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Nach Rot und ElfmeterMehr als ein Pfiff im Walde

Das deutliche 1:4 der Deutschen gegen Schweden war mehr als ein Ausrutscher: Es zeigte erhebliche Defizite vor allem im defensiven System.

Fasst sich mindestens an die eigene Nase: Lea Schüller Foto: Sebastian Christoph Gollnow/dpa

Zürichtaz | Die erste halbe Stunde des Spiels gegen Schweden ist vielleicht eine der eindrücklichsten Zusammenfassungen, was dieses deutsche Team zu schaffen und wie es all das ebenso schnell wieder zu dekonstruieren vermag. Nach einer guten halben Stunde war der Ausgang dieser Partie mehr oder minder klar. In einer Phase der völligen Konfusion offenbarte Außenverteidigerin Carlotta Wamser in der 31. Minute Torhüterinnenqualitäten. Nach der fälligen Roten Karte und dem Elfmetertreffer von Fridolina Rolfö zum 3:1 für die Schwedinnen war die Partie entschieden.

Bundestrainer Wück bekannte, er hätte noch „ein bisschen Fantasie“ gehabt, mit der Systemumstellung auf eine Dreierkette in der Halbzeitpause vielleicht noch die eine oder andere Chance zu erspielen. „Aber die Qualität der Schwedinnen ist natürlich mit einer Spielerin weniger fast nicht mehr zu bekämpfen.“ Letztlich gewannen die Skandinavierinnen 4:1.

Wück hat nun eine Woche Zeit, diese halbe Stunde Videomaterial vor und zurückzuspulen. Und die Schlüsselfrage wird dabei sein, ob die Ursache für die besten 15 Minuten dieses Turniers nicht eben eine Risikoinvestition war, die wiederum die 15 schlechtesten Minuten des Turniers ermöglichten. Für diese These spräche etwa die Analyse von Schwedens Trainer Peter Gerhardsson, der zwar einräumte, sein Team sei zu Beginn von den vorpreschenden Deutschen richtig geschockt worden, aber auch gelassen sagte: „Wir wussten schon, dass wir Chancen bekommen würden, denn ihre Defensive stand zu hoch. Wir hätten nicht gedacht, dass wir so viele Chancen gegen Deutschland haben würden.“

Spielt die deutsche Elf zu riskant? Grundsatzfragen über einen zu waghalsigen deutschen Ansatz wollte Wück am Samstagabend nicht diskutieren. Die Höhe etwa der Außenverteidigerinnen sei kein Problem, sagte er, sofern sie dann den Ball bekommen und im Verbund mit dem Team arbeiten würden. „Uns ist leider die Kompaktheit verloren gegangen“, analysierte er. „Diese Kompaktheit wird ein Hauptschwerpunkt werden.“ Er sprach vom Training in den nächsten Tagen. Einer generellen defensiveren Ausrichtung erteilte er eine Absage. Sein Team sei von der Besetzung nicht dazu geeignet, nur zu reagieren und zu zerstören.

Überrascht

So betrachtet ist der deutsche Kader allerdings ebenso wenig geeignet, schnell konternden Schwedinnen hinterherzurennen. Das zeigte sich schon beim frühen Ausgleichstreffer, als Rebecca Knaak sich zuerst zur falschen Seite hin orientierte, um dann Stina Blackstenius davonrennen lassen zu müssen. Beim zweiten Treffer profitierte das schwedische Team ebenfalls von Tempovorteilen und zudem von einem glücklichen Abschluss. Wie stark und schnell die rechte schwedische Angriffsseite ist, hätte man im bisherigen Turnierverlauf allerdings ausgiebig studieren können. Im Züricher Letzigrund wirkte es, als sei das deutsche Team überrascht davon.

Vielleicht war es aber auch die Anfangseuphorie, welche die DFB-Elf teuer bezahlen musste. Jule Brand, der nach der Partie die Traurigkeit ins Gesicht geschrieben schien, musste unwillkürlich lächeln, als sie die Anfangsphase und ihr schön herausgespieltes Tor in der siebten Minute Revue passieren ließ. Sie gab Einblick in ihre Gedankenwelt zu diesem Moment: „Ich dachte, es wird ein geiles Spiel. Wir sind drin.“ Laura Freigang erklärte: „Nach dem wir in den ersten zehn Minuten so viel nach vorne gemacht haben, haben wir es ein bisschen verpasst, die Räume nach hinten zu schließen.“

Das deutsche Team hinkt auch im dritten EM-Spiel seinen Ansprüchen hinterher. Nur nagt die erste Niederlage, gerade auch in ihrer Deutlichkeit, weit mehr am eigenen Selbstvertrauen. Zudem muss im eh schon wackelnden Abwehrverbund nach dem verletzungsbedingten Ausfall von Giulia Gwinn und der rotgesperrten Stellvertreterin Wamser eine C-Lösung für die rechte Außenverteidigerposition gefunden werden. Fragt man die Betroffenen, ist das freilich alles kein Problem. Kapitänin Minge sagte: „Wir haben viele Spielerinnen draußen, die erfahren sind. Ich mache mir keine Gedanken, dass wir das nicht schaffen, sie gut zu ersetzen.“ Und freilich zähle man noch zu den Favoritinnen im Turnier. „Wir stehen im Viertelfinale. Wir wissen, dass wir jeden schlagen können.“

All das hörte sich sehr nach dem Pfeifen im Walde an. Die Verunsicherung ist nicht zu übersehen. Auch Torhüterin Ann-Katrin Berger, deren riskantes Torhüterspiel Christian Wück schon vorab kritisiert hatte, fiel zweimal mit Fehlern auf, die zu weiteren Gegentreffern hätten führen können.

„Wenn uns jetzt so ein Ausrutscher passiert, dann ist das noch ein okayes Timing“, versuchte Brand die Niederlage kleinzureden. Mit dem Zeitpunkt hatte sie recht, mit dem „Ausrutscher“ eher nicht. Trainer Wück erinnerte selbst daran, dass man sich mit der phasenweisen Inkonstanz nicht zum ersten Mal beschäftigt. Das sei ja ein Problem, sagte er, mit der das Team schon länger zu tun habe.

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