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Der Dalai Lama beim Gebet für sein langes Leben im Tsuglagkhang-Tempel in Dharamsala, Nordindien, am 5.7.2025 Foto: Ashwini Bhatia/ap

Geburtstag des Dalai LamasDie Seele Tibets

Der Dalai Lama ist 90 geworden. In Dharamsala, seinem indischen Exil, wurde gefeiert. Die Frage um seine Nachfolge verschärft den Konflikt mit China.

I m sonst schlichten Tempel am Fuß des Himalajas sitzen und stehen Menschen dicht an dicht. Ein Meer aus leuchtenden Ringelblumengirlanden in Gelb-Orange und Tibet-Flaggen zieren das Gelände. Männer, Frauen, Kinder – viele in bestickten Trachten mit Schärpen und aufwändigen Hüten – sind aus aller Welt angereist. Einige halten den Khata, den traditionellen Gebetsschal, in gefalteten Händen. Im Tsuglagkhang-Tempel, dem spirituellen Zentrum des tibetischen Exils, wechseln sich am Sonntag Kehlkopfgesang, Applaus und Jubel ab. Der Tempel befindet sich wenige hundert Kilometer Luftlinie von der tibetischen Grenze entfernt – und doch wirkt die Heimat für viele fern und nah zugleich.

Das liegt an den zahlreichen buddhistischen Delegationen, die gekommen sind, um zu tanzen und zu singen und um dem Dalai Lama zum 90. Geburtstag zu huldigen. Manche verteilten auch Kuchen. Was in Tibet verboten ist, wird hier gefeiert: das geistige Oberhaupt, die Kultur, die Identität. China sieht den 14. Dalai Lama, Tenzin Gyatso, als Separatisten. In Indien, seiner Exilheimat, ist er Ehrengast. Trotz Monsunregen ist die Stimmung gelöst, der Himmel hat aufgeklart. Nur wenige Gäste aus Politik und Diplomatie kamen aufgrund des Wetters verspätet in Dharamsala an.

Tibet

Das Autonome Gebiet Tibet in der Volksrepublik China umfasst nur die Hälfte des historischen Tibets im Himalaja, der Rest wurde den Provinzen Qinghai, Sichuan und Gansu zugeschlagen.

Tibet hatte über Jahrhunderte ein eigenes Staatswesen, stand aber zeitweilig unter Einfluss des chinesischen Kaiserreiches wie auch mongolischer Herrscher.

1913 erklärte der Dalai Lama Tibet formal für unabhängig. Dies wurde aber weder von China noch von anderen Nationen völkerrechtlich anerkannt. Historische Details sind umstritten.

1950 Einmarsch chinesischer Truppen in Tibet.

1951 Autonomieabkommen.

1954-1974 Tibetischer Guerillakampf.

1959 tibetischer Volksaufstand scheitert, Flucht des Dalai Lama, der in Nordindien eine Exilregierung ausruft.

1988 Erklärung des Dalai Lama, chinesische Hoheit im Tausch für kulturelle Selbstbestimmung anzuerkennen.

1989 Friedensnobelpreis für den Dalai Lama.

Am Sonntag dominierten auf dem Tempelgelände nicht Gebete, sondern Aufführungen und Reden. Der Dalai Lama grüßte seine Gäste und lobte Indien, das seit 1959 seine Exilheimat ist, als Wiege des Buddhismus. Zwar hat er sich 2011 offiziell aus der Politik zurückgezogen und sein Amt an einen gewählten Premier der Exilregierung Central Tibetan Administration (CTA) übergeben. Doch die Verstrickung von Religion und politischer Repräsentanz bleibt sichtbar.

„Es bleibt offensichtlich, dass die Bewegung ihre weltweite Sichtbarkeit und einen Großteil ihrer Geschlossenheit weiterhin vom Dalai Lama bezieht“, sagt Swati Chawla, Historikerin an der Jindal Global University in Sonipat, nahe Delhi. Die von ihm vertretene Linie – echte Autonomie innerhalb Chinas – sei weiterhin Grundsatz der Exilregierung.

