Prozess in Magdeburg: Nicht auf Kosten der Opfer
Wie über einen Täter berichten, der Aufmerksamkeit als Lohn für seine verbrecherische Tat geradezu sucht? Eine Frage, die sich in Magdeburg stellt.
I n Magdeburg beschäftigt mich eine große Frage: Wie berichte ich über jemanden, der keine Öffentlichkeit verdient? Wenn die Kameras in den Gerichtssaal kommen, dann verstecken Angeklagte meist ihr Gesicht hinter aufgeschlagenen Ordnern. Er nicht. Im Gegenteil. Der Täter vom Anschlag auf den Weihnachtsmarkt dreht am ersten Prozesstag seinen Laptop um und streckt den Fotograf:innen den Bildschirm entgegen. In großen schwarzen Buchstaben auf weißem Grund stehen dort wenige Worte, eine Botschaft. Vom Pressebereich aus kann ich sie nicht lesen.
Der Täter posiert für die Fotos. Er hält den Bildschirm erst neben sein Gesicht, dann darunter und schließlich über seinen Kopf. Er zwinkert. Minutenlang schießen die Fotograf:innen ihre Auftaktbilder. Das Klicken der Kameras dringt nicht durch das Panzerglas vor dem Pressebereich. Ich habe es trotzdem im Ohr. Irgendwann erlischt der Bildschirm. Energiesparmodus. Der Täter merkt es nicht.
Da sitzt er. Elf Monaten zuvor fuhr er mit einem gemieteten SUV über den Magdeburger Weihnachtsmarkt, verletzte dabei mehr als 300 Menschen, tötete fünf Frauen und einen neunjährigen Jungen.
Etwa 50 Nebenkläger:innen sind da. Betroffene oder die gesetzlichen Vertreter:innen von Betroffenen. Im Gerichtssaal wurden 17 Reihen Tische und Stühle für sie aufgestellt. Während der Auftaktbilder streichelt eine Nebenklägerin in der sechsten Reihe einer anderen unterstützend über die Schulter. Sie beobachten die Inszenierung des Täters.
Dass er es war, steht außer Frage
Wie berichte ich also über so jemanden, der die Öffentlichkeit sucht und sich über jeden Bericht freut? Der das Leid hunderter Menschen nutzt, um seine Botschaften zu verbreiten? Am zweiten Prozesstag behauptet der Täter, wäre ihm vor dem Anschlag ein Interview angeboten worden, hätte ihn das von der Tat abgehalten.
Dass er es war, der das Auto über den Weihnachtsmarkt gelenkt hat, steht außer Frage. Es wäre legal, seinen vollständigen Namen in der Zeitung zu schreiben. Es wäre legal, Bilder von ihm zu veröffentlichen. Die Medien des Springerverlags und der Spiegel machen das zum Beispiel. Die „Tagesschau“ und der MDR verpixeln hingegen sein Gesicht und kürzen den Nachnamen ab. Ich möchte seinen Namen am liebsten ganz vermeiden.
Diesen Geltungsdrang, den der Täter nun auch vor Gericht präsentiert, den möchte ich persönlich nicht befriedigen. Er soll sich nicht darüber freuen können, dass sein Name in der Zeitung steht. Es hat aber auch andere Gründe. Schon frühere Anschläge haben gezeigt, dass Attentäter:innen von kleinen Gruppen verehrt werden. Täter:innen die öffentliche Bühne zu bereiten, kann Nachahmung fördern.
Um zu verstehen, wie es zum Anschlag in Magdeburg kam, und um mit diesen Erkenntnissen zukünftige Fälle zu verhindern, braucht es weder den Namen noch Fotos vom Täter. Es gilt vielmehr, nicht nur den Mann selbst ins Visier zu nehmen.
Warum wurde er nicht gestoppt?
Abseits des Prozesses behandelt deshalb etwa der Untersuchungsausschuss des Landtags in Sachsen-Anhalt die Frage, wie der Täter das Auto so ungehindert in die Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt fahren konnte. Immerhin stand bereits im Sicherheitskonzept, dass mit solchen Taten zu rechnen sei. Trotzdem klaffte in den Zufahrtssperren eine breite Lücke. Wer war für sie verantwortlich? Seinen abschließenden Bericht veröffentlicht der Ausschuss voraussichtlich im Frühjahr.
Vielleicht klärt der dann auch die Frage, warum die Sicherheitsbehörden den Täter nicht vorher stoppten. Aufgefallen war er ihnen. Es gab seine Posts auf Social Media, in denen er mit Anschlägen drohte. Doch ein Mann aus Saudi-Arabien, der wie ein Rechtsextremer die vermeintliche Verschwörung zur „Islamisierung Europas“ bekämpfen möchte? Der passt in keine der Schubladen Rechtsextremismus, Linksextremismus oder Islamismus. Entsprechend fühlt sich bei den Behörden offenbar niemand zuständig.
Natürlich ist auch relevant, ob es seine politischen Ansichten waren, die ihn zur Tat motivierten. Doch auch darüber kann ich berichten, ohne seine stundenlange Einlassung im Detail wiederzugeben. Die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg erklärt in ihrer Anklage etwa, der Täter habe aus persönlichen Motiven gehandelt, Frust und Unzufriedenheit wegen verlorener Strafanzeigen. Es sei nicht um Politik gegangen, ein Versuch, die freiheitlich-demokratische Grundordnung anzugreifen, sei nicht festzustellen gewesen.
Doch der Täter selbst redet in seiner Einlassung über Politik. Über seine Kritik am Islam und am saudischen Regime, und warum er deshalb dort ein Linker wäre. Dass die AfD nicht rechts sei, aber CDU, SPD und Grüne „deutschlandfeindliche Parteien“. Es ist schwer, ihm zu folgen. Er springt von Thema zu Thema, wiederholt sich. Ein Gutachten seiner Social-Media-Posts kommt zu dem Schluss, er sei ein politisch motivierter „terroristischer Einzeltäter“.
Am Ende wird das Landgericht Magdeburg beurteilen, was der Täter ist. Bis zum 12. März hat es noch über 40 Verhandlungstermine angesetzt. Wichtiger als die Strafe für den Täter sind aber die Lehren, um die Wahrscheinlichkeit für weitere Anschläge zu verringern. Darum berichte ich so über ihn, ohne seinen Namen zu nennen. Nicht aus Angst, sondern damit sein Plan, sich auf Kosten der Opfer in den Vordergrund zu spielen, nicht aufgeht.
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