Theaterstück über Armut am TD Berlin: Das ist mein Leben
Wer ist alles #armutsbetroffen? Im TD Berlin widmet man sich Biografien, die sonst selten im Licht der Öffentlichkeit stehen.
„Warum gibt es keinen Aufstand der Armen? Weil wir mit Überleben beschäftigt sind.“ Im TD Berlin stehen 75 Minuten lang Menschen, die in Deutschland in Armut leben, mit ihrer konkreten Lebensrealität im Mittelpunkt. Sie kommen zu Wort, denn die Textgrundlage für „#Armutsbetroffen“, die neue Produktion von Helge Schmidt und seinem Team, sind Posts unter dem Hashtag #IchbinArmutsbetroffen und Texte, die in dem Workshop „Alltägliche Armutserfahrungen – Erzählen als politisches Sprechen“ an der Universität Duisburg-Essen entstanden sind.
Die Schauspielerinnen Agnes Decker, Ruth Marie Kröger und Laura Uhlig bringen die Erfahrungsberichte direkt auf die Bühne. Sie performen die ihnen anvertrauten, sehr persönlichen Texte mit Empathie, werfen sich mit ihrer ganzen Bühnenpräsenz in jedes Detail und werden so zu Multiplikatorinnen für Menschen, die im öffentlichen Diskurs praktisch unsichtbar sind. Wenn doch, dann dienen in Armut lebende, mithilfe von staatlicher Unterstützung überlebende Menschen nicht selten als Projektionsfläche für Neid und Hass, weil sie keiner Erwerbsarbeit nachgehen.
Die extrem dichte Textcollage, die einen mit Biografien konfrontiert, deren Stolpersteine sich oft zu einem unüberwindbaren Berg auftürmen, hat eingebaute Hoffnungsinseln. Helge Schmidt lässt seine silber-spacig gewandeten Schauspielerinnen (Kostüme: Sina Brüggemann) immer mal wieder ins Star-Trek-Universum ausreisen, wo Armut nicht existiert. Für Armutsaktivistin Janina Lütt war Star Trek in ihrer Jugendzeit mangels erwachsener Bezugspersonen wertebildend und ganz konkret lebenserhaltend. Sie war mit 13 so neugierig auf die neue Folge, dass sie den akribisch geplanten Suizid dann doch nicht vollzog.
Gefangen im eigenen Leben
„#Armutsbetroffen“. TD Berlin, noch einmal am 7. Juli
„Die Einsamkeit ist wie ein schweres Tuch, das mich einhüllt, mich erdrückt. Ich habe niemanden, der fragt, wie es mir geht. Und die Armut macht es schlimmer. Ich kann mir keine Kurse leisten, kein Café, keinen Ausweg. Ich bin gefangen, in dieser Wohnung, in diesem Leben.“ Stefan Hübner sitzt im Publikum und hört seiner eigenen Geschichte zu. Nach der Vorstellung wechselt er auf die Bühne und sitzt mit Janina Lütt und Holger Schoneville, Professor für Theorie und Methoden der Sozialen Arbeit an der Universität Duisburg-Essen, auf dem Podium. Hübner betont, wie wichtig für ihn der Schreibworkshop war, um sichtbar zu werden. Für Janina Lütt war ihre Kolumne im Freitag das Geschenk ihres Lebens.
Es sind unisono existentielle Texte, die berühren und im Kopf bleiben. Und die die Frage aufwerfen, warum es so sein muss, wie es ist – im Großen wie im Kleinen. „Ich frage mich, was ich mit der ganzen Energie schaffen könnte, die ich für Bürokratie, Rechtfertigung und Existenzängste verschwenden muss,“ überlegt jemand.
Die szenische Beschreibung des Abhol-Prozederes bei der Tafel hätte Satirepotenzial, wäre die Situation nicht so verdammt ernst. Dort wie überall geht es um die Würde von Menschen, die sich nur durch ein einziges Merkmal von der übrigen Bevölkerung unterscheiden: „Wir sind finanziell schwach.“ Die mit Cybermobbing rechnen müssen, wenn sie als Armutsaktivistinnen an die Öffentlichkeit gehen. Und die trotz allem versuchen, sich mit ihrem Leben in dieser Gesellschaft zu behaupten. Jemand konstatiert und hofft: „Ich habe keine Illusionen mehr von Reichtum oder einem vollen Freundeskreis. Aber vielleicht gibt es kleine Momente, kleine Verbindungen, die mich tragen können. Das ist mein Leben. Es ist nicht schön, nicht heldenhaft, aber es ist meins.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!