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Staatlicher Eingriff in den WettbewerbDie beruhigende Lüge vom eigenen Kuchenstück

In den USA haben viele Menschen Angst vor sozialistischer Politik. Dabei betreiben Staat und Konzerne selbst sowas wie Planwirtschaft.

Zohran Mamdani: Fokus auf bezahlbaren Wohnraum, Lebensmittel und Nahverkehr Foto: Neil Constantine/imago

K urz bevor Zohran Mamdani vor zwei Wochen die Bürgermeisterwahl in New York City gewann, sah ich mir online ein Video mit Straßeninterviews an. Während viele New Yor­ke­r:in­nen begeistert einen Politikwechsel in der teuersten Stadt der USA herbeisehnten, bekamen es andere mit der Angst vor dem demokratischen Sozialisten zu tun. Was mich dabei immer verblüfft: Die lautesten darunter sind nicht immer Manager und CEOs.

„Mamdani ist für staatliche Kontrolle“, sagte eine ältere Dame mit zitternder Stimme gegenüber dem Youtube-Kanal Channel 5. Sie selbst sei früher Buchhalterin gewesen, vertraue nicht darauf, dass der 34-Jährige wisse, was er tue, und halte seine Versprechen wie Mietendeckel oder stadteigene Supermärkte für unmögliche Ideen. Sie sagt: „Wir müssen kämpfen, um den Kapitalismus in unserem Land zu halten. Kapitalismus erlaubt Freiheit. Freies Unternehmertum!“

Was für einige quatschig klingen mag, ist für andere wohl völlig logisch. Der Gedanke: Staatliche Planung kann niemals funktionieren und führt zu Misswirtschaft, Korruption und Totalitarismus à la Sowjetunion oder DDR. Im Neoliberalismus hingegen herrschen zwar harte Wettbewerbsbedingungen, jedoch kann sich jeder als „kleiner Kapitalist“ ein Stück vom Kuchen sichern – sofern man sich nur genug anstrengt.

Das wusste schon die CDU in den 1970er Jahren, als sie mit ihrem Slogan „Freiheit statt Sozialismus“ punktete. Der neoliberale Vordenker Friedrich August von Hayek meinte, dass Gesellschaften zu komplex seien, um von einer Stelle gelenkt zu werden, daher sei Planwirtschaft zwangsläufig ein „Weg in die Knechtschaft“.

Da hatte er nicht ganz unrecht, das Problem ist jedoch: Auch in den kapitalistischen Gesellschaften von heute wird zentral geplant, nur anders als im Realsozialismus – und von anderen. Die sozialistische britische Ökonomin Grace Blakeley argumentiert, dass Industriestaaten durch Subventionen, Steuererleichterungen und Rettungspakete für Unternehmen stark in den Wettbewerb eingreifen und somit auch bei uns von rein freien Märkten keine Rede sein kann.

Lieber abgehängte Kapitalistin als Unterdrückte

In vielen Fällen seien die Planer sogar die Konzerne selbst. Durch hoch finanzierten Lobbyismus und eine Mischung aus Bedrohung und Unterstützung politischer Parteien gestalteten sie die Politik in ihrem Sinne – ohne selbst demokratisch legitimiert zu sein. Man denke etwa an den inzwischen abgesägten Elon Musk im Weißen Haus.

Laut Blakeley schränkt gerade diese „gefährliche Verschmelzung von Staats- und Unternehmensmacht“ unsere individuelle Freiheit stark ein, da sie es den meisten von uns unmöglich mache, „die Bedingungen unserer Existenz zu gestalten oder zu ändern“. Echte Freiheit erreichten wir nur, wenn wir Entscheidungsprozesse in Politik und Wirtschaft demokratisierten.

Ein bisschen verstehe ich die besorgte Dame im Big Apple trotzdem: Die Vorstellung, selbst Kapitalistin zu sein – also auf der Gewinnerseite zu stehen – und es nur noch nicht geschafft zu haben, ist beruhigender, als mir einzugestehen, dass ich Teil einer unterdrückten Klasse bin.

Zohran Mamdani hat es mit seinem Fokus auf bezahlbaren Wohnraum, Lebensmittel und Nahverkehr dennoch geschafft, die meisten New Yor­ke­r:in­nen hinter gemeinsamen Interessen zu vereinen. Wenn wir da auch in Deutschland, einem Land mit einem ehemaligen Black-Rock-Aufsichtsratschef als Kanzler, hinkommen würden, wäre schon mal viel gewonnen.

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Fabian Schroer
Auslandsredakteur
Zuständig für Digitales im Auslandsressort. Schreibt hauptsächlich über Medien, Kultur und soziale Gerechtigkeit.
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