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Menschen statt Autos SUV raus!

Sozialökologisch orientierte Politiker wie Anne Hidalgo und Boris Palmer haben dem SUV in Paris und Tübingen den Kampf erklärt – und das ist auch richtig so, meint Udo Knapp.

Innenstädte und Wohnquartiere autofrei zu machen, ist für eine lebenswerte Zukunft dort unerlässlich picture alliance/dpa/Boris Roessler

taz FUTURZWEI | Der SUV, das Sport Utility Vehicle, dieses panzerähnliche Großgerät, ist die perfekte Erfindung der Autoindustrie, um ihre Absatzkrise der letzten Jahre auszugleichen. Im Jahr 2022 wurden 1,08 Millionen von ihnen in der Bundesrepublik neu zugelassen. Der SUV ist die am Markt erst mal erfolgreiche Ansage der Autoindustrie für die Eröffnung des Kulturkampfes um die Zukunft der Mobilität in den Zentren und Quartieren der Städte. Mit dem SUV wird die Frage unübersehbar, welche Rolle das Auto überhaupt im zukünftigen, urbanen Leben noch spielen soll.

Die SUV sind deutlich schwerer als alle Mittelklassewagen, sie verbrauchen 20 Prozent mehr Kraftstoff als der Durchschnitt aller übrigen Autos. Sie verknappen den Parkraum für allen übrigen PKW, weil sie mindesten anderthalb mal so viel Platz zum Parken brauchen. Ihre Zahl nimmt ständig zu. Im Jahr 2022 führten sie mit 30 Prozent die Neuzulassungen in der Bundesrepublik an. Die SUV werden laut Vergleichsportal Verivox zu 60 Prozent von 60 bis 79jährigen gekauft. Ein mutmaßlicher Grund ist die gefühlte und reale Sicherheit: In den SUV sitzen Fahrer und Beifahrer höher, haben eine bessere Übersicht, sind bei allen denkbaren Unfällen wegen ihrer Größe und ihres Gewichtes im Vorteil. Nach Untersuchungen der Internationalen Energieagentur (IEA) aus dem Jahr 2023 tragen die mittlerweile weltweit herumfahrenden 330 Millionen SUV mit fast einer Milliarde Tonnen zum jährlichen CO2-Ausstoß bei.

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Sollen die SUV den Takt bestimmen?

Sollen die SUV im herrschenden „catch as catch can“-Verkehrsmodus das Chaos vervielfachen? Sollen die Verkehrsplaner die Zahl der Parkplätze zu Lasten von Busspuren, Fahrradwegen und Bürgersteigen für die SUV erhöhen? Sollen die SUV den Takt für einen weiteren Ausbaus des autogerechten Gebrauchs der Stadt bestimmen? Soll die provokative Mobilmachung der Autoindustrie gegen eine ökologische Verkehrswende und die Erneuerung städtischen Lebens jenseits aller hingenommen werden?

Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer hat als Erster vor zwei Jahren darauf mit „nein“ geantwortet. In seiner Stadt wurden 2021 die Parkgebühren von damals 30 Euro auf 120 Euro und auf 180 Euro für SUV erhöht. Tübingen soll keine Autostadt mehr sein.

Anne Hidalgo, sozialdemokratische Bürgermeisterin von Paris, hat weiter reichende Pläne. Paris soll die grüne Hauptstadt Frankreichs werden. Ihr jüngster Schritt in diese Richtung: Mit Hilfe einer erfolgreichen Bürgerbefragung hat sie die Verdreifachung der Parkgebühren für alle Paris-Besucher mit Autos ab 1,6 Tonnen - also alle SUV - durchgesetzt. Ab 1. September kostet die Stunde 18 Euro. Auch wenn die Beteiligung an der Bürgerbefragung mit 6 Prozent aller Abstimmungsberechtigten sehr niedrig war, muss das Ergebnis als Zustimmung für ihre Politik gewertet werden.

