+++ Nachrichten zum Ukrainekrieg +++: Raketenangriffe auf die Region Lwiw
Auch Kiew ist am Samstag erneut beschossen worden, Moskau hat ein Einreiseverbot für Boris Johnson verhängt, und eine Kriegsbriefmarke wird zum Sammlerstück.
Russland droht mit verstärkten Attacken
Kiew ist am Samstagmorgen erneut beschossen worden. Im Stadtbezirk Darnyzkie habe es Explosionen gegeben, teilte Bürgermeister Witali Klitschko in einer Online-Botschaft mit. Retter und Mediziner seien vor Ort. Einzelheiten zu Opfern und Schäden würden später mitgeteilt. Über dem Osten der Hauptstadt war dichter Qualm zu sehen. Klitschko warnte geflohene Einwohner vor einer Rückkehr nach Kiew. Dort sei noch nicht sicher.
Zudem hat Russland nach ukrainischen Angaben mit Marschflugkörpern angegriffen. Russische Militärflugzeuge seien in Belarus gestartet und hätten Marschflugkörper auf die an Polen grenzende ukrainische Region abgefeuert, teilt das ukrainische Militär mit. Vier russische Marschflugkörper seien von der ukrainischen Luftabwehr abgefangen worden.
Das russische Verteidigungsministerium wiederum verlautbart, dass die russische Armee zwei Rüstungsbetriebe in der Ukraine zerstört habe. Es handle sich um ein Werk für gepanzerte Fahrzeuge in Kiew und eine Einrichtung für militärische Reparaturen in Mykolajiw.
Russland hat mit verstärkten Attacken in der Ukraine gedroht. „Die Zahl und das Ausmaß von Raketenangriffen auf Ziele in Kiew wird erhöht als Antwort auf jedwede terroristische Attacke des nationalistischen Kiewer Regimes oder Ablenkungsmanöver auf russischen Gebiet“, sagte der Sprecher des Moskauer Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow. Russland hat der Ukraine vorgeworfen, in der russischen Region Brjansk etwa 100 Wohnhäuser beschädigt zu haben. Die Ukrainische Regierung hat dies nicht bestätigt. Die Berichte konnten nicht unabhängig geprüft werden.(ap/rtr)
Moskau verhängt Einreiseverbot für Boris Johnson
Russland hat als Antwort auf westliche Sanktionen infolge des Ukraine-Kriegs ein Einreiseverbot gegen den britischen Premierminister Boris Johnson verhängt. Auch Verteidigungsminister Ben Wallace und Außenministerin Liz Truss dürfen nicht mehr nach Russland. Auf einer Liste, die das Außenministerium in Moskau veröffentlichte, steht die Namen von insgesamt 13 britischen Verantwortlichen. Zuvor hatte Russland schon Einreiseverbote gegen US-Präsident Joe Biden sowie führende Vertreter der Europäischen Union, Australiens und Neuseelands erlassen.
Das Außenministerium in Moskau warf der britischen Regierung „nie da gewesene feindliche Handlungen“ vor. London stehe hinter einer „Informationskampagne“, die zum Ziel habe, Russland international zu isolieren und wirtschaftlich zu schädigen. Die neuen westlichen Sanktionen ergingen noch vor Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine vor mehr als sieben Wochen. Die USA haben Russlands Präsidenten Wladimir Putin und seinen Außenminister Sergej Lawrow sowie weitere Regierungsmitglieder auch persönlich sanktioniert. (dpa)
CIA: Keine Hinweise auf bevorstehenden Atomwaffeneinsatz
CIA-Direktor William Burns hat nach eigenen Angaben keine Hinweise auf einen bevorstehenden russischen Atomwaffeneinsatz in der Ukraine. Zwar dürfe man die Gefahr nicht auf die leichte Schulter nehmen, dass Russland taktische Kernwaffen einsetzen könne, sagte Burns in einer Ansprache am Georgia Institute of Technology und versicherte: „Wir tun das nicht.“ Die russische Führung wolle womöglich verzweifelt einen Erfolg ihres Feldzugs präsentieren. Er kenne aber keine praktischen Anzeichen dafür, dass ein Einsatz taktischer Atomwaffen unmittelbar bevorstehe.
