: Ein Buch kommt selten allein ...
... oder: was Promis ihren Kindern beziehungsweise Enkeln unter den Weihnachtsbaum legen. Die Entscheidung für nur ein Lieblingsbuch fiel schwer, die meisten haben es aber geschafft
„Welches Buch haben Sie als Kind gelesen, von dem sie unbedingt möchten, dass es auch ihre Kinder oder Enkel lesen?“ Das war die Frage, mit der die taz an eine nicht repräsentative Auswahl Bremer Prominenter herangetreten ist. Aber nicht nur die taz-Leser sind total autonome Persönlichkeiten, das gilt auch für die angefragten Schreiber. „Was ich gelesen habe, möchte ich meinen Enkeln lieber nicht zu lesen geben.“ sagten die einen, und die anderen formulierten das Thema kurzerhand um in: „Mein Lieblingsbuch“. Auch gut. Herausgekommen ist ein ziemlich bunter Mix von Max und Moritz bis zum Wunschpunsch. Viel Vergnügen beim Lesen, Schenken, Vorlesen.
Wilhelm Tacke: „Verflixtes Piratenleben“
“Verflixtes Piratenleben“ heißt das Buch, das ich für den Gabenteller der taz empfehlen möchte. Ein Piratenbuch? werden Sie fragen. Hat das nicht soon Bart? Hat es nicht! entgegne ich keck. Denn dieses Piratenbuch stellt die üblichen Klischees der Piraterei auf den Kopf. Es bezieht seinen Reiz daraus, dass die heutige Generation der Kids „ab vier Jahren“, so die Verlagsempfehlung, natürlich längst aus der Glotze weiß, dass Piraten mit Augenklappe, schwarzem Zweispitz mit Totenkopf darauf und Segelschiff ein ziemlicher Anachronismus sind. Und der wird vom Verfasser, dem Dänen Glenn Ringtved, denn auch köstlich beschrieben und von der Künstlerin, Charlotte Pardi, hinreißend illustriert. Mit seinem mickrigen Windjammer hat der malerische Seeräuber kaum eine Chance, einen Luxusdampfer oder ’ne Schnellfähre aufzubringen. Und wenn es ihm wider Erwarten dennoch gelingt, an Bord zu gelangen, stehen die Passagiere feixend mit dicker Zigarre im Mund an der Reling und jubeln: „Tolles Theaterstück. Zum Totlachen“ Seeräuberei ist eben „eine echte Plackerei geworden“, bekennt der Käpt’n, dem niemand abnimmt, dass er „ein wilder, blutrünstiger, todesgefährlicher Pirat“ ist. Und wenn er selbiges vom Ausguck herunterschreit, schallt’s ihm von der Yacht, die er ausrauben will, entgegen: „Halt die Klappe, du Witzbold! Siehst du denn nicht, dass ich telefoniere!“ Und „weil sowieso die meisten nur an sich denken“ und ihnen „ein alter mottenzerfressener Seeräuberkapitän schnurzpiepegal ist“, setzt er sich auf eine Parkbank mitten in der Stadt und streckt denen die Zunge raus, die ihm zu nahe kommen. Ein bisschen Furcht muss er ja doch verbreiten. Das ist Seeräuberehre. Und es klappt. Die Leute nehmen reißaus. Bis auf ein kleines keckes Mädchen. „Warum machst Du das?“ fragt sie und verfolgt ihn, bis er sich auf dem Spielplatz ausgerechnet in einem alten Kahn versteckt. Dort wird er von den Kindern am Schiffsmast gefesselt und ordentlich durchgekitzelt. Er kann sich nur befreien, indem er den Kindern verspricht, mit ihnen auf Schatzsuche zu gehen. Und nun beginnt das, was in den übrigen Piratenbüchern das eigentliche Thema ist. Im „Verflixten Piratenleben“ beginnt es aber nicht in Text und Bild, sondern ausschließlich in der Phantasie der Kinder. Eine kleine Hilfe für deren Phantasiereise zur „Dukateninsel“ ist die Seekarte im Umschlag. Ein Kinderbuch, mit dem man Ehre einlegt, weil es da erst richtig anfängt, wo es eigentlich aufhört. Ein Buch, das die Phantasie anregt und sie nicht zukleistert. Dazu stammt es auch noch aus einem Bremer Verlag, dem Rößler Verlag in Schwachhausen, www.roessler-verlag.de