Den öffentlichen Raum allen Bürgern zurückgeben

Hidalgo will mehr als nur die SUV aus den Wohn-Quartieren verdrängen. Sie hat die Schnellstraßen am Seine-Ufer für Autos gesperrt und die Rue de Rivoli, eine der wichtigsten Durchgangsstraße durch Paris zur Fahrradstraße erklärt. Sie hat tausende nunmehr ehemaliger Parkplätze mit Beeten, Büschen und Bäumen bepflanzen lassen. Sie will bis 2025 170.000 Bäume in der Stadt pflanzen lassen. Für die Zeit nach den Olympischen Spielen im kommenden Sommer plant sie die vier erweiterten Innenstadtbezirke zur verkehrsberuhigten Zone zu erklären. Zugleich will sie auf der Ringautobahn um die Stadt das zugelassene Tempo auf 50 Stundenkilometer für alle Autos reduzieren, die dritte Spur für Busse und Fahrgemeinschaften reservieren. Zu ihrem Klimaplan 2040 gehört unter anderem die stadtweite Isolierung der Wohnhäuser, um den Energieverbrauch zu senken und die Ausstattung aller öffentlichen Gebäude mit Energie und Wärme aus erneuerbaren Quellen.

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Hidalgos Agenda will mit dem Verdrängen des Autos, den bisher von ihnen und ihren Fahrern privatisierten, öffentlichen Raum allen Bürgern zurückgeben. Die Einkesselung der Lebensbereiche aller Bürger durch Straßen und Parkplätze soll beendet, die entstehenden freien Räume sollen neu definiertes urbanes Leben der Leute ermöglichen. Das ist keine grüne Spinnerei. Es ist für zahlreiche Bürger von Paris wegen der aus der Klimakrise entstehenden Hitzewellen eine Überlebensfrage.

Die Mitte der Städte wieder zu Zentren des Lebens machen

Es gibt noch einen weiteren Grund, die Innenstädte und ihre Wohnquartieren autofrei zu machen. Das Zeitalter der Stadtmitten als Orte des Konsums geht mit der Digitalisierung zu Ende. Kaufhäuser, Einkaufszentren in Innenstädten, Ladenstraßen mit einer konsumfördernden Eventkultur, haben ausgedient. Sie stehen schon heute in vielen Stadtzentren leer. Jenseits der Nahversorgung mit Gütern des täglichen Gebrauchs gibt es schlicht keinen Bedarf mehr für klassische Handelsflächen. Das bringt Probleme mit sich, aber auch echte Chancen: Die frei werdenden Konsumtempel und die zu ihnen führenden Straßen und Parkhäuser bieten Platz für tausende Wohnungen und die dazu gehörende öffentliche Infrastruktur mitten in den Städten.

Anne Hidalgo, Boris Palmer, die Oberbürgermeister von Wuppertal und Hannover, Uwe Schneidewind und Belit Onay, sie sehen in diesem sich längst vollziehenden Digitalisierungs-Umbruch die Chance, die Mitte ihrer Städte wieder zu Zentren des Lebens ihrer Bürger zu machen. Alle vier haben für ihren Weg Unterstützung bei den Bürgern in ihren Kommunen gefunden. In ihren Parteien gelten sie als Exoten. Dabei demonstrieren sie mit ihrer Politik vor Ort, dass Zustimmung zu einer umfassenden ökologischen Transformation der Gesellschaft allein mit der Fixierung auf den klimagerechten Umbau der Wirtschaft (Grüne) und der Sicherung des Sozialstaates (Sozialdemokraten) nicht generiert werden kann. Grüne und Sozialdemokraten hätten die Chance, mit Konzepten für die weichen Themen des Umbaus - Wohnen, Mobilität, Gesundheit, Sorge für die Alten, Bildung - die Zustimmung zu einem ökologischen Neuanfang des gesamten gesellschaftlichen Lebens zu verstärken. Ob sie das wollen, ist bisher nicht erkennbar. Das Vertreiben der SUV und in der Folge aller Autos aus den Zentren der Städte aber ist das richtige Signal für einen großen Aufbruch in diese Richtung.

UDO KNAPP ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen für das Magazin taz FUTURZWEI.