Taktische Atomwaffen haben im Vergleich zu strategischen geringere Sprengkraft und Reichweite. Sie sollen auf dem Gefechtsfeld eingesetzt werden, um den eigenen Truppen den Weg frei zu bomben. (ap)
🐾 Joschka Fischer: Deutschland hat Ukraine nicht ernstgenommen
Der grüne Ex-Außenminister wirft der deutschen Politik der vergangenen Jahre eine völlige Verkennung der Lage in der Ukraine vor. Im Interview mit der taz sagt er, dass die Deutschen mit dem russischen Angriff das Ende eine langen Nachkriegszeit erleben. Es sei ein Irrtum gewesen, als Konsequenz der eigenen missratenen Geschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf Abschreckung und militärische Sicherheit zu verzichten.
Holocaust-Überlebende spricht von Genozid an den Ukrainern
Die Holocaust-Überlebende Anastasia Gulej hat am Freitagabend bei einer Gedenkveranstaltung zum 77. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Bergen-Belsen gesprochen. „Möge euer Land nie wieder einen Krieg erleben“, sagte die 96-Jährige, die Anfang März aus ihrer Heimatstadt Kiew fliehen musste und von Freunden in Deutschland untergebracht wurde. Gulej nahm auf Einladung der Arbeitsgemeinschaft Bergen-Belsen an der Veranstaltung „Lichter auf den Schienen“ teil. Knapp 100 Besucherinnen und Besucher waren gekommen.
Die Zeitzeugin sprach russisch, eine Dolmetscherin übersetzte ihre Rede. Dass sie nun erneut vor einem Krieg fliehen musste, mache sie fassungslos, sagte Gulej. „Mir fehlen die Worte für den Genozid an den Ukrainern, für das, was die Hitler-Verehrer aus dem Kreml in Butscha und Mariupol angerichtet haben.“ (epd)
Ukraine erwartet Rückgang des BIP um 30 bis 50 Prozent
Die Regierung der Ukraine rechnet mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in diesem Jahr um 30 bis 50 Prozent. Das sagt Finanzminister Serhij Martschenko im Fernsehen. (rtr)
Neun humanitäre Korridore vereinbart
In den umkämpften Regionen Luhansk und Donezk im Osten der Ukraine sind nach Angaben der Regierung einmal mehr neun humanitäre Fluchtkorridore eingerichtet worden. Eine Fluchtmöglichkeit gebe es für Privatfahrzeuge aus der besonders betroffenen Hafenstadt Mariupol im Gebiet Donezk in Richtung der Stadt Saporischschja, teilte Vize-Regierungschefin Iryna Wereschtschuk am Samstag in Kiew mit.
Weitere Korridore seien in der Region Luhansk eingerichtet worden, mit vorläufigem Ziel Bachmut. Auch aus der zerstörten Stadt Sjewjerodonezk sollten Menschen in Sicherheit gebracht werden. Von einst rund 130.000 Bewohnern sollen dort noch etwa 20.000 leben. Die humanitären Korridore könnten aber nur funktionieren, wenn der Beschuss seitens der russischen Besatzer eingestellt werde, schrieb Wereschtschuk im Nachrichtenkanal Telegram.
Die Ukraine und Russland werfen sich gegenseitig vor, die Flucht von Zivilisten über solche Korridore zu sabotieren. Die Routen werden jeden Tag neu angekündigt. Zehntausende konnten nach ukrainischen Angaben bereits flüchten. (dpa)
Weber und Hofreiter drängen auf Ölembargo
Der Druck auf die Bundesregierung und die EU, Energieimporte aus Russland zu stoppen, hält an. „Zumindest der Bezug von Kohle und Öl muss umgehend gestoppt werden“, verlangte der CSU-Europapolitiker Manfred Weber in der Passauer Neuen Presse. Vor allem mit Öl verdiene Russlands Präsident Wladimir Putin am meisten.
