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Russland und UkraineUkrainische Gebietsabtretungen im Tausch für Frieden?

Darüber, ob man verhandelte Gebietsabtretungen in Kauf nehmen muss, um den Krieg zu beenden, gibt es in der taz-Redaktion Dissens. Ein Pro und Contra.

Quo vadis Ukraine Foto: Fabian Sommer/dpa

S ollte die Ukraine Gebiete abtreten müssen, um dadurch für Frieden zu sorgen?

Pro

Von Gereon Asmuth

Zwar wären Gebietsabtretungen der Ukraine an Russland ein Gewinn für Putin und eine schwer erträgliche Niederlage für die Ukraine. Doch es ist der einzige Weg, den ebenso unerträglichen Krieg zu beenden.

Denn wie enden Kriege? Möglichkeit 1: durch einen militärischen Sieg, sodass der Gegner kapitulieren muss – wie 1945. Aber das ist im Ukrainekrieg ausgeschlossen. Ein militärischer Sieg über Russland ist ohne weltweite Eskalation undenkbar. Umgekehrt bleibt ein Triumph Putins in Kyjiw leider möglich, wenn der Ukraine die Luft ausgeht, worauf die aktuelle russische Offensive an der Front hindeutet. Das aber kann niemand wollen.

Möglichkeit 2: Der Krieg fährt sich fest. Ohne Absprache. Mit der ständigen Gefahr, dass er wieder ausbricht. Sicherheit, Stabilität, Frieden sogar wird somit ein Ding der Unmöglichkeit.

Bleiben noch zwei Optionen: Der Krieg endet eben nicht – mit allen fatalen Konsequenzen. Oder die Verhandlungslösung. Natürlich wäre es traumhaft, wenn Putin den Rückzug seiner Truppen aus der Ukraine verfügte. Aber das wird nicht passieren.

Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj hat in den vergangenen Tagen zwei Punkte betont. Die Ukraine werde ihr Land dem Besatzer nicht schenken. Und über territoriale Veränderungen müsse ein Referendum entscheiden. Beides lässt sich als klare Absage an den Trump-Putin-Deal lesen. Oder eben als Einstieg in die Verhandlungen. Etwa weil Land nicht verschenkt wird, sondern der hohe Preis ist, den man bereit ist zu zahlen, wenn die Ukraine dafür etwas bekommt. Dauerhafter Krieg ist schmerzhafter als ein eigentlich unakzeptables Kriegsende. Ein Frieden über die Köpfe der Ukrai­ne­r:in­nen hinweg aber ist kein Frieden.

Die große Frage bleibt: Könnte man Putin trauen, dass er sich an ein solches Abkommen hält? Die Antwort ist: Nein. Ohne eine Westanbindung der Ukraine oder zumindest Friedenstruppen von der UN oder Drittstaaten wird es nicht gehen. Selbst dann gibt es keine Garantie, dass der Krieg wieder ausbricht. Aber ohne eine Verhandlung gibt es unweigerlich weiter Krieg, Zerstörung und Tod.

Contra

Von Barbara Oertel

Der Forderung nachzugeben, würde bedeuten, einen völkerrechtswidrigen Landraub zu legitimieren und den Aggressor auch noch für sein verbrecherisches Tun zu belohnen.

Wenn’s denn der Wahrheitsfindung dient, lautet eine gängige Redewendung. Leicht abgewandelt ließe sich über die Forderung in Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine sagen: Gebietsabtretungen, wenn’s denn dem Frieden dient. Und da darf es dann gerne auch mal ein wenig mehr sein.

In den vergangenen Tagen geistert immer mal wieder der Begriff „Gebietstausch“ durch die Nachrichten. Übersetzt heißt das: ukrainische Gebiete gegen gewaltsam besetzte ukrainische Gebiete zu tauschen. Geht’s noch?

Die Rede ist von vier ukrainischen Gebieten, die russische Truppen zu mehr oder minder großen Teilen besetzt halten. Eben diese Gebiete will sich der russische Präsident jetzt in Gänze einverleiben, unter diesem Mindesteinsatz macht es der Kreml nicht, um überhaupt an den Verhandlungstisch zu kommen.

Bei diesen zynischen Planspielen völlig aus dem Blick geraten die Menschen in der Ukraine, die schon jetzt unter russischer Besatzung leben und leiden müssen. Woher wissen wir eigentlich, wie viele von ihnen bislang nicht durch Raketen oder Drohnen, sondern durch die Hand ihrer „Befreier“ und „Beschützer“ zu Tode gekommen sind?

Kurzum: Russland, das tagtäglich seinen Willen zum Frieden mit flächendeckenden Bombardierungen des Nachbarn demonstriert, nachzugeben, käme für die Ukraine einem Suizid auf Raten gleich. Doch damit hört es nicht auf. Welche Garantien haben wir, dass sich Moskau mit dem Erreichten zufrieden gibt? Eben. Auf diese Frage bleiben die Be­für­wor­te­r*in­nen von Gebietsabtretungen leider eine Antwort schuldig.

In seinem Buch „Wenn Russland gewinnt“ wirft der Politikwissenschaftler und Militärexperte Carlo Masala einen Blick in die Glaskugel. Russische Truppen nehmen die estnische, größtenteils von russischstämmigen Menschen bewohnte Stadt Narva ein. Noch ist das nicht mehr als ein ­Zukunftsszenario. Es fragt sich allerdings, wie lange noch.

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Gereon Asmuth
Ressortleiter taz-Regie
Leiter des Regie-Ressorts, das die zentrale Planung der taz-Themen für Online und Print koordiniert. Seit 1995 bei der taz. 2000 bis 2005 stellvertretender Leiter der Berlin-Redaktion. 2005 bis 2011 Leiter der Berlin-Redaktion. 2012 bis 2019 Leiter der taz.eins-Redaktion, die die ersten fünf Seiten der gedruckten taz produziert. Hat in Bochum, Berlin und Barcelona Wirtschaft, Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation und ein wenig Kunst studiert. Mehr unter gereonasmuth.de. Bluesky:@gereonas.bsky.social Mastodon: @gereonas@social.anoxinon.de ex-Twitter: @gereonas Foto: Anke Phoebe Peters
Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
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