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Die geklauten Huarache-SandalenAdidas betreibt kulturelle Aneignung

Der Sportartikelkonzern Adidas hat sich in Mexiko mit der Sandale „Oaxaca Slip On“ unbeliebt gemacht. Die sei „intellektuelles kollektives Eigentum“.

Schuhleisten und Materialien für traditionelle indigene Sandalen in einer Werkstatt in Villa Hidalgo Yalalag, Oaxaca, Mexiko Foto: Jorge Plata/rtr

A lso ehrlich, man hätte das auch versteckter handhaben können. Doch Adidas musste seine neue Sandale ausgerechnet „Oaxaca Slip On“ nennen. Damit alle, die sich ein wenig in der Region auskennen, verstehen, dass der Schuh etwas mit dem gleichnamigen mexikanischen Bundesstaat zu tun haben könnte.

Aber vielleicht wollte der US-Designer Willy Chavarría, der die Sandale für den deutschen Sportartikelkonzern entworfen hat, ja genau das. Schließlich ist er Sohn eines mexikanischen Migranten und hat so eine besondere Beziehung zum Nachbarland. Seine Absicht sei gewesen, „den kräftigen kulturellen und künstlerischen Spirit von Oaxaca sowie dessen kreative Gemeinden zu ehren – ein Ort, dessen Schönheit und Widerständigkeit mich inspiriert haben“. Sagt er. Und: „Der Name Oaxaca ist nicht nur ein Wort, es ist lebendige Kultur, seine Bevölkerung und seine Geschichte.“

Klingt fetzig. Seltsam nur, dass ihm das erst einfiel, nachdem die so kämpferische Bevölkerung der indigen geprägten Region tatsächlich auf die Barrikaden gegangen ist. Nachdem Adidas den Schuh Anfang August in Puerto Rico präsentierte, beschuldigte die Kommunale Versammlung der zapotekischen Gemeinde Villa Hidalgo Yalálag das Unternehmen, sich ihr Kulturgut unerlaubt angeeignet zu haben.

Das Design sei die Raubkopie der „Huarache“-Sandalen, die in der Gemeinde traditionell hergestellt werden. Die Versammlung – die höchste Autorität des Dorfes – forderte Adidas auf, die Produktion einzustellen und mit ihnen sowie den zuständigen Regierungsinstanzen über das weitere Vorgehen zu sprechen.

Adidas entschuldigt sich

Designer Chavarría und der Konzern sind seither sehr betroffen. „Wir bitten um Entschuldigung“, antwortete Adidas und bestätigte seine Bereitschaft, „mit Yalálag in einen respektvollen Dialog zu treten, der das kulturelle Erbe ehrt“. Hört sich so an, als ob den Schuhproduzenten einfach mal durchgerutscht wäre, dass sie das Plagiat einer Sandale hergestellt haben, die bislang in der abgelegenen Sierra Norte, 100 Kilometer von Oaxacas Landeshauptstadt entfernt, produziert wird. So als ob so was noch nie vorgekommen wäre.

Dabei gab es in den letzten Jahren in Mexiko zahlreiche Skandale um Raubkopien indigener Muster, und einige davon spielten ausgerechnet in der Region. So hat die französische Designerin Isabel Marant Blusen aus der Gemeinde Tlahuitoltepec kopiert, und das spanische Modeunternehmen Zara klaute Motive des Dorfes San Juan Colorado.

Inszenierte Verbundenheit mit indigenen Communities

Wie damals gaben sich auch jetzt führende Po­li­ti­ke­r*in­nen der linken Morena-Partei empört. Präsidentin Claudia Sheinbaum kritisierte die Aneignung „intellektuellen kollektiven Eigentums“ und will prüfen, ob Adidas eine Entschädigung zahlen muss, Oaxacas Landeschef Salomon Jara sprach von einer Verletzung gemeinschaftlichen Eigentums und einem Rechtsbruch.

Damit haben sie sicher nicht unrecht, zugleich erscheint die Empörung nicht besonders aufrichtig. Schließlich wissen diese Po­li­ti­ke­r*in­nen bestens, wie sich aus der inszenierten Verbundenheit mit indigenen Communities politisches Kapital gewinnen lässt. Wohl deshalb hat die Kommunale Versammlung von Yalálag den beiden zwar für ihren Einsatz gedankt, zugleich aber jeden Versuch kategorisch zurückgewiesen, ihre kollektiven Entscheidungen zu politisieren und zu verdrehen.

Aber immerhin wurde in den letzten Jahren auf Morena-Initiative hin ein Gesetz zum Schutz des kulturellen Eigentums geschaffen, unter anderem geht es um Patentierungen. Angesichts des komplexen Themas „kulturelle Aneignung“ werden die Vorgaben nicht allen indigenen Pro­du­zen­t*in­nen gerecht. Manche kritisieren, dass ihre Identität verkauft werde und das Gesetz zur Merkantilisierung ihres traditionellen Lebensstils beitrage.

Andere freuen sich, dass so ihr Kunsthandwerk international anerkannt werde, und fordern eine Beteiligung an der Vermarktung. Wie auch immer: Sollte das Gesetz dafür sorgen, dass ein Weltkonzern Entschädigungszahlungen an eine arme Gemeinde im mexikanischen Südosten leisten muss, wäre schon etwas gewonnen.

