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Festival für elektronische MusikZwischen Bandsalat und Schlafforschung

Das Berliner Elektronik-Festival „Heroines of Sound“ reichte von atmosphärisch dicht bis einschläfernd. Welche Eindrücke überwogen dieses Jahr?

Augustė Vickunaitė war eins der Highlights des diesjährigen „Heroines of Sound“-­Festivals Foto: Orange Ear

Auf der Zielgeraden gab es dann doch noch ein echtes Highlight bei „Heroines of Sound“, dem Berliner Festival, das seit 2014 internationalen Musikerinnen, Komponistinnen und Pionierinnen zwischen elektronischer Avantgarde und Krach größere Sichtbarkeit gibt: Augustė Vickunaitė, Soundkünstlerin aus Litauen, präsentierte am Samstag zu vorgerückter Stunde ihr unterhaltsames Klangexperiment „Think Inside The Box“.

Vickunaitė kreiert ein Wechselbad der Gefühle, bei dem oft genug auch schalkhafter Eigensinn durchblitzt

Die in Vilnius und Berlin lebende Künstlerin schuf damit eine höchst kurzweilige Audiocollage. Die Entstehung ist für das Publikum, das nach drei Tagen intensiven Zuhörens einigermaßen platt ist, durch die analoge Arbeitsweise nachvollziehbar. Ein Umstand, der in avantgardistisch-elektronischen Klanggefilden keine Selbstverständlichkeit ist.

Auf einem zugerümpelten Tisch zerschreddert Vickunaitė wenig zimperlich alte Tonbänder. Mit einem fast cartoonhaft anmutenden Sinn für Slapstick-Momente schickt sie ein Band nach dem andere durch ihre Gerätschaften, zieht sie auf neue Spulen und zerrt ganze Magnetbänder hinter sich über die Bühne. So macht sie nicht nur Bandsalat, sondern eben auch ihre Samples – ganz oldschool.

Es lässt einen fast gruseln

Was man da zu hören bekommt, an verzerrten Stimmen und Geistern der Vergangenheit, lässt in seiner Hauntologyhaftigkeit fast gruseln. Kurz darauf motivieren jedoch pulsierende Beats beim Klangdesign mitzuwippen. Vickunaitė kreiert ein Wechselbad der Gefühle, bei dem oft genug auch schalkhafter Eigensinn durchblitzt.

Von dröge bis toll waren auch die vorangegangenen Tage. Da auch „Heroines of Sound“, wie die gesamte freie Szene, von den massiven finanziellen Einschnitten des Berliner Senats im Kulturbereich betroffen ist und mit gut 15 Prozent weniger Budget wirtschaften muss, haben Festivalleiterin Bettina Wackernagel und ihr Team bemerkenswerterweise ein noch umfangreicheres Programm auf die Bühne gebracht.

Statt drei Spieltagen gab es diesmal fünf; neben Live-Performances fanden, wie schon in vergangenen Jahren, zudem Podiumsdebatten und Workshops statt. Bevor man am letzten Donnerstag an die etablierte Festival-Heimstatt Radialsystem am Spreeufer zurückkehrte, war am Wochenende zuvor das Moabiter ZK/U (Zentrum für Kunst und Urbanistik) Spielstätte: Unter anderem wurde dort das eine ganze Nacht andauernde Schlafkonzert „Lullabyte“, realisiert von Alice Eldridge und Kirsten Reese, aufgeführt.

Mit Field Recordings in den Schlaf

Mit nachbearbeiteten Field Recordings aus der Natur wurde das Publikum in den Schlaf und durch die Nacht geführt. Immerhin 70 Menschen nächtigten auf Luftmatratzen, um sich beim Frühstück über das Erlebte auszutauschen. Die gemeinsame Übernachtung wurde damit Teil eines interdisziplinären Forschungsprojekts, das zur Beziehung zwischen Schlaf und Musik forscht – und an dem Musik- und Schlaf­wis­sen­schaft­le­r:in­nen ebenso mitwirken wie Neurowissenschaftler:innen, Com­pu­ter­ex­per­t:in­nen und Psycholog:innen.

Ein bisschen private Schlafforschung lässt sich auch beim restlichen Programm betreiben. Erstaunlich etwa, wie müdigkeitsinduzierend und einlullend Drone-Sounds sein können, selbst wenn bös dissonante Spitzen aus den grummelnden Flächen ragen. In Verbindung mit derart abgedunkelten Räumen muss man sich anstrengen, um alert zu bleiben.

Der Schwerpunkt auf Natursounds an jenen ersten Tagen ebnet dann den geschmeidigen Übergang zum zweiten Wochenende. Da geht es nämlich mit der finnischen Musiktheater-Kompanie Oblivia zum Auftakt um den Klimawandel – eine doppelte Premiere. Es ist das erste Mal, dass ein Musiktheater bei den sowieso sehr Genre-offenen „Heroines of Sound“ zu erleben ist.

Auch der Klimawandel wird thematisiert

Ihr Stück „Reality Bang“ ist zudem eine Deutschlandpremiere und Weiterentwicklung ihrer Reihe „Turn Turtle Turn“, mit der sie letztes Jahr auf der Münchener Biennale Aufmerksamkeit erregten. Zur besseren Einordnung dessen, was auf der Bühne passiert – in Gestalt von mal enigmatischen, mal subtilen Gesten und wilder Bühnenaction, mantraartig vorgebrachten Sätzen und bunten Kostümen –, hilft ein Blick ins Programmheft. Denn das Stück handelt, wie eingangs erwähnt, vom drohenden Klimakollaps.

Ein Gewinn, wenn man’s vorher weiß – von selbst wäre ich eher nicht zu dieser Deutung gekommen. Wenig Vermittlung brauchen dagegen die Soundscapes, die die chinesische Komponistin Yiran Zhao beisteuert. Die entwickeln ihren ganz eigenen Sog. Soghaft geht es auch am Freitag weiter.

Mit einem Live-Set der in Wien lebenden Iranerin Rojin Sharafi. Festivaldramaturgisch wäre das gelungene Set der perfekte Abschluss des Abends gewesen, denn das darauf folgende Meitar Ensemble aus Tel Aviv sorgt für einen Dämpfer, was eher an einigen ihrer Kompositionen liegt als am Ensemble, das durchaus tight und präzise aufspielt. Sarah Nemtsovs „if“ zum Abschluss ist durchaus packend, damit fangen sie mich wieder ein.

Atmosphärisch dicht auch Julia Mihálys „ascending in front of the void“. Doch gab es Gründe, jenseits der politischen, die in Israel arbeitende, aus Georgien stammende Komponistin Hana Ajiashvili auf die Iranerin Anahita Abbasi folgen zu lassen? Nicht alles, was auf dem Papier gut klingt, ist es auch in der Umsetzung.

Zum Glück gilt das auch umgekehrt. Die Ankündigung für Sharafi etwa ließ schlimmste Überfrachtung befürchten – sollte es doch um nicht weniger gehen als „verinnerlichte Scham, die Komplexität von Sprache, Heimatverlust und Ablehnung“. Dann amalgamiert sie einfach und souverän unterschiedlichste Einflüsse von Metal über Folk bis zu Noise und Ambient, angelehnt an ihr Album „O.O. Orifice“ – und klingt dabei einfach nur lässig.

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