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Archiv-Artikel

Brüder, zur Stimme, zur Urne

Mit zwei Basisentscheiden will Hamburgs SPD die Krise um die Bundestagskandidatur im Wahlkreis Eimsbüttel lösen. Der Landesvorstand hält sich raus, denn Anfang 2007 hatte schon mal eine Mitgliederbefragung im Desaster geendet

DER WAHLKREIS

Der Bundestagswahlkreis 21 Hamburg-Eimsbüttel ist einer von sechs Wahlkreisen in der Hansestadt und identisch mit dem Hamburger Bezirk Eimsbüttel. Traditionell gelten diese allesamt als sichere SPD-Territorien, wenngleich Ergebnisse über 50 Prozent – bis in die 1980er Jahre die Regel – zur Ausnahme geworden sind. Auch bei der Bundestagswahl 2005 gewann die SPD in allen sechs Wahlkreisen das Direktmandat. Nach den Zweitstimmen hätten ihr nur fünf Mandate für Berlin zugestanden, sie erhielt ein so genanntes Überhangmandat. Wenn 2009 die SPD nur vier Direktmandate gewönne, aber Anrecht auf fünf Abgeordnete hätte, würde die Nummer 2 der Landesliste in den Bundestag einziehen. Denn der Spitzenkandidat in spe, Bundesarbeitsminister Olaf Scholz, wird im Wahlkreis 20 Hamburg-Altona sein Direktmandat verteidigen. Auf Platz 2 der Landesliste aber muss laut Parteisatzung eine Frau kandidieren. Niels Annen wäre erst auf Platz 3 möglich – und chancenlos.  SMV

VON SVEN-MICHAEL VEIT

In gleich zwei Mitgliederbefragungen soll die Basis Hamburgs SPD aus der Krise führen. An den Urnen zu küren wären ein Bundestagskandidat im Wahlkreis Eimsbüttel und der dortige Kreisvorsitzende. Beide Personalien hängen zusammen mit dem Sturz des aktuellen Bundestagsabgeordneten Niels Annen, der trotz Interventionen des Parteivorsitzenden Franz Müntefering und seiner Stellvertreterin Andrea Nahles vor drei Wochen nicht wieder nominiert wurde. Seitdem geht ein Riss durch die Eimsbüttler SPD, der heute Abend auch den Landesvorstand zu spalten droht. Auf einer Krisensitzung dürfte dieser deshalb entscheiden, lieber nichts zu entscheiden. „Wir sind keine Kaderpartei, und ich bin nicht Erich Honecker“, begründet SPD-Landeschef Ingo Egloff mit leichter Gereiztheit sein Nichteingreifen.

Am 15. November war Annen, der 2005 in Eimsbüttel das Direktmandat für Berlin gewann, bei der internen Nominierung mit 44 zu 45 Stimmen seinem Kontrahenten Danial Ilkhanipour unterlegen. Der 27-jährige Jurastudent und Juso-Chef hatte erst kurz zuvor seine Kandidatur bekannt gegeben. Seine Widersacher beschuldigen ihn, sich zuvor mit unsauberen Methoden Mehrheiten besorgt zu haben.

Denn als die Ortsvereine ihre Delegierten für die Wahlversammlung kürten, war nur die Kandidatur des 35-jährigen Annen bekannt. „Ich hätte doch nie Danial selbst zum Delegierten gewählt, wenn ich gewusst hätte, dass er kandidiert“, schimpft eine Genossin. Denn letztlich war die Stimme des Juso-Vorsitzenden die entscheidende.

Vier Tage später legte SPD-Kreischef Jan Pörksen sein Amt nieder. Ihm fehle „die Kraft für den parteiinternen Machtkampf“, den die Jusos „verdeckt vorbereitet“ hatten: „Da wurde betrogen und offen gelogen.“ Der von ihm vorgeschlagene Nachfolger Milan Pein befindet: „Über manche Wunden darf man nicht einfach ein Pflaster kleben, die muss man an der Luft heilen lassen.“ Jetzt stelle sich die Frage, „ob wir für Herrn Ilkhanipour Wahlkampf machen.“ Deshalb soll nach einem Beschluss des Kreisvorstandes von Mittwochabend eine Mitgliederbefragung ergeben, ob die Basis Annen will oder Ilkhanipour.

Sollte sich eine Mehrheit für Annen aussprechen, will der Kreis- den Landesvorstand auffordern, gegen die Abstimmung vom 15. November Einspruch einzulegen. Ilkhanipour aber will „auf keinen Fall“ zurückstecken: „Es ist nicht einzusehen, dass unverantwortliche Funktionäre die Partei in eine überflüssige interne Auseinandersetzung treiben“.

Doch es steht noch eine zweite bevor.Denn jetzt verkündete der Bürgerschaftsabgeordnete Thomas Böwer seine Bewerbung um den Kreisvorsitz. Er wolle gegen Pein in einer Mitgliederbefragung antreten, um größtmögliche Legitimation zu erreichen. Sein Ziel sei es, der Partei klar zu machen, „dass der Gegner nicht unter uns sitzt, sondern Ole von Beust, CDU und Schwarz-Grün heißt“. Pein erklärte gestern, er finde „eine offene und demokratische Gegenkandidatur wie die von Thomas Böwer vollkommen in Ordnung“. Das Wahlverfahren sei aber noch nicht geklärt.

Insgeheim wird im Kreis auf den Landesvorstand gehofft. Dem liegt eine Anfechtung der Nominierung Ilkhanipours vor, die aber wegen widersprüchlicher Gutachten juristisch wackelig ist. Es ist nicht sicher, ob SPD-Mitglieder, die ein Amt bekleiden wollen mindestens ein Jahr in der Partei sein müssen. Sollte das der Fall sein, wären drei Ilkhanipour-Stimmen ungültig. Sollte der Vorstand die Anfechtung ablehnen, dürften die Antragsteller die Landesschiedskommission anrufen. Zweite Instanz wäre die Bundesschiedskommission oder gleich das Hamburger Verwaltungsgericht. Für öffentlichen Krach wäre noch lange gesorgt.

Auch eine Annullierung der Nominierung, wird der Vorstand nicht aussprechen. Denn formal war die Kür Ilkhanipours in Ordnung, „aber die Methode nicht“, so der Eimsbüttler Bürgerschaftsabgeordnete Martin Schäfer: „Der Typ soll sich der Basis stellen, damit Ruhe einzieht“, fordert er. „Für den Gewinner mache ich Wahlkampf.“

Dessen Durchführung aber sei Sache des Kreises, findet der Landesvorstand. Seit dem Debakel beim Mitgliedervotum um die Spitzenkandidatur zur Bürgerschaft ist das ein heikles Thema. Im Februar 2007 wurden 954 Stimmzettel aus der Wahlurne in der Parteizentrale geklaut. „Wenn sowas noch mal schief geht, ist alles zu spät“, seufzt ein Genosse.

Denn der unbekannte Dieb ist noch immer auf freiem Fuß.