Sorbisches Festival Meta Solis: Wie kann eine Minderheit überleben?
Sorbische Kultur besteht längst nicht mehr nur aus Trachten. In der Lausitz entsteht eine Jugend- und Subkultur, die Sorbischsein neu definiert.
An ihr schwarzes Kleid hat Angel van Hell die Schleifen der Tracht aus ihrer Heimat genäht, um den Hals trägt sie eine Schleife ihrer sorbischen Urgroßmutter. Gleich ist ihr Auftritt. Sie wird aber nicht zu Volksmusik tanzen, sondern zu queerem Pop.
Angel van Hell ist Dragqueen, die vielleicht erste sorbische Dragqueen. „Ich war lange im sorbischen Folkloreensemble und wollte als queerer Junge auf dem Dorf immer die Frauentracht tragen. Als ich mit Drag angefangen habe, dachte ich, das ist jetzt endlich die Gelegenheit.“ Die Tracht sei Ausdruck ihrer sorbischen Identität, habe aber auch einen feministischen Charakter. Denn sie wurde in Spinnstuben genäht, zu denen Männer keinen Zugang hatten – ein feministischer Safer Space, sagt Angel.
Mit ihren Auftritten will sie die sorbische Kultur modernisieren. „Du bist immer entweder in queeren oder in sorbischen Räumen unterwegs. Ich will das aber verbinden.“ Eine Gelegenheit, das zu tun, war die erste queere Vogelhochzeit, an der Angel van Hell im Januar in Cottbus teilgenommen hat. Bei diesem Brauch verkleiden sich Kinder traditionell als Vögel und stellen eine Hochzeit zwischen Elster und Rabe nach. In der queeren Version platzte aber ein Kakadu in die Zeremonie, es kommt schließlich zu einer queeren Doppelhochzeit voller bunter Vögel.
Inszeniert wurde die Performance von dem Kolektiw Wakuum, einer Gruppe junger Kulturaktivist:innen aus der Lausitz. „Die Hauptfrage für uns ist: Was kann das Sorbische eigentlich alles sein?“, sagt Rahel Selnack. „Und wie können wir konservative katholische Traditionen in die Gegenwart rücken?“, fügt Annelie Ćemjerec hinzu. Die beiden sind Mitglieder des Kolektiw Wakuum und damit Teil einer Bewegung junger Sorb:innen, die gerade neu für sich definieren, was Sorbischsein heute bedeutet. Dafür organisieren sie Festivals, gründen Bands, machen Kunst und Kultur – auf dem Land.
Drag, Rap, Punk und Techno
Ein wichtiger Treffpunkt dieser Szene ist das Festival Meta Solis, das jährlich in Miltitz bei Bautzen stattfindet. Die etwa 300 Besucher:innen kommen vorwiegend aus der Umgebung: Familien, die für den Nachmittag angereist sind, junge Menschen für die Nacht. Darunter viele Sorb:innen, aber auch Studierende aus Cottbus, Leipzig oder Dresden. Zwischen Drag, Rap, Punk und Techno zeigt sich, dass Sorbisch laut, queer und bunt sein kann.
Konservative Bräuche in die Gegenwart rücken heißt, dass auf dem Meta Solis statt Ostereiern Nägel mit den traditionellen sorbischen Symbolen bemalt werden. Es gibt außerdem Vorträge über rechte Strukturen in der Lausitz und einen Workshop zu kritischer Männlichkeit. Schließlich darf auch die bekannteste sorbische Sage „Krabat“ nicht fehlen, allerdings in einer feministischen Version: Im Mittelpunkt steht nicht Krabat, sondern seine Freundin Maruscha, die ihn aus der schwarzen Mühle befreite. Feminismus auf Sorbisch.
Auch die große Debatte über das Osterreiten, an dem bislang nur Männer teilnehmen dürfen, findet hier ganz subtil ihren Platz: Beim Hobbyhorsing-Workshop springen kleine Mädchen auf Steckenpferden über Hürden. Die Osterreiterinnen von morgen. Diese Herangehensweise ist typisch für die Neue Sorbische Welle, die anecken, aber auch konstruktiv an der Entwicklung sorbischer Kultur mitarbeiten will.
„Wir wollen einen Raum für Diskussionen eröffnen“, sagt Rahel Selnack, die auch an der Organisation des Festivals Meta Solis beteiligt ist. „Wir müssen das Thema Osterreiterinnen gar nicht direkt ansprechen, es reicht, ein paar Holzpferde hinzustellen. Die Kinder verknüpfen das schon selbst mit dem, was sie kennen.“
Interkulturelles sorbisches Projekt
Auf dem Meta Solis werden Brücken gebaut – zwischen den Generationen und den Regionen. Denn was die deutsche Mehrheitsgesellschaft oft übersieht, wenn sie sich denn überhaupt mit der ostdeutschen Minderheit beschäftigt: Die etwa 60.000 Sorb:innen sind unterteilt in Ober- und Niedersorb:innen, mit jeweils eigener Sprache. Obwohl sie von außen als eine Einheit wahrgenommen werden, vermischen sich beide Gruppen selten. Das Meta-Solis-Festival ist aber ein interkulturelles sorbisches Projekt, in dem sich Nieder- und Obersorb:innen engagieren.
Für die sorbische Identität ist die Sprache besonders wichtig, weshalb Modernisierung auch hier ansetzen muss, findet Rahel Selnack. Auf Sorbisch wird etwa für verheiratete und unverheiratete Frauen jeweils eine andere Endung an den Nachnamen gehängt. Sie nutzt konsequent die männliche Endung, die keinen Beziehungsstatus anzeigt. Und auch mit neuen Wörtern kann man experimentieren. Es gibt auch schon eine sorbische Variante des Jugendworts „Slay“: rěz.
Hinter diesen Spielereien steckt eine ernste Frage: Wie kann eine Minderheit überleben? Lange haben es die Sorb:innen mit möglichst strenger Traditionspflege versucht, jetzt gehen einige einen anderen Weg. Das ist überlebenswichtig, findet Angel van Hell: „Bei uns im Dorf haben wir das Problem, dass keine jungen Leute ins Folkloreensemble wollen. Wenn man das ein bisschen aufpeppen und modernisieren würde, hätten junge Leute auch Bock, sorbische Kultur weiterzuleben“
Diese Logik geht auf, sorbische Popkultur wirkt: Der Lausitzer DJ, Rapper und Produzent Jkube etwa hat erst durch Festivals wie das Meta Solis wieder angefangen, sorbische Elemente in seine Musik einzubauen. Und auch Hella Stoletzkis Weg zum Sorbischen war stark von Subkultur geprägt.
Die bildende Künstlerin ist in Cottbus aufgewachsen, ihre Eltern sind deutsch. Sorbisch hat sie in der Schule gelernt, mit den Bräuchen hatte sie nur wenig Berührung. Als Teenager entdeckt sie sorbische Punkbands – ein Erweckungsmoment. „Das hat sich nach zu Hause angefühlt.“ Nach einem zehnmonatigen Intensivsprachkurs ist die Sprache und Kultur heute nicht mehr aus ihrem Leben wegzudenken. Hella Stoletzki ist somit die erste Sorbin in ihrer Familie. Aber nicht die letzte, lacht sie.
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