu beschimpfen", sagte Hertel, "das war definitiv ein Fehler, und ich würde es nicht wieder machen." Durch die Diskussion um ihre Äußerung gerate in den Schatten, "dass wir zum ersten Mal wieder einen affenstarken 1. Mai hatten", sagte Hertel. Zu der Rücktrittsforderung als Fraktionsvize durch die Pankower Jusos sagte sie, sie können die Verärgerung verstehen. Zurücktreten will sie aber nicht.

Inhaltlich mochte Hertel nicht von ihrer Kritik abrücken: Da müsse man in der Partei noch drüber sprechen. "Möglicherweise habe ich da eine zu puristische Sichtweise, da bin ich zu sehr Tochter eines preußischen Beamten", sagte sie. Thierse selbst sagte dem Tagesspiegel, er habe "die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten wie alle anderen auch.".

Bei den Grünen hatten sich unter anderem Landeschef Stefan Gelbhaar und Benedikt Lux, der innenpolitische Sprecher der Fraktion, zu Thierse auf die Straße gesetzt. Keiner von beiden will negative Kritik aus den eigenen Reihen gehört haben. Post von der Staatsanwaltschaft haben sie nach eigenen Angaben auch noch nicht erhalten. Die Behörde will bis Ende dieser Woche prüfen, ob die Blockade strafbar war. Über mögliche Folgen mochte Lux, wie Gelbhaar Jurist, nicht spekulieren: "Keine Aussage ohne Akteneinsicht."

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

18 Kommentare

 / 
  • W
    werna

    ich bin irritiert, dass sich in der taz kein unterstützender kommentar für thierses aktion findet?! in der süddeutschen gabs sowas! was los?? christian rath, juristische perspektive: sitzblockade seit 1995 keine nötigung, semler? schlafen die alle?

  • F
    friedrich

    @talau

     

    Mit Ihrem Satz: “Zur Demokratie gehört eben auch der außerparlamentarische Protest gegenüber denjenigen, die sie abschaffen wollen“ begeben Sie sich auf gefährliches Glatteis.

     

    Denn: Wer entscheidet das?

    Eine eventuell gut organisierte Menge, die sich gerade mal auf der Straße einfindet?

     

     

    Zu unserer Staatsform gibt es auch in der Partei „Die Linken“ äußerst kritische Meinungen. Nicht umsonst werden sie deshalb teilweise vom Verfassungsschutz beobachtet.

    Oder nehmen Sie den Islam. Zumindest Teile davon lassen sich mit unserem GG und unserer Staatsform nicht vereinbaren. Sie können das auf deren Webseiten nachlesen.

    Sehen Sie sich Äußerungen dazu von den Islamverbänden an, schlimmer noch von einigen Webseiten.

     

    Wollen Sie nun Demonstrationen der Linken ebenso behindern?

    Oder wollen Sie Moslems an der Ausübung ihrer Religion behindern?

     

    Ich würde Ihnen recht geben, wenn wir nicht mehr über einen Rechtsstaat verfügen würden, wenn Entscheidungen des BVG nicht mehr akzeptiert würden.

     

    Doch genau das ist noch nicht der Fall. Allerdings führt der Weg, den Sie hier beschreiten wollen, genau dorthin.

     

    @Lucanus

     

    Die Rechtslage ist hier anders als bei den Atomprotesten. Damals ging es darum, ob Sitzblockaden gegen Transporte den Tatbestand der Nötigung erfüllen.

    Bei den Transporten handelte es sich aber nicht um ein Grundrecht.

     

    So ist das Verhalten von Thierse auch nicht vordergründig eine Nötigung, sondern ein Verstoß gegen das Versammlungsgesetz, wenn er möglicherweise die Durchführung einer nicht verbotenen Demonstration behinderte.

     

    Es kommt dabei absolut nicht darauf an, ob diese verhinderte Demonstration moralisch, demokratisch vertretbare Gründe hat, von demokratischen Kräften ausgeübt wird - einziges Merkmal ist: Nicht verboten. Und somit Ausübung eines Grundrechtes.

  • A
    Amos

    Anstatt etwas gegen den Banken-Faschismus zu unternehmen, sucht man sich wieder irgendein "zahmes Reh" aus, das man jagen kann. Kurz vor Wahlen sucht man sich ein Thema um von seiner eigenen Drecklichkeit abzulenken.

  • L
    Lucanus

    An Lady Enigma und alle anderen, die hier meinen, Herr Thierse hätte gegen ein Gestz verstoßen und müsse demzufolge belangt werden:

     

    Wenn ich all die Artikel der letzten Tage richtig verstanden habe, macht sich strafbar, wer eine genehmigte Versammlung/Demonstartion Kundgebung zu verhindern suche und sich dabei Gewaltanwendung oder grober Störungen bediene. Die Formulierung ist whl ähnlich wie bei den Atomprotesten. Und wenn dabei - wie in anderen Artikeln zu lesen gewesen - sich hinzusetzen weder als Gewalt noch als grobe Störung gilt, so doch sicher auch hier nicht. Ergo keine Straftat in Sicht und somit auch kein Grund Rücktritt/Entschuldigung/Betroffenheit einzufordern.

