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doppelblindTropenvögel sind noch bunter als gedacht

Worum geht’s?

Nicht nur Chromosomen bestimmen bei Reptilien, Fischen und Amphibien die Geschlechtsorgane. Auch die Umwelt nimmt Einfluss auf deren Ausprägung. Je nachdem, wie warm der Teich ist, trotzen etwa junge Frösche ihrem genetischen Baukasten und bilden äußerlich konträre oder ambivalente Geschlechtsmerkmale aus. Sie kehren ihr sex also um oder werden intergeschlechtlich. Meerestiere wie die eher einsam lebenden Korallengrundeln wechseln ihr Geschlecht sogar ein Leben lang, je nachdem, welche interessierten Grundeln ihnen in der Koralle begegnen. Bei Säugetieren und Vögeln gilt das biologische Geschlecht als weniger fließend, Umkehrungen sind seltener bekannt und unter Wildtieren wenig erforscht. Bis jetzt.

Die Studie

Australische For­sche­r:in­nen von der Universität der Sunshine Coast haben die Tierkliniken von Queensland abgeklappert und bei 480 Regenbogenloris, Kookaburras (auch: Lachender Hans), Schopftauben und anderen wild lebenden Vögeln, die in den Kliniken abgegeben wurden und dort verstarben, die Geschlechtsorgane und die DNA untersucht. Ihre Ergebnisse sind im Fachmagazin Biology Letters nachzulesen. Fünf Prozent der untersuchten Tiere haben im Laufe ihres Lebens ihr sex verändert. Bei einem genetisch männlichen Kookaburra wies ein geweitetes Ovidukt darauf hin, dass noch kurz zuvor ein Ei den Weg durch diesen Kanal angetreten hatte. Zwei genetisch weibliche Schopftauben hatten Ansätze sowohl von Hoden ausgebildet als auch von Eierstöcken. Anders als beim Menschen sind bei Vögeln die genetisch gleichpaarigen ZZ-Chromosomen männlich, ihr Gegenstück sind die weiblichen ZW-Chromosomen. In allen fünf untersuchten Vogelarten hatte sich bei einzelnen Tieren das Geschlecht gewandelt, 92 Prozent der Fälle betrafen genetisch weibliche Vögel.

Die Au­to­r:in­nen glauben, dass sich die Ergebnisse auf andere Vogelarten übertragen lassen. Warum die australischen Vögel ihr Geschlecht ändern, wissen sie nicht. Die Au­to­r:in­nen weisen aber auf Chemikalien hin, die auch bei Reptilien und Fischen womöglich einen Einfluss auf die Geschlechtsentwicklung haben. Sogenannte Umwelthormone sind etwa in Pestiziden oder Plastikspielzeug enthalten. Dies sei eine mögliche Erklärung, die vertieft erforscht werden müsse, sind sich Fachleute einig.

Was bringt’s?

Neue wissenschaftliche Studien stellen wir jede Woche an dieser Stelle vor – und erklären, welchen Fortschritt sie bringen. Sie wollen die Studie im Internet finden? Jede hat einen Code, hier lautet er: doi.org/10.1098/rsbl.2025.0182

Wer sich zum Beweis, dass es nur zwei Geschlechter gebe, auf die vermeintlich streng binäre Biologie berufen will, findet hier Stoff zum Grübeln. Aber auch Vogelschützer könnten dazulernen. Die bestimmen das tierische Geschlecht meist entweder per DNA oder indem sie die Geschlechtsorgane untersuchen. So übersehen sie aber die unfruchtbaren, intersexuellen und geschlechtlich veränderten Vögel und stellen bedrohten Vogelpopulationen unpräzise Prognosen. Da vor allem genetische Weibchen ihr Geschlecht ändern, könnten die Ergebnisse verstehen helfen, warum Studien in der Vogelwelt einen starken Männchen-Überschuss belegen. Lino Wimmer

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