Martin Prange:Märchen von Matthiessen
Matthiessens Märchenbücher unterscheiden sich von anderen schon dadurch, dass die verschiedenen Geschichten umrahmt sind von einer märchenhaften Geschichte. Märchenhaft werden das Haus, der Garten, die Hecke, die Straßen, der Wald und das Beerenfräulein. Die Hexe Tannenmütterchen, der Kartoffelkönig und die Speicherkobolde sind selbstverständlicher Teil dieser Welt – und dadurch werden die Kinder beim Vorlesen ganz hinein gesponnen in die märchenhafte Welt. Unsere Kinder haben länger an ein Kellermännchen geglaubt als an den Weihnachtsmann. Die Kobolde heißen Peias Pulf Pröppken oder Kiffelchen Knüpp, die ururalte Katze Murks schützt den kleinsten der sieben Zwerge vor dem bösen Riesen Lelbeck und das Schreckgespenst Brülles öffnet sein schönstes Fässchen Kinderspektakel auf der Halunkenheide, um seinem Freund, dem scheußlichen Zauberer Knotterbock Knulp Dunnerkiel zu imponieren. Auch die Dialoge sind herzerfrischend, nicht bloß für Kinder. Hier sei kurz wiedergegeben, wie der Hauskobold Hüppke Döllken in mondheller Nacht auf den Gemüsekönig trifft: „Der Kobold machte einen Kratzfuß vor ihm und sagte: Guten Abend, großer Gemüsekönig! Guten Abend gleichfalls, kleiner Kobold, sagte der Gemüsekönig. Danke! Der Kobold verbeugte sich. Schönes Wetter haben wir diese Nacht! Der Gemüsekönig nickte: Kleiner Kobold, du bist sehr klug. Denn schönes Wetter haben wir wirklich.“ Die Märchen von Matthiessen kommen ganz ohne die Splatter-Szenen grimmscher Prägung aus, keine böse Königin muss sich in glühenden Pantoffeln zu Tode tanzen, und keine Hexe endet im Backofen. Gleichwohl sind sie für kleine Kinder spannend. Matthiessen verzichtet auf den erhobenen Zeigefinger, die Sprache ist sehr kindgerecht, die Dichtung passt sich schon dem Verständnis auch der Kleinsten an. Und auch wenn die Märchenbücher von Matthiessen bedauerlicherweise nicht mehr im Buchhandel erhältlich sind, die Suche übers Internet ist ja heutzutage ein Klacks.
Karoline Linnert: Der Wunschpunsch
Der satanarchäolügenialkohöllische Wunschpunsch – dieser Zungenbrecher hat sicher schon vor mir viele VorleserInnen an den Rand der Verzweifelung gebracht – aber am Ende des 237 Seiten dicken Buchs von Michael Ende perlt das Wortungetüm locker von den Lippen und NeustarterInnen sei versichert: Die Mühe lohnt sich. Mein Sohn Johann und ich haben vergnügte Stunden mit dem eingebildeten und naiven Kater Maurizio di Mauro und dem gewitzten Raben Jakob Krakel verbracht. Eigentlich sind Katzen und Vögel ja natürliche Feinde, aber im Kampf gegen den bösen Zauberer Beelzebub Irrwitzer und seine Tante, die nicht minder fiese Geldhexe Tyrannja Vamperl, halten sie zusammen wie Pech und Schwefel. Kater und Rabe sind Undercoveragenten vom Hohen Rat der Tiere. Sie sollen verhindern, dass der Zauberer und die Hexe die Welt in Schutt und Asche legen. Ich empfehle den Wunschpunsch, weil er gut zum Vorlesen geeignet ist und Kindern wie Eltern Spaß macht. Einige Anspielungen im Buch können nur Erwachsene verstehen – beispielsweise das vom bösen Zauberer in der Villa Alptraum gefangengehaltene „Büchernörgele“, das auf der Zeichnung von Regina Kehn unschwer als Karikatur von Marcel Reich-Ranicki zu erkennen ist. Natürlich würde ich nur allzu gern das Rezept für den Wunschpunsch kennen und nutzen – leider verrät Michael Ende uns Unwissenden nicht die Zutaten. Da bleibt nur der traditionelle Wunschzettel – vielleicht hilft ja auch das.
