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… und raus bist du!taz-Debatte „Berlin nach Pisa: Wo bleibt die Chancengleichheit?“ (Teil 12)

Bildung braucht einen höheren Stellenwert. Von Angelika Hüfner

Nicht erst seit den Ergebnissen der Pisa-Studie ist klar: Von Chancengleichheit kann im deutschen Bildungssystem kaum die Rede sein. Ganz im Gegenteil: Kinder aus armen und eingewanderten Familien haben es schwer. In Berlin besuchen sie vor allem Kitas und Grundschulen in den Innenstadtbezirken. Was tun mit diesen Bildungseinrichtungen? Wie können sie allen Kindern gleiche Chancen eröffnen? Diesen Fragen widmet sich immer dienstags eine Debattenserie der taz.

ie Analyse ist eindeutig: alle empirischen Befunde weisen darauf hin, dass in kaum einem Land der Welt der Zusammenhang zwischen sozioökonomischer Herkunft und Schulerfolg so groß ist wie in Deutschland. Oder anders: In Deutschland ist die Entkoppelung von sozialer Herkunft und Bildungserwerb am wenigsten gelungen. Das ist umso erstaunlicher, als die Frage der Chancengleichheit schon einmal im Zentrum bildungspolitischer Debatten der 60er- und 70er-Jahre stand.

Wenn wir uns die gegenwärtigen Zahlen anschauen, sind die Ergebnisse wenig ermutigend. In Deutschland gehören 22,5 Prozent der 15-Jährigen zur potenziellen Risikogruppe der schwachen Leser. Zwei Drittel dieser Gruppe sind Jungen, 47 Prozent sind selbst oder ihre Eltern sind in Deutschland geboren. Ernsthafte Defizite in der Sprachbeherrschung können durch Leistungsstärken in anderen Bereichen nicht ausgeglichen werden. Diese Jugendlichen gelten für den Beschäftigungsmarkt eines hoch industrialisierten Landes als kaum vermittelbar.

Die Ergebnisse sind auch deshalb so entmutigend, weil wir fest davon überzeugt waren, diese Kinder nicht zu vernachlässigen. Im Gegenteil. Der Anteil an Förder- und Stützmaßnahmen für Bildungsbenachteiligte hat zumindest in Berlin in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Eine wirkliche Lösung der Probleme steht aber noch aus.

Viel zu lange wurde die empirische Schulforschung vernachlässigt, wurden internationale Bildungsvergleiche ignoriert. Vieles haben wir sehr spät wahrgenommen oder nur halbherzig: die Auswirkungen misslungener Stadtteilpolitik und die damit einhergehende Ballung sozial benachteiligter Kinder und Jugendlicher, die wachsende Anzahl zuwendungsbedürftiger, verhaltensauffälliger Schüler aus emotional verarmten Elternhäusern, die zunehmende Anzahl von Kindern, die ohne ein einziges Buch in der elterlichen Wohnung aufwachsen, aber auch die zunehmenden Ängste kultureller Entfremdung bei deutschen wie bei nichtdeutschen Familien.

Was ist zu tun? Wir wissen nicht erst seit Pisa, dass Bildung der Schlüssel zum persönlichen und sozialen Erfolg ist. Die von der OECD ermittelten Daten weisen darüber hinaus einen engen Zusammenhang von Bildungsstandard und wirtschaftlicher Prosperität nach. Das Thema Bildung ist damit zu einem politischen Faktor geworden, mit dem Wahlen gewonnen und Wahlen verloren werden können. Und das bleibt nicht folgenlos.

Es gibt eine Fülle von Einzelmaßnahmen, die in den Ländern geplant und von der Kultusministerkonferenz (KMK) als der gemeinsamen Konferenz aller 16 Bundesländer in ihrer Durchführung systematisch begleitet werden. Es herrscht im Prinzip große Einigkeit über zentrale Reformfelder:

– frühkindliche Bildungsförderung,

– Lernzeiten besser nutzen,

– Bildungsangebote individualisieren, aber auch standardisieren, um allen Begabungen gerecht zu werden und mehr Verbindlichkeit, Vergleichbarkeit und damit auch mehr Gerechtigkeit in das Bildungssystem einziehen zu lassen.

Länder mit guten Leistungen in der Spitzengruppe haben bewiesen, dass die Förderung Bildungsbenachteiligter keineswegs zu Lasten der Leistungsspitzen geht. Im Gegenteil. Nur wer konsequente Breitenförderung betreibt, wird ein hohes Leistungsniveau in den Schulen erreichen können. Equality und Quality sind keine Gegensätze.

Berlin ist Teil dieses länderübergreifenden Konsenses. Die Reformansätze der Berliner Bildungspolitik spiegeln sich in den Handlungsfeldern der Kultusministerkonferenz wider. Die Fülle der Einzelmaßnahmen ist aber nicht das Entscheidende. Es wird bei nüchterner Betrachtung aller Daten und Fakten letztlich um die Verwirklichung einer neuen Bildungsphilosophie gehen, die über Einzelmaßnahmen hinweg und in bildungspolitische Entscheidungsfelder hinein wirken muss. Und das kann sie nur, wenn sie Ausdruck eines gesellschaftlichen Konsenses ist.

Ohne einen erhöhten Stellenwert von Bildung in unserer Gesellschaft wird sich das System Schule nur schwerlich zu einem Ort verändern können, in dem Bildung sich wirklich ereignet. Damit sind genannt die Professionalität des Lehrberufes als Folge veränderter Lehreraus- und -weiterbildung, eine neue Lernkultur und Anstrengungsbereitschaft der Lernenden als Antwort auf ein lebensnahes Angebot der Schule, die erzieherische Ergänzung von Elternhaus und Schule, die Öffnung der Schule für ihr Umfeld sowie ihre Entwicklung zu einer selbständigen Schule, die bereit und fähig ist, Ergebnisverantwortung zu übernehmen, weil sie pädagogische, personelle und finanzielle Prozesse vor Ort verantwortlich entscheiden und steuern kann.

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