Mit Karotten gegen Klimafrevel

Neuer Protestform: In den USA organisiert Brent Schulkin den „Carrotmob“. Er bestellt Hunderte von Leuten zum Blitzeinkauf in das Geschäft, das verspricht, besonders umweltfreundlich zu werden

Auch in Deutschland ist der Mob los, und zwar der Flashmob, zu Deutsch: die Blitzmeute. Diese Meute hat längst Städte wie Berlin, Hamburg oder Freiburg erobert. Menschen, die sich nicht kennen, treffen sich in Warenhäusern, in Imbissbuden oder auf Rolltreppen und blockieren blitzartig den Betrieb. Sie lassen gefüllte Einkaufswagen in den Gängen stehen, bestellen Burger, ohne sie abzuholen, erstarren zu Salzsäulen. Das ist eigentlich als Spaß gedacht und kommt wie der Carrotmob aus den USA. Gewerkschafter haben den Flashmob mittlerweile aber auch als Kampfmittel im Tarifkonflikt entdeckt: Er ist unterhaltsam, kurz, aber schmerzhaft für Arbeitgeber. Richtig behauptet hat sich der Flashmob allerdings noch nicht. Der Berliner Protestforscher Dieter Rucht sagt: „Er hat bislang viele Journalisten, aber wenig Leute bewegt.“ HG

VON HANNA GERSMANN

Die Erde zu retten ist schwere Arbeit. Eigentlich. Jetzt soll das einfacher gehen, man muss nur einkaufen. Jeder Cent an der Kasse zählt – beim Carrotmob. Der Carrotmob, zu Deutsch: die Karottenmeute, hat Deutschland bislang nur per Video erreicht – auf YouTube. Dort sieht es nach großem Einkaufsspaß aus, mit HipHop, strahlenden Menschen, die Geldscheine werfen und durch Regalschluchten tanzen.

Keine Blockade, kein Konsumverzicht, im Gegenteil: Beim Carrotmob geht es darum, Politik mit dem vollen Einkaufswagen zu machen. Hinter der Idee steckt der US-Amerikaner Brent Schulkin. Er meint: „Wir alle kaufen Zeug, stimmt’s?“ Da müsse man sich nur zusammentun und überlegen, was man will. Keine Energieverschwendung, keine Müllberge und so Sachen. Mit der kollektiven Kaufkraft ließen sich Händler und Produzenten dazu bewegen, umwelt- und sozialverträglicher zu werden. Schulkin: „Firmen tun alles für Geld.“

März dieses Jahres. Downtown San Francisco, Mission District. Schulkin besucht 23 Shops. Er erzählt jedem Besitzer, dass er ein Netzwerk von Verbrauchern gründet und dass sie alle kommen, um in einem Geschäft des Viertels eine Menge Geld auszugeben. Nur in welchem, das sei offen. Denn das hänge von einer Frage ab: Wer ist bereit, am meisten für die Umwelt zu tun?

Es beginnt eine Art Auktion. Die Ladenbesitzer müssen erklären, wie viel sie von dem, was der Carrotmob an Geld bei ihnen ausgibt, in einen klimafreundlichen Umbau stecken. Einer sagt: 10 Prozent des Umsatzes, der andere: 17. Der Gewinner ist ein kleines Lebensmittelgeschäft, der K & D Market: Inhaber David Lee bot 22 Prozent.

Schulkin organisiert über Internet, über Facebook, Twitter und MySpace, per E-Mail und über einen Carrotmob-Videochannel Einkäufer für einen Samstagmorgen. Hunderte kommen und kaufen Wein, Chips, Katzenstreu. An einem normalen Tag nimmt Lee 2.000 US-Dollar ein, in nur vier Stunden Happening waren es 9.400 Dollar.

Schulkin: „Mit Carrotmob wird die beste Entscheidung für den Planeten auch die profitabelste.“ Der nächste Carrotmob ist organisiert – für Dienstag in Kansas City. Und es soll weitere geben, in New York, in Los Angeles, in Chicago. „Wir wachsen“, sagt Schulkins Kollege Brad Burton. Er ist dafür zuständig, die Idee von Carrotmob weltweit bekannt zu machen. In London und in Helsinki hatte er Erfolg, dort gab es den neuartigen Protest schon. Auch in Deutschland kümmert er sich um Kontakte, hat aber „noch niemanden wirklich an Bord“, wie er sagt. Die neue Bewegung kommt hierzulande noch nicht an.

Die deutsche Onlineseite www.carrotmob.de ist zwar registriert, auf der Seite steht jedoch nichts. Und Dieter Rucht, Protestforscher am Wissenschaftszentrum Berlin, sagt: „Die Idee klingt clever“, er zeigt sich aber skeptisch. Denn mit einer spontanen, zudem lokalen Aktion sei es nicht getan. „Carrotmobber müssen auch prüfen, ob die Energiesparmaßnahmen umgesetzt werden“ – etwa durch einen Blick in die Geschäftsbücher. Zudem sagt er: „Wer fährt schon zwei Stunden, um symbolisch einzukaufen?“ Die neue Protestform habe nur eine Chance, wenn allerorten viele mitmachen. Rucht meint, sie komme für Greenpeace mit seinen 560.000 Förderern infrage oder für die Gewerkschaften mit rund 6 Millionen Mitgliedern. Nur hat Günter Isemeyer, Sprecher von Ver.di, bislang noch nichts von Carrotmob gehört. Und Patrick Salize von Greenpeace sagt: „Das Momentartige ist nicht unsers.“

Momentartig? Brad Burton findet, das sei ein falsches Wort. Carrotmob beziehe sich auf ein Sprichwort, sagt er. Das geht so: Es gibt zwei Wege, einen Esel zum Laufen zu bringen: Du hältst vor ihm eine Karotte in die Luft, oder du schlägst ihn von hinten mit dem Stock. Burton: „Wir halten der Wirtschaft die Karotte hin – und sie macht Fortschritte, wandelt sich.“

Ladenbesitzer David Lee aus San Francisco hat von seinen 9.400 Dollar Einnahmen die Steuern abgezogen, 22 Prozent berechnet und dann 1.840 US-Dollar ausgegeben. Das Geld reichte für neue Lampen und neue Dichtungen in den alten Kühlgeräten. Die Rettung der Welt ist das nicht, aber ein Anfang ist es allemal.

Mehr Infos: www.carrotmob.org