Der CSU-Politiker und Fraktionschef der Europäischen Volkspartei (EVP) im Europaparlament mahnte zu einem harten Kurs angesichts des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. „Sollte Putin militärisch erfolgreich sein, wird er nicht aufhören. Er führt einen Krieg gegen Freiheit und Demokratie, gegen die westliche Staatengemeinschaft, gegen uns“, warnte Weber. Der Bundesregierung warf er vor, bei Maßnahmen gegen Russland auf europäischer Ebene „der Bremser“ zu sein.
Auch der Grünen-Europapolitiker Anton Hofreiter drängte erneut auf schärfere Sanktionen gegen Russland. „Ein Erdölembargo muss schnell umgesetzt werden, um Russland von wichtigen Einnahmen abzuschneiden“, forderte er in der Welt am Sonntag.
Für ein Ölembargo sprach sich auch erneut die Wirtschaftswissenschaftlerin Veronika Grimm aus, die auch dem Sachverständigenrat der Bundesregierung zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung angehört. Deutschland schrecke vor einem Ölembargo zurück, „in der Hoffnung die eigenen Kosten gering zu halten“, schrieb sie auf Twitter. Dabei ignoriere die Regierung jedoch „die langfristigen Kosten des Nichthandelns“ und auch „die Empfehlungen der Mehrzahl der Wissenschaftler“.
Eine Schlüsselrolle bei den Ölimporten aus Russland spielt in Deutschland die PCK-Raffinerie im brandenburgischen Schwedt. Dort endet eine Pipeline für russisches Öl und von dort werden große Teile vor allem Ostdeutschlands mit Ölprodukten versorgt. Die EU prüft derzeit ein Ölembargo im Rahmen eines nächsten Sanktionspaketes gegen Russland. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) arbeitet nach eigenen Angaben an dessen Umsetzbarkeit, legte sich aber bislang nicht fest. (afp)
Mercedes-Benz-Chef warnt vor Stopp von Energielieferungen
Mercedes-Benz-Chef Ola Källenius warnt vor einem kurzfristigen Stopp russischer Energielieferungen wie Gas. „Eine starke Wirtschaftsleistung ist die Grundlage für Deutschland, überhaupt reagieren zu können, egal in welcher Dimension“, sagt Källenius der Süddeutschen Zeitung. „Wir helfen der Ukraine nicht, wenn wir uns selbst schwächen. Genau das würde aber passieren bei einem sofortigen Energie-Stopp.“ In der Autobranche ließen sich etwa Lackieranlagen nicht einfach abschalten, weil sie verstopfen würden. „Solche Beispiele gibt es in nahezu allen Unternehmen.“ (rtr)
Geflüchtete sollen Kriegsverbrechen melden
Bundesjustizminister Marco Buschmann will Kriegsverbrechen in der Ukraine mit der Hilfe von Flüchtlingen in Deutschland aufklären lassen. „Wir rufen alle ukrainischen Geflüchteten auf, dass sie sich an alle Polizeidienststellen wenden können, wenn sie Opfer oder Zeugen von Kriegsverbrechen geworden sind“, sagt der FDP-Politiker der Welt am Sonntag. Das Bundeskriminalamt werte die Erkenntnisse im Rahmen von Ermittlungen des Generalbundesanwalts aus. Zudem unterstütze Deutschland den Internationalen Strafgerichtshof mit zusätzlichem Geld und Personal. (rtr)
Selenskyj: bis zu 3000 ukrainische Soldaten gestorben
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selinskyj hat die Verluste seiner Truppen auf bis zu etwa 13 000 beziffert. Schätzungsweise 2500 bis 3000 Soldaten seien in Kämpfen mit den russischen Invasoren getötet worden, sagte Selinskyj dem Fernsehsender CNN. Etwa 10.000 seien verwundet und es sei schwer zu sagen, wie viele von ihnen überleben werden. (ap)
Geflüchtete bringen mehr als 28.000 Haustiere mit
Geflüchtete aus der Ukraine haben mehr als 28.000 Haustiere mit nach Deutschland gebracht. Das berichtete die Rheinische Post unter Berufung auf Angaben des Deutschen Tierschutzbundes. Demnach haben gut acht Prozent der bislang gut 340.000 in Deutschland registrierten Ukrainerinnen und Ukrainer Hund oder Katze dabei. Bei einer Unterbringung in Flüchtlingsunterkünften sorge dies teilweise für Probleme.
