Krieg in der Ukraine: Mit der Matratze im Untergrund
Jeden Abend schlagen viele Menschen in Kyjiw ihr Nachtlager in einer U-Bahn-Station auf. Die Angst vor Luftangriffen ist allgegenwärtig.
Es ist die letzte U-Bahn, die am Dienstagabend gegen 23 Uhr in die Kyjiwer Metro-Station „Polytechnisches Institut“ einfährt. Wer jetzt hastig und schnellen Schritts nach Hause will, sollte gut aufpassen, dass er nicht über eine der vielen Matratzen stolpert, die hier überall liegen.
Zu dieser späten Stunde ist Leben in die U-Bahn-Station gekommen. Auf den weit über hundert Matratzen sitzen oder liegen Menschen. Die einen schlafen, andere haben ihr Nachttischlämpchen mitgebracht, lesen ein Buch oder verfolgen auf ihrem Smartphone die neuesten Nachrichten auf Telegram.
Irgendwo bellt ein Hund, zwei Kinder sitzen nebeneinander vor einer Matratze, auf der eine Frau, offensichtlich ihre Mutter, schläft. „Das ist jeden Abend so“, erklärt Svitlana ihrem Begleiter. Viele Menschen würden praktisch jede Nacht in der U-Bahn-Station ausharren, aus Angst vor Luftangriffen.
Einerseits hätten sie natürlich recht, meint sie. „Wenn mal die Sirenen angefangen haben zu heulen, sollte man besser nicht mehr auf die Straße gehen.“ Sie jedenfalls gehe dann nicht mehr raus. „Die 15 Minuten bis zur U-Bahn sind die gefährlichsten“. Da bleibe sie lieber zu Hause, schlafe im Gang oder auch im Bad.
In der U-Bahn bleiben oder nicht
Sie nächtige nur in der U-Bahn, wenn die Wahrscheinlichkeit groß sei, dass es wieder einmal laut werde in der Nacht. „Und wann ist die Wahrscheinlichkeit groß?“, will ihr Begleiter wissen. „Sagen wir mal so“, antwortet sie, „ruhig ist es immer dann, wenn es in der Nacht zuvor Explosionen gegeben hat.“ Es komme selten vor, dass Kyjiw zwei Nächte hintereinander von Drohnen angegriffen werde. Ruhig bleibe es auch, wenn ausländische Delegationen in der Stadt seien.
Wenn ukrainische Drohnen hingegen Russland angegriffen hätten, könne man davon ausgehen, dass es bereits in der nächsten Nacht zu russischen Luftangriffen komme. „Irgendwie bin ich mir sicher, dass heute Nacht nichts passiert“, sagt sie und verlässt die U-Bahn Richtung Dunkelheit. Ihre Taschenlampe hat sie natürlich in dieser stockfinsteren Nacht dabei.
Dieses Mal behält Svitlana nicht recht. In der Nacht zum Dienstag wird die ukrainische Hauptstadt erneut von russischen Drohnen angegriffen. In mehreren Stadtteilen sind Explosionen zu hören. Bislang sind sechs Tote zu beklagen, 13 Menschen werden verletzt. Gegen 2:10 Uhr berichtet Bürgermeister Vitali Klitschko, dass Trümmerteile im Stadtteil Petschersk ein 22-stöckiges Wohnhaus getroffen hätten. Im 4. und im 7. Stock habe es Zerstörungen gegeben und ein Brand sei ausgebrochen. Einige Bewohner hätten evakuiert werden müssen.
Auch im Dniprowskyj-Bezirk brennt es in einem neunstöckigen Wohnhaus. Ersten Berichten zufolge werden vier Personen verletzt. In mehreren Stadtteilen kommt es infolge der Angriffe zu Unterbrechungen der Strom- und Wasserversorgung. Um 03:20 Uhr geben die Behörden Entwarnung und heben den Luftalarm für Kyjiw auf.
Tödliche Splitterverletzungen
Auch im russischen Grenzgebiet zur Ukraine, im Gebiet Belgorod, werden Drohnenangriffe registriert. Dies berichtet der Gouverneur des Gebietes, Wjatscheslaw Gladkow, auf seinem Telegram-Kanal. So sei im Repjachowka im Bezirk Krasnojaruski ein PKW von einer FPV-Drohne getroffen worden. Eine Frau habe zahlreiche Splitterverletzungen erlitten und sei wenig später im Krankenhaus verstorben. Ein Mitfahrer sei verletzt worden.
Auch in der russischen Stadt Taganrog in der Region Rostow kommt es in der Nacht zum 25. November zu einer Serie heftiger Explosionen. Dies berichtet das ukrainische Portal New Voice unter Berufung auf den Telegram-Kanal der Bürgermeisterin von Taganrog. Drei Menschen werden getötet. Bewohner sprechen von mehr als 20 Detonationen. Die Druckwellen sollen Fenster in Wohnhäusern zum Vibrieren gebracht haben, zudem seien in vielen geparkten Autos die Alarmanlagen losgegangen.
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