Wichtige Signale nach Peking

Doch es gibt auch Stimmen für einen unabhängigen Staat. Kiren Rijiju, Minister für Minderheiten, sichert auf der Bühne der tibetischen Sache Unterstützung zu: „Meine Tür steht offen.“ Ein wichtiges Signal nach Pekings jüngsten Äußerungen. Auch Exil-Premier Penpa Tsering und Hollywoods Richard Gere kommen zu Wort. „Seine Heiligkeit gehört nicht mehr Tibet, er gehört der ganzen Welt, dem Universum“, sagt Gere. Am Samstag zeigte sich der Dalai Lama bereits im Tempel, wo für sein langes Leben gebetet wurde – die Politik blieb dabei größtenteils fern. In gelber Robe und mit markanter Brille scherzte er: „Ich möchte noch 30, 40 Jahre älter werden.“

Ein Wunsch, der auch den Nachfolgefragen ausweicht. Seine Reinkarnation werde, so erklärte er, dort stattfinden, wo sie am nützlichsten sei – nicht unter staatlicher Kontrolle. Gemeint ist China. „Auch wenn wir im Exil in Indien sind, habe ich das Gefühl, dass ich den fühlenden Wesen hier in Dharamsala und weltweit helfen kann“, deshalb wolle er noch etwas länger leben. Die Verantwortung für die Anerkennung seiner Wiedergeburt hat er an die Gaden-Phodrang-Stiftung übertragen. Denn der Panchen Lama, zweithöchster tibetischer Würdenträger der gleichen Schule, ist seit 30 Jahren verschwunden. Peking hat einen eigenen Nachfolger eingesetzt – durch ein Lotterieverfahren –, doch anerkannt ist dieser nur dort. Der buddhistische Gelehrte Geshe Lhakdor hält daher zwei konkurrierende Dalai Lamas für sehr möglich.

Tibetische Exilkinder bei den Feierlichkeiten vor dem Tempel Foto: Ashwini Bhatia/ap

Für die meisten Ti­be­te­r:in­nen im Exil ist klar: Nur wer in der Linie des 14. Dalai Lama steht, wird anerkannt. Denn Tenzin Gyatso hat Institutionen geschaffen, die Sprache, Wissen und Religion bewahren – um seine Gemeinschaft auf die Zeit ohne ihn vorzubereiten. Am Sonntag schritt er, von zwei Mönchen unterstützt, vorsichtig über den roten Teppich. Nach der Zeremonie stieg er am Samstag in ein Golfcart und fuhr in seine gegenüberliegende Residenz. Das bemerkte auch die 27jährige Asoma – ihr Name wurde auf Wunsch geändert. Bereits am Vortag hatte sie versucht, sich einen Sitzplatz im Tempel zu reservieren, um möglichst nah dabei zu sein. „Ich bin glücklich, dass ich dabei sein kann“, sagte sie. In Tibet wäre das undenkbar gewesen. Doch sein hohes Alter bedrückt sie. Je älter die Seele Tibets wird, desto drängender wird die Frage nach seiner Zukunft: Was wird sein, wenn er einmal nicht mehr ist?

Während Peking in Tibet jede Form seiner Verehrung unterdrückt, wächst im Exil das Gefühl: Kultur und Glaube lassen sich nicht auslöschen. Für viele wie Asoma ist dieser Tag ein Zeichen des Durchhaltens. Auch sie floh einst. Doch sie war wesentlich jünger als der Dalai Lama bei seiner Flucht 1959, die ihn ins Exil nach Indien führte. Wie so viele ihrer Generation wurde auch sie über Nepal nach Indien geschickt. Aufgewachsen ist sie in einem tibetischen Kinderdorf (TCV), das zur neuen Heimat wurde. „Meine Eltern schickten uns allein los“, erzählt sie. Kürzlich ist sie nach Dharamsala gezogen, wo auch der Dalai Lama lebt. Ihre Schwester ist nach Kanada ausgewandert. Seitdem fühlt sie sich in Indien etwas einsam. Asoma wartet auf einen Studienplatz, um ihr zu folgen. Bis dahin besucht sie den Tempel und alte Freund:innen.

Sie verdankt es den Strukturen, die durch die Arbeit der Schwestern des Dalai Lamas geprägt wurden, dass sie in Indien studieren konnte. Doch heute sind die Fluchtwege weitgehend verschlossen. Laut Tsultrim Dorjee, dem Direktor der „Upper TCV School“ in Dharamsala, liegt das an den verschärften Überwachungsmaßnahmen in China und den Kontrollen an der Grenze. Dies habe sich etwa ab 2008 verändert. „Aufgrund von Massenprotesten in Tibet gegen die chinesische Politik, aber auch wegen der Olympischen Spiele in China, die diese Proteste auslösten“, sagt er der taz. Dennoch sind die Schulen das Herzstück der Diaspora und gaben zahlreichen tibetischen Flüchtlingskindern eine Perspektive, aber auch Kindern, deren Eltern hart arbeiteten und zu wenig Zeit hatten, um ihnen sonst eine gute Ausbildung zu ermöglichen – bis sie zu einer wichtigen Bildungseinrichtung für Ti­be­te­r:in­nen wurden – eine Basis, die ihnen half, sich erfolgreich in Indien zu etablieren. Doch auch die TCVs befinden sich im Wandel.

