Andreas Bull geht in den Ruhestand : Die ultimative Bull-Analyse
Er war Korrektor und Säzzer, seit 1991 dann Geschäftsführer mit offenem Ohr und viel Herz.
Von JAN FEDDERSEN
Auch er suchte einst Exil in Westberlin, der deutschen Metropole schon vor dem Fall der Mauer, kein Platz war ferner der Provinz, aus der er kam, Kassel nämlich. Am 1. Mai 1987 hatte er, unser beinah väterlich verehrter Kollege Andreas („Andi“) Bull, seinen ersten arbeitenden Tag in der taz, damals noch in der Weddinger Wattstraße, als Korrektor, ein Mann, unverlernt bis heute, der korrekten Rechtschreibung (alt wie neu) und Interpunktion.
Er sagt: „Der Tag in der taz endete noch rechtzeitig, um zum legendären revolutionären 1. Mai und zur bereits brennenden Bolle-Filiale am Görlitzer Bahnhof zu gelangen.“ So ist es unter Linken heute wie damals – mit starkem Bewusstsein für die places to be.
Bull, studierter Erziehungswissenschaftler, kam vom „KommRum“, einem psychosozial orientierten Kommunikationszentrum im damals noch gar nicht so schicken Westberliner Viertel Friedenau – aber zur taz, da wollte er hin, da spielte die alternative Musik, und bei der wollte er zu seinem ganz eigenen Tanz dabei sein.
Ein Juwelier an Texten
Das ökonomisch-verlegerische Gehirn war in jener Zeit, als „Rettungskampagne“ in der taz stärker an Ängsten rührte als das eben havarierte Atomkraftwerk in Tschernobyl, Kalle Ruch. Und weil der, aus der Perspektive der Redaktion, allzu eigensinnig agierte, sollte er einen beigestellt bekommen – und der war Andreas Bull, bekannt aus dem täglichen taz-Produktionsgewusel als allzeit umgänglicher und nie ignoranter Korrektor, also ein Juwelier an Texten, denen er mit Hilfe des Duden zum letzten Schliff verhalf.
Das war 1991, am 7. November des Jahres, und seither hat Bull durchaus geschäftsführend seinen Job gemacht: zuständig für alles Mögliche, Verträge im Personalbereich, als Analyst betriebsinterner Zahlenkolonnen, als Autor der Bull-Analyse und, nicht unwichtig, Bodyguard auf dem taz lab, wenn seltsame Leute, etwa aus Ungarn, die der Philosophin Agnes Heller Gewalt androhten, nötigenfalls an die Luft geschafft werden müssten.
Man wusste, dass der Mann, der mit dem Älterwerden immer attraktiver zu werden schien, Karate kann.
Vielleicht mal die Wohnung renovieren
Sein empathisches Wesen wird an anderer Stelle gepriesen, wichtig über ihn zu wissen ist vor allem, dass er gern Vater ist, mit Passion an seinem Bike hängt, mit diesem schon weite Touren unternommen hat und nun sich Kalle Ruch zum Vorbild nimmt.
Der ging ja auch wie neulich in den Ruhestand und hält sich aus allem raus, was die taz ist. So will es auch Bull halten: vielleicht mal die Wohnung renovieren, eventuell für die taz Genossenschaft...Zukunftsmusik. Das möge nicht als höfliche Floskel, die allen Rentner*innen in spe hinterhergerufen wird, missverstanden werden: Er wird fehlen.
Vor allem seine Coolness, seine Unfähigkeit, in der taz nur eine WG mit Dauerplenum zu sehen. Er hat die taz geprägt, nur im Guten.