: Nebeneinander zusammen
Die Premiere des Stadtimmigranten-Orchesters beweist: Die Integration verschiedener Kulturen wirft mehr Probleme auf als ursprünglich gedacht. Die musikalische Integration zumindest
Bremen taz ■ Sanft hebt eine klassische Konzertvioline zu jubilieren an. Und grooviges Kontrabass-Gebrumm gesellt sich hinzu. Und das Santur, ein orientalisches Hackbrett, übernimmt die Melodieführung. Und wird abgelöst von einer aus Schilf gefertigten Andenflöte. Und eine chinesische Bambusflöte klinkt sich ein. Und eine Rohrflöte. Und die elfsaitige Ud, eine okzidentale Laute. Und ein Akkordeon schunkelt bluesig. Und auf einer Antilopenfelltrommel wird losperkussioniert. Und, und, und. Das Bremer Stadtimmigranten Orchester inszeniert in der ehrwürdigen Glocke seine umjubelte Konzertpremiere als Schaulaufen musikalischer Kulturen, die aus ihrem jeweiligen Paralleluniversum herausgelockten wurden: ein Staunen über die Fremdheit, Suchen nach Nähe, Genießen der Vielfalt. „Ich habe Instrumente kennen gelernt, von deren Existenz ich bisher nichts wusste“, erklärt die türkisch- deutsche Sängerin Sema Mutlu ihre Mitmachlust. Der mexikanische Gitarrist/Theaterleiter Abiud Chinelo ergänzt: „Es ist sehr spannend, vom Gefühl her zu kapieren, was los ist in der Musik anderer Kulturen, und dann darauf einzugehen.“
Das Orchester sollte Bremens Multikulti-Botschafter für die Bewerbung als Kulturhauptstadt Europas 2010 sein. Auch wenn die elf beteiligten Musiker nur neun von laut Veranstaltern 160 in Bremen beheimateten Nationalitäten repräsentieren. „Was wir wollen“, erklärt der künstlerische Leiter Willy Schwarz, „ist die Sehnsucht nach einer verlorenen, die Hoffnung auf eine neue Heimat Klang werden lassen“.
Das Problem: die von Schwarz angesprochenen Musikanten seien „ganz toll in ihrer eigenen Tradition, der Festmusik ihrer Kultur“, hätten aber großteils weder die technischen Fertigkeiten noch die künstlerische Kompetenz, sich auf andere musikalische Syntax, Grammatik, Dialekte einzulassen. So griff Schwarz auf erfahrene Künstler zurück, etwa den Trommellehrer Lartey Larko, den türkischen Orchesterleiter Zeki Kara sowie Studenten und Absolventen der Hochschule für Künste. Das in zehn Probesessions erarbeitete Repertoire behauptet keine Leitkultur, gibt sich menschenfreundlich demokratisch. Jedes Orchestermitglied darf mindestens zwei Soli darbieten und ein traditionelles Stück des Herkunftslandes sowie ein selbst komponiertes zum Migrationshintergrund vorstellen. Neben einem Initiationsritus aus Ghana ist so indigener Gesang Mittelamerikas, Balladeskes aus Ungarn, ein kurdisches Liebes- und ein chinesisches Hirtenlied zu hören. Schwarz: „Schätze, die zu bewahren unsere Aufgabe ist.“
Wer dabei gerade nicht als Solist auf der Bühne sitzt, der zupft irgendetwas, summt mit, klatscht, rasselt, klöppelt, befingert Trommeln. Akkorde zu einer asiatischen Flötenmelodie kommen von der chilenischen Charango, einer Miniaturgitarre mit fünf Doppelsaiten. Ebenso reizvoll, wenn auf einen mexikanischen Tanz düstere Hofmusik des Osmanischen Reichs folgt – und als Gemeinsamkeit ein 6/8-Takt auszumachen ist.
Noch klingt das Konzept betulich gewollt und etwas schwerfällig, gerade das Zusammenspiel und die Arrangements zeigen wenig, wie die Kulturen einander befruchten, inspirieren, im Dialog etwas Neues schaffen können. Aber ein Anfang ist gemacht, etwas Veritables könnte zusammenwachsen. Eine CD- Produktion ist geplant, auch wenn das Geld gerade nicht da ist. Die 30.000 Euro, die das Weltspiel-Projekt als Anschubfinanzierung erhalten hatte, sind aufgebraucht. Das Bremer Jaro-Label managt jetzt ohne weitere Fördergelder das Orchester. Erste Auftritte konnten gebucht werden in Karlsruhe, Stuttgart und Bremen, 2006 soll es nach Wien und Istanbul gehen. Und, und, und … Jens Fischer
Weitere Aufführungen in Bremen am 23. Mai im Märchenzelt am Klinikum Ost, am 12. Juni im Überseemuseum und am 12. August auf dem Ostertorfest