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Wolf-Dieter Vogel
Korrespondent
Wolf-Dieter Vogel, Jahrgang 1959, ist Print- und Radiojournalist sowie Autor. Er lebt nach langjährigen Mexiko-Aufenthalten schwerpunktmäßig wieder in Berlin und zwischendurch in Mexiko-Stadt. Seine Schwerpunkte: Menschenrechte, Migration und Flucht, Organisierte Kriminalität, Rüstungspolitik, soziale Bewegungen. Für die taz arbeitet er v.a. zu Mexiko und Mittelamerika. Er ist Mitglied des Korrespondent*innen-Netzwerks Weltreporter.
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11 Kommentare

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  • Raubkopie?



    Kopieren unter Androhung von Gewalt?



    Ich fand den Begriff schon im Bereich des Software albern. Menschen, die Opfer eines Raubes wurden, sind häufig traumatisiert und deshalb ist für mich das Wort "Raubkopie" eine Missachtung dieser Opfer.

  • @dromedar



    "Das gesamte Konzept der kulturellen Aneignung ist inhärent krank. Ohne kulturelle Vermischung, kein Leben kein Fortschritt.

    Exakt — das gesamte Leben ist Lernen aka Aneignung, ohne dies würden wir — doof geblieben — mit ca. 25 Jahren an Irgendwas sterben.

  • Das Konzept der "kulturellen Aneignung" versteh ich ehrlich gesagt nicht so richtig. Wo soll das Problem daran sein wenn man alte Schuhdesigns aus Mexiko verwendet?

    Bei uns regt mich ja auch nicht darüber auf, dass irgendwelche Leute in den USA eine bizarre Kopie des Oktoberfestes machen, Japaner jodeln und Dirndl tragen oder Disney die Märchen der Gebrüder Grimm verwurstet.

  • "...Sollte das Gesetz dafür sorgen, dass ein Weltkonzern Entschädigungszahlungen an eine arme Gemeinde im mexikanischen Südosten leisten muss, wäre schon etwas gewonnen."

    Stimmt!

    Ansonsten: "Kreuzriemenlatschen" halt. Schick! Hat Opa Meier schon in den 60'zigern getragen ... im Juli, wenn der Fußpilz anfängt, in den Puschen zu kochen.

    Mit Socken narürlich! ;-))

  • Das gesamte Konzept der kulturellen Aneignung ist inhärent krank. Ohne kulturelle Vermischung, kein Leben kein Fortschritt.



    Genau die, die sonst immer für kulturelle Vermischung und Offenheit demonstrieren, fangen hier an Partikularinteressen zu heiligen.

    • @Dromedar:In:

      Firmen lassen sich ihre Designs Uhrheberrechtlich schützen. Wer das Design nuzt, muss entweder eine Lizenz erwerben oder es illegal machen, letzteres kann zu Strafen führen. Dörfer in Oaxaca haben keine gewaltigen Anwaltsabteilungen wie Adidas um Urheberrecht anzumelden, daher finde ich es unter gegeben Umständen in Ordung die Designs als "interlektuelles kollektives Eigentum" zu behandeln. Nicht weil Kulturen sich nicht vermischen sollten, sondern um die fundamental asymetrischen finanziellen und rechtlichen Verhältnissen zwischen Dörfern in Oaxaca und einem Weltkonzern etwas auszugleichen. Entweder sollte Adidas die Communities für die Nutzung der Designs bezahlen, wie es auch andersrum der Fall wäre oder man schafft Urheberrecht einfach komplett ab und jeder kann nutzen was er will.

      • @8 Ahau:

        Wobei Adidas aber nicht die klassischen mexikanischen Sandalen verkaufen möchte, sondern einen modernen Sneaker/Sandalen-Mix, der Elemente der mexikanischen Sandalen beinhaltet, am Ende aber ein ganz anderer Schuh ist

    • @Dromedar:In:

      Finde ich auch. Was beim speziellen Fall nicht ausschließt, dass die Nachahmung anderweitig fragwürdig sein könnte (geschützte Herkunfts-/Warenbezeichnungen oder so).

    • @Dromedar:In:

      Das ist ausgerechnet unter diesem Artikel ein seltsamer Kommentar. Der hier beschriebene Vorgang ist sowas wie das idealtypische Szenario für das Konzept „kulturelle Aneignung“ und im Grunde die gedankliche Fortschreibung des Urheberrechts: Ein Weltkonzern macht sich die kreative Leistung einer definierten Gruppe zunutze (also: zu Geld), ohne diese kreative Leistung angemessen zu benennen und zu vergüten.



      Was an dieser Einordnung ist „inhärent krank“?

    • @Dromedar:In:

      Genau so! Das, was alltagssprachlich als "Kultur" bezeichnet wird, ist genaugenommen das Ergebnis fortwährender kultureller Aneignung. Wie viele postmoderne Konzepte lässt sich auch dieses wunderbar einfach ad absurdum führen. Das erste Bier wurde vermutlich in Mesopotamien gebraut, aber würde der Irak ABInBev wegen kultureller Aneignung beschuldigen, würde das zurecht nicht mehr als ein Kopfschütteln hervorrufen.

      • @mm83:

        Das Beispiel mit dem Bier kommt mir auch oft in den Sinn. Daneben auch: ich vermute mal, dass die Befürworter von "kultureller Aneignung" keine Tätowierungen haben, das gehört nämlich den Polynesiern, das darf niemand nachmachen ;)