     

    Nebenbei: BRAVO, Herr Thierse!

  • M
    melchi

    @Michael: Danke, genau so ist es. Die NPD, die ja immer wieder als Veranstalter solcher Demonstrationen auftritt, ist eben nicht verfassungstreu. Das sollte eigentlich jedem klar sein. Dass sie nicht verboten ist, liegt einzig und allein am mangelden Willen und am Unvermögen der verantwortlichen Politiker. Und von denen muss man sich dann nicht über Grundrechte und Demokratie belehren lassen.

  • F
    friedrich

    @Benni,

     

    Ich geben Ihnen auch teilweise recht. Jedoch: Die Grundrechte widersprechen sich nicht, sie ergänzen sich, und sind teilweise über- bzw. untergeordnet.

     

    Das von Ihnen erwähnte Grundrecht der Menschenwürde befindet sich in dem unveränderlichen Art. 1 GG und ist dem Recht auf Versammlungsfreiheit übergeordnet. Wie auch alle anderen Grundrechte unter der Einschränkung des Art. 1 GG stehen. Ihre Einschätzung ist insofern vollkommen richtig.

     

     

    Es ist jedoch Aufgabe der Gerichte, dies festzustellen - nicht Aufgabe von Andersdenkenden, auch wenn sie moralisch noch so sehr im Recht zu sein scheinen.

     

    Im Falle Dresden gab es wohl auch genügend richterliche Überprüfung. Dem hat sich dann jeder zu beugen. Geschieht das nicht, gilt letztlich das Recht des Stärkeren oder das Recht der Straße.

     

    Wozu das führt, hat man in der Weimarer Republik gesehen.

  • T
    talau

    Lieber Friedrich, ich würde gerne den Satz zitieren, demnach Faschismus keine Meinung sondern ein Verbrechen darstellt. Zur Demokratie gehört eben auch der außerparlamentarische Protest gegenüber denjenigen, die sie abschaffen wollen. Die Faschisten würden sehr wahrscheinlich, wenn sie an der Macht wären, ihre Gegner schnellstens ermorden und verhaften lassen. Es ist meiner Ansicht nach daher etwas absurd Thierse vorzuwerfen, er begebe sich mit seinem Handeln auf das Handlungsniveau derjenigen, die er bekämpfen möchte.

  • B
    benni

    @friedrich: Versammlungsfreiheit ist ein Grundrecht. Da haben Sie vollkommen Recht. Aber es gibt noch viele andere Grundrecht die sich widersprechen und man muss immer verschiedene Grundrechte gegeneinander abwiegen. Einer davon ist z.b die Würde des Menschen ist unantastbar, und wenn die braune Pest z.b unter dem Motto "Bombenholocaust Dresden" durch Dresden ziehen, dann wird hier die Würde der Opfer des Holocaust als auch der Überlebenden mit Füßen getreten. Ich für meinen Teil schätzte dieses Grundrecht höher ein, als das Recht der Versammlungsfreiheit für die paar Deppen ein.

  • F
    friedrich

    Versammlungsfreiheit ist ein Grundrecht.

     

    Wer eine nicht verbotene Versammlung/Demonstration behindert oder die Durchführung derselben behindert macht sich nach dem Versammlungsgesetz strafbar.

     

    Das gilt nun mal auch für solche Versammlungen, die von Leuten durchgeführt werden, die Meinungen vertreten, die nicht demokratisch sind.

    Für die Verhinderung solcher Versammlungen sind die Versammlungsbehörden zuständig, kontrolliert von den Gerichten.

    Nun haben aber gerade Gerichte, bis hin zum BVG, in den letzten Jahren Urteile gefällt, die ein Verbot solcher Versammlungen nahezu unmöglich machen - d.h. sie dürfen nicht verboten werden und müssen dann im Umkehrschluß auch noch geschützt werden.

     

    Es zeichnet nun mal eine Demokratie aus, daß auch unliebsame Meinungen ertragen werden müssen.

     

    Wer glaubt, dies dann durch offensichtlich unrechtmäßige Handlungen wie Blockaden usw. unterlaufen zu können, muß sich den Vorwurf gefallen lassen, sich auf das gleiche Niveau wie die von ihm Bekämpften begeben zu haben - nämlich der gewaltsamen Unterdrückung mißliebiger Meinung.

     

    Dies sollten sich einige Verteidiger von Thierse vergegenwärtigen.

     

    Man sollte Faschismus nicht mit den Mitteln bekämpfen, die dieser selbst anwenden würde, hätte er die Macht dazu.

  • R
    ralph

    Wenn CDU- und FDP-Vertreter Thierse wegen seiner Nazi-Blockade angreifen, heißt das ja im Umkehrschluß, daß diese Leute die Nasen viel lieber marschieren gesehen hätten. Glückwunsch an die CDU / FDP, über soviel Unterstützung werden sich die Rechten bestimmt richtig freuen. Das auch einzelne Sozialdemokraten so denken, macht die Sache nicht besser. Aber vor allem: Hochachtung vor Herrn Thierse, der wenigstens soviel Selbstachtung besitzt und sich nicht von rechtslastigen Paragrafenreitern beirren lässt !

