Debütfilm über Teenager von Willy Hans: Die Sonne sticht in helle Haut und nichts geschieht
In seinem Debütfilm „Der Fleck“ inszeniert Willy Hans jugendliche Trägheit in weichem Licht, mit assoziativer Magie.

Wenn eine Gruppe von Jugendlichen an einem sonnigen Sommertag friedlich an einem Flussufer zusammensitzt, trinkend, rauchend, lachend, dann hat das im Kino meist schreckliche Folgen. Sie werden beispielsweise zu Opfern übernatürlicher Kräfte in „Blair Witch Project“-Manier oder Ähnlichem.
Oder sie dienen als exemplarische Studie für das, was man gerade für die dominierende Plage der Jugend hält: Bullying, Drogensucht, sexuelle Gewalt, Neonazis und dergleichen. In Willy Hans’ Film „Der Fleck“ aber ist das Schlimmste, was passiert – dass sie sich langweilen. Und es ist unglaublich fesselnd, dem zuzusehen.
Willy Hans hat in Hamburg an der Hochschule für bildende Künste (HfbK) Film studiert; Wim Wenders und Angela Schanelec gehören zu seinen Lehrenden. Man meint es seinem Film unmittelbar anzumerken. „Der Fleck“ hat sowohl etwas von Wenders’ besonderem Gespür für die Trägheit, mit der die Zeit dahinfließt, als auch von Schanelecs strengem Blick auf Details der Rahmung und Umgebung.
Regie: Willy Hans. Mit Leo Konrad Kuhn, Alva Schäfer u. a. Deutschland/Schweiz 2024, 94 Min.
Man assoziiert vor allem Schanelecs Kino oft mit einer etwas trockenen Intellektualität, weil es fordernd ist und einiges voraussetzt. So konnte man ihrem letztem Film, „Music“, der 2023 im Wettbewerb der Berlinale lief, sicher desto mehr abgewinnen, desto besser man in den Ödipus-Mythos eingearbeitet war. Aber man vergisst darüber, wie sinnlich, geradezu haptisch ihre Filme auch sind.
Große Sinnlichkeit
Diese Sinnlichkeit vermag auch Willy Hans in „Der Fleck“, seinem ersten abendfüllenden Spielfilm, herzustellen. Gleich in der ersten Szene, in der man in starrer Einstellung eine Umkleidekabine sieht, in der sich ein paar 17-jährige Jungs für den Sportunterricht fertig machen, meint man die speziell dicke Luft darin förmlich riechen zu können. Später am Fluss, wo für besagte Gruppe der Nachmittag vergeht, kann man die Lufttemperatur des Sommertags geradezu auf der eigenen Haut spüren.
Der Handlungsfaden von „Der Fleck“ ist verblüffend einfach und verblüffend ereignislos: Der 17-jährige Simon (Leo Konrad Kuhn), der in der ersten Szene in die Umkleidekabine zurückkehrte, um seine Wasserflasche zu holen, schwänzt in offenbar spontaner Eingebung den Sportunterricht und fährt stattdessen nach Hause, wo ihn niemand erwartet, nicht einmal die Katze.
Er hat nichts weiter zu tun, streunt ein wenig in der wie verlassenen Villengegend herum und trifft den Nachbarjungen Enes (Shadi Eck), der ihn einlädt mitzukommen an den Fluss. Simon steigt in dessen Auto. Am Fluss beobachtet er ein wenig in Außenseiterposition die divers zusammengesetzte Gruppe aus Mädchen und Jungs. Man neckt sich, quatscht, liegt herum, nichts passiert, aber das im besten Sinn.
Irgendwann trifft ihn ein Ball auf die Nase, er kommt mit Marie (Alva Schäfer) ins Gespräch und sie gehen zusammen zur nahen Autobahn, wo es einen Imbiss gibt, bei dem sie Pommes verzehren. Statt direkt zu den anderen zurückzukehren, streifen sie durch den Wald; es scheint ein Gewitter aufzuziehen. Es wird Abend. Sie gehen auf eine Party. That’s it.
Faszinierend an „Der Fleck“ ist allein schon, wie fesselnd diese Ereignislosigkeit inszeniert ist. Der Film besteht aus Detailbeobachtungen: Da rollt eine halbvolle Wasserflasche auf der Gepäckablage eines Autos herum. Die Steine am Fluss werden in ihren Graustufen betrachtet, das Fließen des Wassers in seiner ganzen Vielgestaltigkeit. Nicht weniger spezifisch ist die Beobachtung der Jugendlichen.
Das Paar, das unter einem großen Handtuch tuschelt, wie um ein bisschen Intimität in der Öffentlichkeit für sich zu reklamieren. Ein Junge bedrängt einen anderen, ihm eine Zigarette zu geben, obwohl der ihm entgegenhält, er solle mal seine eigenen kaufen. Der Blick auf all das ist dabei kein allwissender. Mit Subtilität bringt Willy Hans Subjektivität in die Kameraperspektive.
Empfohlener externer Inhalt
Der Film

Die meiste Zeit folgt sie Simon an diesem Sommertag; aber immer wieder nimmt sie direkt dessen Blickwinkel ein. Andere schauen direkt in die Kamera – und nehmen Simon wahr, mit einem Nicken, einem Zulächeln, manchmal auch mit einem gewissen Befremden. Das alles setzt sich zu einem Stream of Consciousness zusammen, in präziser Montage und begleitet von einer Tonspur, die hochatmosphärische, naturalistische Geräusche mit wenigen, ausgesuchten Klassik-Einlagen kombiniert.
Das Ergebnis ist ein Film, der äußerlich ereignislos sein mag, gleichzeitig jedoch eine Fülle von Erzählungen durch Suggestion anbietet. Die von der Jugend, in der noch alles unbestimmt ist und nach Bedeutung und dem richtigen Anschluss sucht. Die von Simon, dem Außenseiter, der die Mädchen in seiner Umgebung zunächst als unnahbar erlebt, dann mit Marie aber eine Annäherung erfährt, die gleich schon diverse Phasen von Anziehung und Abstoßung durchläuft. Oder auch einfach die vom Sommernachmittag, dessen Stunden sich dehnen, in herrlicher, schönster, sinnlicher Tatenlosigkeit.
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