„Die Tiere sind für die Geflüchteten ein wichtiger Anker, der ihnen Halt und Kraft gibt“, sagte die Sprecherin des Tierschutzbundes, Lea Schmitz, der Zeitung. Deshalb müssten Fluchtunterkünfte so ausgestattet werden, dass die mitgeführten Tiere bei ihren Besitzern bleiben könnten. Dies sei bisher jedoch nicht überall der Fall. Oft werde demnach mit dem Seuchenschutz und Hygieneaspekten argumentiert. Aufgefangen würden die Tiere dann in örtlichen Tierheimen.
Das Bundesinnenministerium sicherte laut Rheinischer Post zu, sich um das Problem kümmern zu wollen. Für die traumatisierten Menschen sei es wichtig, „dass ihre Haustiere bei ihnen sind“, schrieb demnach der Parlamentarische Staatssekretär im Innenressort, Mahmut Özdemir (SPD), an den Tierschutzbund. Dies versuche man bei der Unterbringung der Menschen „weitestgehend zu berücksichtigen“. Der Bund werde auch in Gesprächen mit den Ländern und Kommunen darauf hinweisen. (afp)
Kriegsbriefmarke wird zum Sammlerstück
In der Ukraine ist eine Briefmarke mit dem Motiv eines ukrainischen Soldaten, der einem russischen Kriegsschiff den „Stinkefinger“ zeigt, zum Sammlerstück geworden. Am Hauptpostamt in Kiew standen am Freitag hunderte Ukrainer stundenlang Schlange, um Exemplare dieser Briefmarke zu ergattern. Die Briefmarke hat durch den Untergang der „Moskwa“, des Flaggschiffs der russischen Schwarzmeerflotte, neue Bedeutung gewonnen.
Die Hintergrundgeschichte des Motivs liegt jedoch schon in den Anfangstagen des Kriegs. Die „Moskwa“ attackierte im Februar die nahe der rumänischen Grenze gelegene ukrainische Schlangeninsel. Der Funkverkehr mit den ukrainischen Grenzschützern auf der Insel ging viral: Auf die Aufforderung, sich zu ergeben, antworteten die Grenzwächter, „F..ck you“. Der Funkspruch ging um die Welt und wurde zum Symbol des ukrainischen Widerstands.
Anfang März schrieb die ukrainische Post einen Wettbewerb aus, um an das Ereignis zu erinnern. Nach über 500 Vorschlägen wurde die Illustration des Zeichners Boris Groh ausgewählt. Sie zeigt einen ukrainischen Soldaten, der auf gelbem Sand einem russischen Schiff den Mittelfinger zeigt.
„Als wir die Briefmarke entwarfen, wussten wir nicht, wie diese Episode ausgehen würde, aber wir sind sehr froh darüber“, kommentierte Ihor Smeljansky, Generaldirektor der ukrainischen Post.
Die Briefmarke war bereits am Freitagnachmittag in Kiew ausverkauft. „Wir wollten mehr drucken“, sagte Smeljansky. Aber russische Luftangriffe auf Kiew hätten „den Betrieb der Fabrik gestört und wir konnten nicht die geplante Menge drucken“. Nun sollen schleunigst weitere Marken der auf eine Million Exemplare limitierten Edition produziert werden. (afp)
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