: Die Zukunft gehört den Sternenfahrern
Der Philosoph Jan Völker sieht den Menschen auf dem Weg zum astronautischen Kolonisten und verschränkt für seine Thesen Kant mit Lacan
Von Tim Caspar Boehme
Die unendlichen Weiten des Weltraums scheinen dieser Tage näher als zuvor. Immer neue Satelliten werden ins All geschickt, und private Unternehmen wie Elon Musks SpaceX oder Blue Origin von Jeff Bezos lassen Touristen einige Minuten jenseits der Stratosphäre um den Planeten fliegen. Einige dieser Firmen streben zudem den Asteroidenbergbau an, um weitere Ressourcen zu erschließen.
Diese Überlegungen dienen nicht allein dem Profit, sie sollen zudem eine Antwort auf die Frage geben, wie die Zukunft der Menschen fernab der Erde aussieht, falls diese unbewohnbar wird. Der Philosoph Jan Völker nimmt das zum Anlass, um in seinem Buch „Ein Weltall des Kapitals“ die Zukunft des Menschen in grundsätzlicher Hinsicht zu skizzieren. Er verschränkt darin die „Betrachtungen über die Bewohner der Gestirne“ des Philosophen Immanuel Kant mit Gedanken des Psychoanalytikers Jacques Lacan zum Verhältnis von Wissenschaft und Unbewusstem, um so ein Bild des Menschen von morgen zu entwerfen.
Völkers Ausgangsthese lautet: „Dieser Mensch der Zukunft, der von seinem Unbewussten getrennt ist, ist kein Erdbewohner mehr, sondern wird ein Kolonist im Weltall und ein astronautischer Kolonist auf der Erde selbst, während auf der Erde sich die Apokalypse entfaltet“. Er schickt sogleich hinterher, dass es sich dabei um eine „höchst spekulative“ Angelegenheit handelt.
Was Kant betrifft, steht Völker in guter Tradition. Denn der Begründer der kritischen Philosophie hat sich einigermaßen ausführlich mit, gelinde gesagt, stark hypothetischen Annahmen über das Leben außerhalb der Erde beschäftigt. Eine für ihn besonders beunruhigende Möglichkeit bot die Aussicht, dass auf anderen Planeten Wesen leben, für die eine andere Vernunft gilt als die auf der Erde.
Die „terrestrische Vernunft“ dekliniert Völker daher in unterschiedlichen Formen durch, wobei er den Begriff manchmal etwas überstrapaziert. Nach und nach lässt er jedoch erkennen, dass es ihm bei der irdischen Begrenztheit menschlicher Vernunft um die Dimension des Unbewussten geht, die bei Kant nicht ausgeführt, aber angelegt ist. Völker illustriert dies an einem Gedankenexperiment Kants zu Außerirdischen, die jeden ihrer Gedanken unvermittelt laut äußern müssen. Während Menschen, so Kant, ihre Gedanken bis zur Täuschung zurückhalten könnten, seien die Außerirdischen nicht der Lüge fähig. Dieser „Abstand von Denken und Äußerung“ führt Völker zu Freuds Konzept der „Freudschen Versprecher“, in denen sich das Unbewusste artikuliert.
Nachdem er Freud ins Spiel gebracht hat, zündet Völker mit Lacan die nächste Stufe. Von Kants Weltall als „Raum des Unmöglichen“ führt ihn dies zu Lacans Ausführungen zu Astronauten aus Anlass der ersten bemannten Raumflüge. Für Lacan sind Subjekte demnach „Astronauten, die terrestrische Vernunft durchwandern und überwinden“-. Möglich wird dies durch „gadgets“, technische Geräte, mit denen der Mensch verschaltet ist. Diese Idee scheint durch die Allgegenwart von Internet und Smartphones heute verwirklicht. Der Weltraum ist daher nicht bloß weit draußen, sondern vor allem auf der Erde zu finden.
Mit den Geräten kommen kapitalistische Interessen in den Blick, die Völker am Beispiel der eingangs erwähnten Weltraumbewirtschaftungspläne untersucht. Je entschiedener es dabei hinaus ins All geht, desto mehr verwendet Völker das Bild vom „Durchtrennen der Nabelschnur“, angefangen mit den ersten Fotos der Erde aus dem All. In ihnen kündigten sich schon ein Abschied und die Endlichkeit der Erde an, wie Völker raunend suggeriert: „Es ist kein Geheimnis, dass die Kolonisierung des Weltraums den Tod umkreist.“
Das Bild schließlich, in dem sich für Völker der Weltraum als „der Raum eines abgetrennten Bildes, aus dem das Unbewusste ausgeschieden ist“, manifestiert, ist die NFT-Videoarbeit „Human One“ des Künstlers Beeple. Darin stapft ein computergenerierter Astronaut durch virtuelle Landschaften, in denen sich „Ikonen der Kunst und Kultur“ als Müll angesammelt haben. Völkers Fazit: „Befreit vom Müll wie vom Unbewussten, strahlt der neue Mensch in seiner reinen Leere.“ Gegen etwaige Kritik an seiner pessimistischen Spekulation wappnet sich Völker teils mit sehr selbstbewusster Rhetorik: „… wer sich darauf hinausretten möchte, dass es sich bei Human One um eine technische Animation, also eine Maschine handelt, der möge es versuchen.“ Dieser apodiktische Ton stört genauso wie die gelegentlich im Text auftauchenden Fehler. Vermutlich Freud’sche Vertipper.
Jan Völker: „Ein Weltall des Kapitals. Die Überwindung der terrestrischen Vernunft“. Matthes & Seitz, 224 Seiten, 15 Euro
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