Im Kampfgebiet um Deutungshoheit: Das Schweigen der Sydney Sweeney
Wie Sydney Sweenys Auftritt in einem Werbespot zu einem Lehrstück für ideologische Sortierung wurde.
I n den vergangenen Wochen landeten einige Powerfrauen in meinen Feeds: Rosalia, die mit „Berghain“ die Gegenwartsstimmung auf den Punkt zu bringen wusste, Lady Gaga, die auf ihrem Konzert in Berlin emotionale Worte an ihre queeren Fans richtete – und schließlich Sydney Sweeney, die im GQ-Interview mit Katherine Stoeffel die Female-Empowerment-Herzen höher schlagen ließ. Nachdem sie bereits die American-Eagle-Kampagne nutzte, um auf eine Krisenhotline gegen häusliche Gewalt aufmerksam zu machen, möchte sie nun mit ihrem neuen Film „Christy“ Frauen dabei helfen, ihre Stärken zu finden und eine Stimme für andere zu sein.
Ein leuchtender progressiver Stern am derzeit ganz schön dunklen, regressiven Nachthimmel!
Konnte ich ein klein wenig Irritation stiften? Die Interpretationen von Sydney Sweeney sind schließlich schon recht festgefahren – nur eben in die entgegengesetzte Richtung. Was bisher geschah: Anfang November 2025 führte Stoeffel für GQ ein Interview mit Sweeney. Ein Ausschnitt, in dem die Schauspielerin zu ihrer „Sydney Sweeney Has Great Jeans“-Werbung für American Eagle befragte wurde, ging viral. Die Kampagne war zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung wegen der phonetischen Ähnlichkeit zu „Genes“ von vielen als Anspielung auf weiße Eugenik kritisiert worden.
Sweeneys Antwort auf die Nachfrage: „Ich denke, wenn ich ein Thema habe, über das ich sprechen möchte, werden die Leute mir zuhören.“ Ein paar Sekunden, zwei starke Gesichtsausdrücke, und im Handumdrehen wurde daraus nicht nur ein Meme, sondern auch ein weiteres Schlachtfeld des vielbeschworenen Kulturkampfs.
Elon Musk ließ eine KI für Sweeny sprechen
Auf der einen Seite: Bewunderung für ihre Gelassenheit. Elon Musk höchstpersönlich erstellte ein KI-Video, in dem er Sweeney das sagen ließ, was sie seiner Meinung nach eigentlich dachte – nämlich dass die Kritiker „so cringe“ seien. Auf der anderen Seite: Empörung über ihre vermeintliche Hochnäsigkeit. Sweeney sei ein „Pick-Me-Girl“, ihr zersaustes Haar und ihre angebliche Bodenständigkeit pure Inszenierung, um Männern zu gefallen.
So weit, so unproblematisch. Doch was danach stattfand, war einmal mehr ein Lehrstück in ideologischer Sortierung: Die Weigerung, sich zu rechtfertigen, wurde je nach vorgefasster Position entweder als Wehrhaftigkeit gegen progressive Zumutungen gelesen oder zur Projektionsfläche für strukturellen Rassismus.
Die einen feierten Sweeney als Bollwerk gegen „woken Journalismus“ und lobten ihre „zero white guilt“. Die anderen interpretierten ihr Schweigen als „eine Unterstützung für den Faschismus“. Es machte sogar die Bezeichnung „SS Barbie“ die Runde. Durch Verweise auf die jeweils gegnerische Interpretation verstärkte sich diese Dynamik noch: Weil Sweeney von Progressiven kritisiert wird, ist sie die ideale Ikone für die Rechten. Weil Sweeney zulässt, dass die Rechten sie feiern, muss sie selbst rechts sein.
Wie behält man Deutungshoheit über die eigene Person?
Aber hier stellt sich die entscheidende Frage: Wie viel Verantwortung trägt man eigentlich für die eigene Rezeption? Kurz vor der fraglichen Szene hatte Sweeney im Interview ausgeführt, sich „nicht von anderen definieren lassen“ zu wollen. In diesem Licht wirkt ihre Antwort weniger wie eine Weigerung, Stellung zu beziehen, als vielmehr wie der berechtigte Versuch, die Deutungshoheit über ihre eigene Person nicht abzugeben. Aus ihrer Sicht ist das verständlich, mit Blick auf die Reaktionskultur aber vielleicht auch naiv. Denn keine Antwort ist in den sozialen Medien immer eine Einladung an andere, sich mögliche Antworten auszudenken.
Was also tun in dieser Interpretationshölle? Wie wäre es mit strategischer Verwirrung als Widerstand gegen die Vereinnahmungsmaschine! Ich habe es am Anfang selbst versucht: Sweeney als progressive Ikone umdeuten, die Narrative durcheinanderwerfen. Es ist absurd? Womöglich. Aber gewiss nicht absurder als sie zur „SS Barbie“ zu erklären. Wenn jede Interpretation zur Waffe wird, warum nicht das Arsenal überfluten, sodass niemand mehr weiß, welche Munition zu welcher Armee gehört?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert