: Blatt verdeckt den Himmel
Leichtfüßiger Mix aus Konvention und Moderne: Werke des chinesischen Literatenmalers Zeng Mi sind im Museum für Kunst und Gewerbe zu sehen
Manche der großen Blätter sind im Dickicht der fast hiebartig gesetzten Pinselstriche so wenig darstellend, dass sie wie informelle, gestische Malerei wirken. Aber diese Wahrnehmung der Tuschzeichnungen von Zeng Mi, derzeit zu sehen im Museum für Kunst und Gewerbe, ist eine europäisch geprägte. Der beigefügte chinesische Text erklärt in der jahrhundertealten Tradition historischer Gelehrtenbilder meist ganz genau, worauf sich diese Pinselspuren beziehen, wann, wo und wie sie erstellt wurden. Mit Hilfe von Dicherzitaten aus dem 10. bis 13. Jahrhundert wird die Stimmung dieser oft melancholischen Landschaftssegmente erklärt. Auch welcher der möglichen Stile zitiert wurde und was gegenüber der Tradition des Sujets verändert wurde ist Thema dieser Texte. „Ich habe ein großes Blatt gemalt, das den Himmel verdeckt, mit dicker Tusche und in konventioneller Manier... Ich weiß aber nicht, was meine Kollegen davon halten“, schreibt der fast 70-jährige Literatenmaler aus dem südchinesischen Hangzhou.
Die chinesische Kunst der Tuschzeichnung ist weniger eine Technik, um Bilder zu erstellen, als eine Variante der Kalligraphie. Sie ist auch nicht primär auf ein Publikum gerichtet, sondern eher individuelle Konzentrations- und Ausdrucksübung des in Text und Bild ausgebildeten Privatgelehrten im Dialog mit der chinesischen Kulturgeschichte.
Bei den kleinen Blättern im Albumformat erfreut die Leichtigkeit mancher Darstellung von Pflanzen und Tieren, die gemäldegroßen Blätter beeindrucken dagegen mit einer teils der westlichen Kunst entlehnten dramatischen Lichtführung. Immer wieder fasziniert auch die Gestaltkraft der Leere: Die chinesische Schwarz-Weiß-Kunst lässt die auf dem Papier leer gelassene Fläche zu einem echten Bestandteil der räumlichen Illusion werden.
Keineswegs immer üblich ist die hier aufwendig geleistete Übersetzung aller Texte und Siegelzeichen. Für das Verständnis dieser komplexen Kunst ist sie aber unbedingt nötig, denn sonst bliebe statt eines intellektuellen nur ein gefälliger Eindruck. Insgesamt also eine kleine, aber eine wirklich schöne Ausstellung. Dass es sich bei der Präsentation im Museum für Kunst und Gewerbe aber um „die erste Einzelausstellung eines lebenden chinesischen Malers seit 1945 in Deutschland“ handelt, wie die Werbung des Museums behauptet, ist allerdings angesichts der auf dem Kunstmarkt nachdrücklichen Präsenz aktueller Malerei aus China eine deutliche Übertreibung. Hajo Schiff
Di–So 10–18, Do bis 21 Uhr; bis 16. 1. 2005; Katalog 30 Euro