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Stollenprüfung in BerlinSollen sie doch Kuchen essen

Der viele Zucker und Butter machen den Stollen zum prima Nahrungsmittel. Die „Bäcker-Innung Berlin“ lud in einem Einkaufszentrum zum großen Test.

Schon bei der optischen Prüfung lässt sich hier sagen: Lecker! Foto: Sebastian Kahnert/picture alliance/dpa

M anchmal ist ja als Beispiel für eine nicht so gut gelingende, weil irgendwie von oben herab wahrgenommene Kommunikation dieser Satz von Marie-Antoinette zu hören. „Wenn sie kein Brot haben“, soll also die französische Königin gesagt haben, „sollen sie doch Kuchen essen“.

Aber erstens geht dieser Satz auf ein Zitat des Philosophen Jean-Jacques Rousseau zurück und wurde der später aufs Schafott geführten Marie-Antoinette nur in den Mund gelegt. Und zweitens hat sie in der Sache doch recht: Ist gerade kein Brot greifbar, kann man gut und gern auf die süßen Teile setzen, das mag Kuchen sein, ein Hefezopf oder ein Stück Stollen, womit man mit Letzterem schon beim Thema ist, um das es sich auch wirklich zu streiten lohnt. Das muss nicht gleich so heftig sein, wie einst 1615 bei der als Stollenkrieg bekannt gewordenen Auseinandersetzung, als die Meißner Bäcker mit Brandfackeln – mehr bitte bei Wikipedia – gegen unliebsame Konkurrenz vorgingen.

So ein Stollen tut jedenfalls Leib und Seele gut, er ist nahrhaft. Und er schmeckt

So ein Stollen tut Leib und Seele gut, er ist nahrhaft. Und er schmeckt.

„Lecker“ war jedenfalls das Wort, das man letzthin am Freitag beim Wettstreit in dem mittlerweile burschikos Wilma – früher Wilmersdorfer Arcaden – geheißenen Einkaufszentrum ziemlich oft hörte. Dort im Untergeschoss in der Markthalle wurde nämlich bei der Stollenprüfung der Bäcker-Innung gekostet, was zu Weihnachten hin gern auf den Tisch kommt. Und das machte nicht nur eine Fachjury; gefragt war auch das gemeine Volk, unter den vielen Stollen seinen Lieblingskuchen zu finden.

Stollen

leitet sich vom althochdeutschen „Stollo“, Pfosten, ab und findet sich unter anderem im Berg- und Tunnelbau; auch eine Strophe in der Verslehre des Meistersangs wird als Stollen bezeichnet. Als Gebäck wird er in Berlin, etwas knauserig mit den Buchstaben, gern als „Stolle“ angeboten.

Langsam schoben sich die Besucher der Prüfung an den kleinen Tabletts vorbei, auf denen Stollenstückchen zum Kosten auflagen. Es wurde gekaut. Es wurde geschluckt. Es wurde „lecker“ gesagt oder gedacht. Und schon folgte das nächste Stück.

Insgesamt warteten da 50 Tabletts vor allem mit dem klassischen Butterstollen, daneben wurde das traditionelle Backwerk auch freier interpretiert als Erdbeer-Aprikosen-Orangen-Stollen, es gab ihn mit Pistazien und Datteln. Es gab ihn mit Gin. Und einmal auch vegan.

50 Stollen zum Probieren. Was eine Herausforderung ist, an der man scheitern kann.

Die ältere Frau in der Schlange vor einem, die im U-Bahn-Fernsehen von der Veranstaltung erfahren hat und gleich ins Wilma gekommen ist, hat schon drei Stück probiert. Jetzt reiche es langsam, mehr schaffe sie nicht. „Da ist ja so viel Butter drin.“

wochentaz

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Der Experte vom Deutschen Brotinstitut als Tester aber, der die Stollen nach Form und Aussehen, Oberflächeneigenschaft, Krumenbild und natürlich Geschmack zu prüfen hatte, durfte nicht kneifen. Er musste an alles ran, was ihm die Berliner Bäckereien auf die Teller gelegt hatten. 50 Stollen, 50 Bissen. Zwischendrin mal etwas Tee.

Währenddessen drückten sich Besucher der Markthalle mit den vielen Essständen mit einer fetten Portion Pommes am Stollentresen vorbei – sind ja nicht alle für den Süßkram zu haben. Und wenn man den Mann einen Stand weiter mit Kaffee und Kuchen im Angebot nach seinem Geschäft fragte, behauptete der tapfer lächelnd, dass das trotz der kostenfreien Stollenkonkurrenz nebenan laufe wie sonst. Wirklich was los aber war in dem Moment nicht bei ihm, während sich entlang der Stollen immer neue Schlangen reihten.

Ein Bäcker von der Innung versicherte auch, dass der Stollen in Berlin durchaus mit der gleichen Expertise gepflegt werde in den Bäckereien wie zum Beispiel in Dresden, wo das Backwerk mit der Ortsbezeichnung markenrechtlich geschützt ist. Was letztlich auch die Ergebnisse der Jury zu bestätigen scheinen: 22 Mal gab es die Bestnote „Sehr Gut“ für die eingereichten Stollen und 22 Mal die Note „Gut“.

Der Tester vom Deutschen Brotinstitut war ebenfalls sehr zufrieden. Manchmal gönne er sich bei der Arbeit den Blick aufs Schinkenbrötchen, das bereits als Verheißung, wenn endlich die süße Pflicht erfüllt war, neben den Prüfprotokollen bereit lag. Am Wochenende, meinte er, wird er sich jedenfalls erst mal keinen Stollen auf seinen Teller legen.

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Thomas Mauch
Redakteur taz.Berlin
Jahrgang 1960, seit 2001 im Berlinressort der taz.
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