Syrer gegen Syrer in Deutschland: Der lange Arm der Islamisten
Minderheiten wie Drusen und Alawiten sind nicht nur in ihrer Heimat Syrien akut gefährdet. Auch in Deutschland werden sie von Landsleuten bedroht.
D ie Freude vieler Syrer über den Sturz des Diktators Assad währte nur kurz. Als Gefangener, der zwei Jahre in Assads Gefängnissen verbracht hatte, erschien mir diese Befreiung wie ein unglaublicher Traum. Aber leider verwandelte sich alles in einen Albtraum. Bereits wenige Monate nach der Machtübernahme durch die Islamisten griffen ihre staatliche Truppen, zusammen mit radikalislamischen Milizen, Küstenstädte an. Orte, an denen vor allem Alawiten leben – eine syrische Minderheit, der auch Ex-Diktator Assad angehört. Zurückblieben mehr als 1.500 Tote.
Die verhaltene Verurteilung dieses Massakers durch die internationale Gemeinschaft ermutigte die islamistische Regierung offenbar, ihren aggressiven Kurs gegenüber weiteren Minderheiten fortzusetzen. Im Juli marschierten ihre Kräfte in die überwiegend von Drusen bewohnte Stadt Suweida ein. Es war eine Neuauflage des Küstenszenarios – jedoch noch brutaler und blutiger, da die Drusen Widerstand leisteten.
Mehr als 2.000 Zivilisten, überwiegend Frauen und Kinder, wurden getötet. Laut der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte brannten die Islamisten über 33 Dörfer nieder und vertrieben ihre Bewohner vollständig.
Die Folgen dieser Bluttaten beschränken sich nicht auf Syrien. Denn viele Mitglieder der großen, syrisch-sunnitischen Exilgemeinschaft in Deutschland sind uneingeschränkte Unterstützer des neuen sunnitischen Machthabers Ahmed al-Scharaa, einem ehemals gesuchten islamistischen Terroristen. Das lässt sich mühelos in den sozialen Medien beobachten.
Wie könnte eine Politik aussehen, die auf Ankommen statt Abschotten setzt? Was können wir lernen aus 2015? Und wo sind die Orte, an denen der restriktiven Politik von oben eine solidarische Politik von unten entgegengesetzt wird? Diesen Fragen haben wir über das im Jahr 2025 fünf Sonderausgaben zu Flucht und Migration gewidmet.
Mit der wochentaz vom 20. Dezember findet das Projekt seinen Abschluss. Es ist keine besinnliche Zeitung geworden – aber eine, die sich um ein Thema dreht, das zu Weihnachten einen besonderen Klang bekommt. Wir beschäftigen uns mit der Frage, was „Zuhause“ eigentlich ist, was es braucht, um sich an einem Ort zu Hause zu fühlen – und wie die Hoffnung darauf oft zerstört wird.
Alle Texte aus dieser Sonderausgaben erscheinen nach und nach hier. In dem Online-Schwerpunkt finden Sie auch die Texte aus den vier vorherigen Sonderausgaben.
Übergriffe auf Drusen
Das feindselige Klima, dem Drusen und Alawiten in Syrien ausgesetzt sind, überträgt sich so auf ihre Angehörigen in Deutschland. In Berlin zeigte sich dies unmittelbar nach dem Massaker von Suweida. Ende Juli trafen sich bei einer Kundgebung nahe dem Roten Rathaus hunderte Unterstützer des neuen syrischen Regimes, feierten die Gewalt gegen Drusen in Syrien und forderten zu Mord und Vergewaltigungen an ihnen auf. Zwar nahm die Polizei einige Demonstrierende fest, doch in den folgenden Monaten häuften sich Übergriffe auf Drusen in verschiedenen Teilen der Stadt.
Ich selbst habe letzten Sommer erlebt, wie junge Männer in der Berliner U-Bahn fröhlich davon sangen, Drusen in Syrien zu töten, und dabei mit ihre Händen symbolisch Scheren formten. Schnurrbärte sind ein zentrales Symbol der Würde in der drusischen Kultur. Die Schere ist ein Hinweis auf die Absicht, Drusen mit dem Abschneiden ihrer Schnurrbärte demütigen zu wollen.
Ich bin selbst syrischer Druse und spürte beim Anblick dieser Szene den tiefen Konflikt zwischen meiner Identität und meinem Glauben, und ich empfand tiefe Enttäuschung und Schmerz. Zum ersten Mal ging die Bedrohung für vertriebene Syrer in Deutschland nicht von Rechtsextremisten oder Fremdenfeinden aus, sondern von Menschen aus meinem eigenen Heimatland. Um Provokationen oder Bedrohungen zu vermeiden, zog ich mich zurück.
Viele Drusen berichten online von einer spürbaren Verschlechterung des gesellschaftlichen Klimas in Berlin. Einige haben mir auch persönlich davon erzählt. Die Beziehungen zu sunnitischen Landsleuten seien seit den Verbrechen von Suweida angespannt. Zahlreiche sunnitische Familien haben den Kontakt zu drusischen Familien abgebrochen – eine Folge gezielter medialer Hetzkampagnen der neuen islamistischen Regierung, die von ihren Anhängern bereitwillig übernommen werden.
Eine Freundin von mir wurde gebeten, einen syrischen Laden in Berlin zu verlassen, nur weil sie Drusin ist: Sie erzählte mir, ein Angestellter in einem Lebensmittelgeschäfts in der Altstadt von Spandau habe sie aufgefordert, den Laden zu verlassen, nachdem er ihren drusischen Akzent erkannt habe.
Leila konnte an diesem Tag nichts einkaufen. Besonders schmerzlich sei für sie jedoch der Blick der anderen Kunden gewesen – überwiegend sunnitische Syrer –, die schwiegen und damit ihre Zustimmung signalisierten. Zwar erstattete sie Anzeige bei der Polizei, rechnet jedoch nicht mit wirksamen Konsequenzen für den Täter. Zahlreiche drusische Familien meiden mittlerweile die Geschäfte von Anhängern des neuen syrischen Machthabers. Aus Angst vor Anfeindungen.
Mehrere Betroffene berichten, sie seien dort offen als „Verräter“ beschimpft worden – weil das Massaker an den Drusen in Syrien auch durch das entschlossene Eingreifen von Israel gestoppt wurde. Ich habe seit Beginn der Angriffe auf Suweida aufgrund dieser Anschuldigungen etliche syrische Freunde verloren. Viele meiner Bekannten benutzen keine sozialen Medien mehr. Sie wollen nicht länger hinnehmen, von der sunnitischen Mehrheit als Verräter bezeichnet zu werden, nur weil sie Drusen sind.
Selbst bei Demonstrationen drusischer Aktivisten in Berlin gegen die Verbrechen in Syrien blieben die Teilnehmer nicht von verbalen Angriffen und Beleidigungen durch vorbeigehende syrische Passanten verschont – trotz sichtbarer Präsenz der deutschen Polizei. Zahlreiche in Europa – insbesondere in Deutschland – lebende Influencer verbreiten nach wie vor Hetze gegen Drusen und andere Minderheiten über die sozialen Medien. Ihre Plattformen sind zu regelrechten Sprachrohren der Aufwiegelung geworden und tragen maßgeblich zu einem Klima der Angst und Unsicherheit unter syrischen Minderheiten in Deutschland bei.
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