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Rassismus und BehindertenfeindlichkeitDer mit den Nazis tanzt

Für viele ist Willi wegen seiner Behinderung ein „Problem im Stadtbild“. Diese Auffassung, jemand sei mehr oder weniger wert, ist menschenverachtend.

Von anderen als Problem betrachtet zu werden, ist ein Scheißgefühl: Demo wegen Merz’ Stadtbild-Debatte Foto: Moritz Frankenberg/dpa

A ls Friedrich Merz neulich von diesem Problem im Stadtbild sprach, konnte ich mir wirklich nicht vorstellen, dass er damit Menschen gemeint haben könnte. Ich hoffte inständig, er meinte leerstehende Läden oder vollgepisste Bahnhöfe. Andere dagegen lobten ihn für seinen „Klartext“. Wenn unser Bundeskanzler aber sagen wollte, dass ihm die Menschen in unseren Städten nicht weiß genug seien, hätte er ja nicht von geregelter Migrationspolitik, sondern von hirnrissigem Schwachsinn wie „Remigration“ sprechen müssen.

Alexander Dobrindt nennt Rassismusvorwürfe gegen Merz „totalen Unsinn“, denn der habe nur das „Empfinden eines jeden Menschen“ ausgesprochen. Da komme ich nicht mehr mit. Wenn es also doch um Aussehen und Herkunft von Menschen geht, liegen die beiden falsch, denn ich empfinde nicht so!

Was ich aber schon manchmal empfinde, ist, von anderen Menschen als Problem betrachtet zu werden – wenn auch sicher in viel kleinerem Maße als die oben genannten Problemmenschen. Bei uns ist es nicht Kopftuch, Sprache oder Hautfarbe, was andere zu stören scheint, es ist die Behinderung meines Sohnes.

Neulich zischte eine Frau im Vorbeigehen mit angeekeltem Blick auf Willis Schokoladenmund, so einer sollte wenigstens sauber sein

Abgewandtes Kopfschütteln, Vermeidung von Augenkontakt oder Personen, die den Platz im Bus wechseln, wenn Willi kommt – das fühlt sich nicht gut an. Immer ist da so ein Druck, bloß nicht noch mehr aufzufallen. Auf die Duldung anderer angewiesen zu sein, ist ein Scheißgefühl. Und dann noch die Dankbarkeit, die erwartet wird – das erschöpft mich oft mehr, als die Betreuung meines Sohnes selbst. Manchmal macht es mich auch wütend.

Wie muss es da erst den Müttern behinderter Kinder gehen, die einen sichtbaren Migrationshintergrund haben und sich auch noch sagen lassen müssen, ihr Anblick sei ein Problem? Werden die nützlichen (also Lohnarbeit verrichtenden) „Ausländer“ bald irgendwie markiert, damit sie sich für ihre Anwesenheit nicht mehr rechtfertigen müssen?

Willis Existenzrecht wird infrage gestellt

Auch Willis Existenzrecht wird mit den Worten „So was kann man heute doch testen“ immer wieder infrage gestellt. Möglicherweise stellt mein Sohn mit seiner herausschauenden Zunge und seinem über 70 Kilogramm schweren Resonanzkörper beim öffentlichen Eisessen und LaBrassBanda-Hören für den einen oder anderen Mitbürger auch ein Problem im Stadtbild und -klang dar.

Neulich zischte eine Frau im Vorbeigehen mit angeekeltem Blick auf Willis Schokoladenmund, „so einer“ sollte wenigstens sauber sein. Wie krass diskriminierend es ist, Willi aufgrund seiner Behinderung dazu verpflichten zu wollen, sauberer, braver oder leiser zu sein, begreifen solche Leute genauso wenig wie unser Bundesinnenminister, der findet, dass man ja wohl im Zusammenhang mit Abschiebungen noch mal sagen dürfe, wir hätten im Stadtbild dieses Problem.

Warum ich einen klaren Zusammenhang zwischen Rassismus und Behindertenfeindlichkeit sehe? Weil die Auffassung, Menschen könnten – warum auch immer – mehr oder weniger wert sein, immer menschenverachtend und darum brandgefährlich ist.

An den geraden Tagen meiden wir die Öffentlichkeit

Vielleicht lösen wir das Stadtbild-Problem so: An ungeraden Tagen geht der große Teil der Bevölkerung, der eine bunte und diverse Gesellschaft mag und/oder nicht arisch genug aussieht (plus Behinderte und andere Randgruppen) shoppen, spazieren und ins Café.

An den geraden Tagen meiden wir die Öffentlichkeit, damit wir denjenigen, die uns für die Quelle allen Übels halten, nicht die schöne Aussicht versauen und wir ihre vergrätzten Fressen nicht sehen müssen.

An den ungeraden Tagen kochen die dafür bei sich zu Hause deutsches Essen, schauen deutsche Filme, gendern nicht und informieren sich alternativ. Ich bin gespannt, ob sie das glücklicher macht, oder ob sie trotzdem weiter meckern.

Nur wenn irgendwo eine Blaskapelle spielt, dann dürfen alle kommen. Willi tanzt auch mit Nazis.

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Birte Müller
Freie Autorin
Geboren 1973 in Hamburg. Seit sie Kinder hat schreibt die Bilderbuchillustratorin hauptsächlich Einkaufszettel und Kolumnen. Unter dem Titel „Die schwer mehrfach normale Familie“ erzählt sie in der taz von Ihrem Alltag mit einem behinderten und einem unbehinderten Kind. Im Verlag Freies Geistesleben erschienen von ihr die Kolumnensammlungen „Willis Welt“ und „Wo ein Willi ist, ist auch ein Weg“. Ihr neuestes Buch ist das Kindersachbuch „Wie krank ist das denn?!“, toll auch für alle Erwachsenen, die gern mal von anderen ätzenden Krankheiten lesen möchten, als immer nur Corona. Birte Müller ist engagierte Netzpassivistin, darum erfahren Sie nur wenig mehr über sie auf ihrer veralteten Website: www.illuland.de
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