: 00 Y2K – und fast überall auf der Welt ist alles okay
Nur australische Automaten und der Computer eines US-Spionagesatelliten fielen aus
Berlin (taz) – Kairo und Istanbul hatten zum Jahreswechsel sicherheitshalber ihre U-Bahnen geschlossen, in Peking wurden die Geldautomaten gesperrt, Indonesien drosselte seine Ölförderung, einige Flughäfen machten dicht und die Deutsche Bahn ließ um Mitternacht herum ihre 500 Personenzüge in den Bahnhöfen das neue Jahr abwarten. Groß war die Angst gewesen, durch den Jahr-2000-Computerfehler könnten Atommeiler, Öltanker oder Züge außer Kontrolle geraten. Denn viele ältere Computerprogramme sehen nur die letzten zwei Ziffern für die Jahreszahl vor und können das Jahr 2000 nicht vom Jahr 1900 unterscheiden.
Doch das gefürchtete Chaos blieb aus: Kaum ein wirklich wichtiger Computer wurde lahm gelegt. Telefon, Wasserversorgung, Stromnetze und Verkehrsflüsse blieben weltweit stabil – allein im westafrikanischen Gambia fiel in der Silvesternacht vorübergehend der Strom aus.
Ansonsten belegen nur wenige kleine Zwischenfälle, dass der Jahr-2000-Fehler nicht das Hirngespinst von Science-Fiction-Autoren war: In Australien fielen kurzfristig Fahrkartenautomaten in Bussen aus, in einer chinesischen Provinz versagten die Taxameter, der französische Wetterservice überschrieb seine Vorhersage zunächst statt mit Jahr „2000“ zunächst mit „19100“, in den USA fielen an einer Pferderennbahn in Delaware 800 Geldspielautomaten aus und in einem ägyptischen Krankenhaus versagten kurzfristig drei Dialysegeräte. Peinlich war der Ausfall eines Bodencomputers des US-amerikanischen Verteidigungsministeriums für drei Stunden, mit dem Daten von Spionagesatelliten ausgewertet werden, schließlich hatte sich die US-Regierung stets gerühmt, beim Jahr-2000-Problem ganz vorn zu sein.
Aus Deutschland wurde bislang kein wesentliches Problem gemeldet. Zwar hatte das Bundesinnenministerium am Berliner Spreebogen einen Krisenstab gebildet, das Technische Hilfswerk um Notstromaggregate gebeten und vorsichtshalber 1.000 Frikadellen braten lassen, doch zum großen Frust der anwesenden Journalisten blieb das Chaos aus.
Statt nach Katastrophen musste sich Brigitte Zypries vom Bundesinnenministerium schließlich nach dem Sinn der ganzen Aktion fragen lassen: Waren die Warnungen des vergangenen Jahres vor dem Computerfehler nicht übertrieben gewesen? Die Staatssekretärin dementierte: Die Testläufe im vergangenen Jahr hätten tatsächlich viele Schwachstellen offenbart, die so rechtzeitig beseitigt worden seien.
Allein die Deutsche Telekom hat zum Beispiel rund 300 Millionen Mark ausgegeben, um ihre Anlagen vom Jahr-2000-Fehler zu befreien. Ohne dies wären einige Vermittlungsstellen ausgefallen. Weltweit wurden nach Schätzungen mindestens 600 Milliarden Mark ausgegeben. Auch wenn das Chaos bislang ausblieb; nicht alles war umsonst: Viele Firmen wie Delta Airlines nutzten die Fehlerbeseitigung in ihren Computersystemen auch für eine Neuorganisation ihrer Software, die ihnen nun einen Marktvorteil bringt.
Vor allem in den Entwicklungsländern und in den osteuropäischen Staaten hatten viele westliche Experten mehr Probleme erwartet. Doch offenbar ist die Infrastruktur dort nicht so sehr von Computern abhängig, wie Bruce McConnell erklärt, der Leiter des internationalen Jahr-2000-Kooperationszentrums. Auch ist der Zeitverzug dieser Länder nicht so sehr ins Gewicht gefallen, weil man dort oft die Computerprogramme nicht – wie im Westen üblich – aufwendig renovierte, sondern schlicht das Datum auf das Jahr 1972 zurücksetzte. In diesem Jahr verhalten sich die Wochentage zum Datum genau wie im Jahr 2000 und der Computer kommt nicht ins Schleudern.
Freilich ist die Sache noch nicht ganz ausgestanden. Denn viele Unternehmen hatten ihre Computer über die Feiertage heruntergefahren und nehmen sie erst heute wieder richtig in Betrieb. Andere Fehler, vor allem in der Buchhaltung, könnten erst auftauchen, wenn Rechnungen und Bilanzen erstellt werden. Nur zehn Prozent der möglichen Jahr-2000-Fehler tauchen in den ersten zwei Januarwochen auf, schätzt die Computer-Analystenfirma The Gartner Group, mehr als die Hälfte schlummern noch länger in den Rechnern. Matthias Urbach
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