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Archiv-Artikel

Islands populäre Hoffnungsträgerin

Jóhanna Sigurdardóttir ist der letzte Trumpf, den Islands Sozialdemokraten noch haben. Es war deshalb ein kluger Schachzug, die 66-Jährige als Übergangsministerpräsidentin zu nominieren. Sie soll statt der von ihrer Position her eigentlich dafür prädestinierten Parteivorsitzenden, bisherigen stellvertretenden Ministerpräsidentin und Außenministerin Ingibjörg Sólrún Gísladóttir, das Land zu Neuwahlen führen.

Sigurdardóttir war das mit Abstand populärste Regierungsmitglied in der am Montag zurückgetretenen Regierung unter dem konservativen Ministerpräsidenten Geir Haarde. Vier von fünf IsländerInnen vertrauen ihr und geben ihr Attribute wie ehrlich, überzeugend, zuverlässig – derzeit eine absolute Mangelware in dieser Branche. In der Koalitionsregierung, die Island seit Mai 2007 führte, war Sigurdardóttir Sozialministerin. Diesen Posten hatte sie unter wechselnden Regierungen schon von 1987 bis 1994 inne.

Die Grundlage für ihren guten Ruf legte sie bereits damals mit einem Ämterverzicht. 1994 war sie als stellvertretende Parteivorsitzende in einer Kampfabstimmung gegen den Parteivorsitzenden Hannibalsson angetreten. Der Sozialdemokratie, die schon im Elternhaus ihre politische Heimat geworden war, warf sie nicht nur einen politischen Rechtsruck, sondern auch Korruption, Vetternwirtschaft und Ämterpatronage vor. Nach einem Achtungserfolg von immerhin 39 Prozent der Stimmen der Parteitagsdelegierten trat sie nicht nur von ihrem Ministeramt zurück, sondern auch aus der Partei aus. „Meine Zeit wird kommen“, waren damals ihre Worte. Der Politik blieb sie treu, zunächst als unabhängige Parlamentarierin und dann wieder innerhalb der Sozialdemokratie. Die hatte sich inzwischen auf den Weg gemacht, zu ihren Wurzeln zurückzukehren.

Nach dem Besuch des Gymnasiums hatte sie zunächst als Stewardess und dann als Büroangestellte gearbeitet. Sie wurde aktiv in der Gewerkschaft der Flugbegleiter, deren Vorsitzende sie 1966 wurde. Ihre Gewerkschaftskarriere setzte sie in der Führung der größten isländischen Gewerkschaft, der der Handelsangestellten fort. Seit 1978 ist Sigurdardóttir ununterbrochen Parlamentsabgeordnete gewesen. Sie lebt mit der Autorin Jónína Leósdóttir in „eingetragener Partnerschaft“ zusammen.

In Interviews formulierte die designierte Ministerpräsidentin bereits zwei wichtige Aufgaben ihrer künftigen Regierung: Die Absetzung des bisherigen Zentralbankchefs Davíđ Oddsson, der die Krise bisher eher verschlimmert habe, sowie eine spezielle staatliche Vorsorge für diejenigen Menschen, die besonders hart von der Finanzkrise getroffen worden sind.

REINHARD WOLFF