Henning Scherf: Das erste Buch
Das sind doch wieder wunderbare Geschichten. Zum Beispiel die, wie Opa eine Hausaufgabengeschichte erfindet oder die von Hans dem Hamster oder die vom Zauberzahn. Gerade ist es wieder erschienen, „Das erste Buch“ – eine bremische Erfindung. Es wird an alle Erstklässler verteilt, kann aber auch im Buchladen erstanden werden. Gegliedert nach dem Alphabet enthält es 26 Geschichten. Kinder haben sie sich für Kinder ausgedacht und aufgeschrieben. Fröhlich und spannend, phantasievoll und originell. Dazu gibt es wunderbar gemalte Bilder. Und dann gibt es da auch noch „Sim“. Sim ist ein guter Geist, der wie ein Drache aussieht. Immer wenn er einen Menschen trifft, egal wie der aussieht, schwarz, weiß, dick, dünn, arm oder reich, sagt er: Sehr interessanter Mensch, SIM Sim! Sim begrüßt im Buch die Kinder und begleitet sie das ganze Buch hindurch. “Das erste Buch“ will vor allem die Schulanfänger, aber auch alle anderen, die lesen lernen wollen, dabei unterstützen, ins Leben zu finden, ins Leseleben, ins Schulleben, ins Weltleben. „Das erste Buch“ will helfen, die Persönlichkeit des Kindes zu stärken, Lust am Lesen zu schaffen, Orientierung zu geben, humane Werte zu vermitteln. „Das wichtigste Ziel des Buches ist, dem Kind mitzuteilen, dass es wertvoll ist, dass es gebraucht wird, dass es die Welt reicher macht. Viele Kinder haben eine Lebenswirklichkeit, die von ihrer Lebensmöglichkeit noch weit entfernt ist“. Diese Buch hilft, die Kluft ein wenig zu überbrücken.
Heinrich Hannover: Max und Moritz
Meine Empfehlung für kleine Kinder bis 6 Jahren: „Schenk mir Flügel“, ein Bilderbuch von Heinz Janisch mit Bildern von Selda Marlin Soganci. Ein Kind malt einen Engel, der dann aus dem Papier steigt und sich Flügel wünscht. Das Kind malt dem Engel Flügel aus Meereswellen, aus Gras, aus Sonnenlicht, Blumen undsoweiter. Und es endet mit einem gemeinsamen Flug um den Nussbaum. Das Buch lebt von den herrlichen phantasievollen farbenfrohen Bildern.
Meine Empfehlung für Kinder von 6 bis 14: „Max und Moritz“ von Wilhelm Busch. Ein Klassiker, den ich selbst heiß geliebt habe und noch immer auswendig kann. Ach, was muss man oft von bösen Kindern hören oder lesen – so fängt es an. Und dann folgen die Streiche der beiden bösen Buben, über die man so herzlich lachen kann. Am schönsten fand ich immer den zweiten Streich, wo Max und Moritz die Hühner der Witwe Bolte durch den Schornstein aus der Pfanne angeln. Dazu Wilhelm Buschs einprägsame und mit sicherem Strich illustrierte Verse, das ist ein Vergnügen, das ich auch Kindern und Enkelkindern gönnen möchte, obwohl es ja genau genommen Schadenfreude ist, die einen lachen macht.