  • M
    michael

    Aufmärsche von verbotenen verfassungswidrigen Parteien würden schlicht und einfach gar nicht stattfinden, daher müsste man gegen sie auch nicht protestieren.

    Was aber, wenn eine Partei zwar verfassungswidrig, jedoch aufgrund von Querelen um V-Leute noch nicht verboten ist?

    Dann ist jeder Demokrat gehalten, zivilen Ungehorsam zu leisten!

    Diejenigen, die sich immer fein raus halten, sollten sich mit Kritik zurückhalten: Sie selbst, ihre Passivität ist es, die fragwürdig ist!

    Und was die Kritik aus den Reihen der Polizei anbelangt: Die Polizei hat in politischen Angelegenheiten neutral zu sein.

    Wer sich daran nicht hält, gegen den sollte dienstrechtlich ermittelt werden.

  • LE
    Lady Enigma

    Aha... Da ist es also verwerflich, an der Würde eines der höchsten Repräsentanten dieses Staates zu zweifeln wenn dieser eine Straftat begeht, die mit bis zu drei Jahren Haft geahndet werden kann....

    Rücktrittsforderung vom Jungsturmvolk Der SE... pardon SPD. Irgendwie hat man in diesen Kreisen seltsame Vorstellungen von Demokratie entwickelt.

  • AB
    Anette Betina Roming

    Ich vermute mal, daß Herr Thierse in erster Linie Mensch ist und somit wie jeder andere Staatsbürger in Deutschland, das Recht der freien Meinungsäußerung genießt. Oder sollte ich mich da täuschen?

  • VI
    Verstehe ich nicht

    Ich überspitze jetzt einmal, mich nervt das eine Partei in einem Dorf die falsche Linie hat. Der Vorsitzende ist bekannt, ist es mir jetzt erlaubt jeden morgen vor seiner Ausfahrt durch eine Sitzblockade meinen Unwillen zu zeigen? Selbstverständlich verlasse ich, wenn die Polizei es anordnet, die Straße.

     

    @TAZ es ist nicht nett, dass ich hier mit Hund bezeichnet werde. Vielleicht mal die Captchas anpassen.

  • JH
    Jens Hellermann

    Nun, wenn Frau Hertel ihre Äusserung bereut, sollte man ihr sicherlich die Chance geben Ihre Rolle als Beamtentochter in Zukunft abzuschütteln.

     

    Ärgerlicher ist der Kommentar von Herrn Tom Schreiber.

     

    Es zeugt von einer gewissen Realitätsfremde zu behaupten, Herr Thierse habe seine politische Immunität ausgenutzt.

     

    Sehr geehrter Herr Schreiber:

     

    erstens halten Wasserwerfer nur drauf und nichts von Immunität und zweitens kennen die meisten Polizisten aus West- und Ostdeutschland Herrn Thierse nicht, was ihn also im Ernstfall auch nicht vor Schlägen bewahrt hätte.

     

    Gruß, JensAusBanDerSpree.

  • JH
    Jens Hellermann

    Nun, wenn Frau Hertel ihre Äusserung bereut, sollte man ihr sicherlich die Chance geben Ihre Rolle als Beamtentochter in Zukunft abzuschütteln.

     

    Ärgerlicher ist der Kommentar von Herrn Tom Schreiber.

     

    Es zeugt von einer gewissen Realitätsfremde zu behaupten, Herr Thierse habe seine politische Immunität ausgenutzt.

     

    Sehr geehrter Herr Schreiber:

     

    erstens halten Wasserwerfer nur drauf und nicht von Immunität und zweitens kennen die Meisten Polizisten aus West- und Ostdeutschland nicht, was ihn also im Ernstfall auch nicht vor Schlägen bewahrt hätte.

     

    Gruß, JensAusBanDerSpree.

  • B
    brigitta

    das hat er richtig gemacht, endlich mal ein Politiker der mal was richtiges tut!!!!!

  • M
    Mathilde

    Ich ziehe meinen Hut vor Herrn Thierse und seiner Zivilcourage.

    Wo waren denn all die anderen Demokraten? Die Kritik an Thierse ist einfach nur lächerlich und lenkt vom eigentlichen Problem ja so wunderbar ab.

    Das Problem ist nicht Herr Thierse, der hier Flagge gezeigt hat, sondern der braune Mob, der ungeniert durch unsere Straßen zieht und auch noch Beifall erhält. Vielleicht sollte sich die von UNS bezahlte Politikerkaste mal lieber Gedanken darum machen, welchen Anteil sie am Erfolg der Nazis ist.

    Das gehört diskutiert und nicht, ob Herr Thierse da hätte sitzen dürfen.

    Er mußte, er ist seiner Überzeugung gefolgt und dafür zolle ich ihm Respekt. Ich würde mir mehr aufrechte Politiker in diesem Land wünschen, statt austernschlürfender Juppies, die sich Sorgen um ihr nächstes Golfspiel machen.