Es bleibt offensichtlich, dass die Bewegung ihre Sichtbarkeit und einen Großteil ihrer Geschlossenheit vom Dalai Lama bezieht

Swati Chawla, Historikerin

Die Schulen sind das Herzstück der Diaspora

Denn dort gibt es immer weniger Kinder. Von seinem Büro aus blickt Direktor Dorjee auf den Komplex, der mit Kindergarten, Schule und Wohnhäusern einem Dorf gleicht. Im Jahr 2024 zählte die Einrichtung knapp 1.000 Internatsschüler:innen, rund 50 Ta­ges­schü­le­r:in­nen und etwa 133 Angestellte. Im Zentrum des Geländes befindet sich ein großer Platz mit einem Basketballkorb. Kinder in Schuluniform spielen kreischend Fangen. „Diese Kinder sind die Zukunft Tibets“, sagt Dorjee. Was sie daraus machen – friedlich, gewalttätig, wohlhabend oder harmonisch – liege auch an der Erziehung. Die TCVs vermitteln traditionelle wie moderne Inhalte. Die Schule finanziert sich vor allem durch Spenden. Die Tibetan Children’s Villages wurden unter anderem gegründet, um Kultur, Tradition und Sprache zu bewahren.

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Nicht nur die gestoppte Flucht aus Tibet habe seinen Einfluss. Dorjee nennt auch die sinkende Geburtenrate im Exil sowie die Abwanderung vieler Ti­be­te­r:in­nen in westliche Länder. Zwar lebt mit etwa 70.000 Personen weiterhin die größte Diaspora in Indien. Doch viele zieht es nach Kanada, Frankreich und die USA. Inzwischen verteilt sich fast die Hälfte der Diaspora auf den Rest der Welt, das war einmal anders.

Was für manche eine neue Chance in der Ferne bedeutet, könnte zu einer bröckelnden Infrastruktur in Indien führen. Auch Klöster, Kulturzentren und das Institut für darstellende Künste und das medizinische Zentrum schrumpfen. Die leeren Plätze werden stattdessen von indischen Kindern aus den Himalaya-Regionen gefüllt, die der buddhistischen Tradition nahestehen, sowie von Kindern aus der Umgebung. Zur Anpassung bieten sie nun auch eine Sommerschule an. „Bei der Eröffnung in diesem Jahr konnten sich alle bis auf eine Person auf Tibetisch vorstellen“, so der Direktor. Er wertet dies als Zeichen dafür, dass Sprache und Tradition auch im außerindischen Exil weitergegeben werden. Das fördert auch die Exilregierung, kurz CTA mit einem Jugendforum.

Der Dalai Lama (Mitte) an seinem 90. Geburtstag, Indien 6.7.2025 Foto: Ashwini Bhatia/ap

Der 24-jährige Sonam, dessen Name geändert wurde, ist aus der Hauptstadt Delhi angereist, um den Geburtstag des Dalai Lamas mit dem Internationalen Jugendforum verbinden. „Die Konferenz bringt junge Tibeter aus aller Welt zusammen. Es ist eine Gelegenheit, sich auszutauschen und zu überlegen, wie wir zur Zukunft Tibets beitragen können“, sagt er. „Tibetische Kultur ist im Grunde eine Lebensweise. Seit meiner Kindheit habe ich gelernt, alles Leben zu respektieren – selbst Insekten nicht zu töten.“

Im Ausland nicht die Wurzeln verlieren

An den Abenden sitzen sie zusammen, schauen sich auf einer Leinwand Videos über die Natur Tibets an, tanzen in traditionellen Chuba-Kleidern oder singen zu tibetischem Rap. Der Dalai Lama habe immer betont, dass junge Tibeter im Ausland ihre Wurzeln nicht verlieren sollten. „Er ermutigt uns, mit unserer Kultur verbunden zu bleiben – egal, wo wir leben“, sagt Sonam. Auch der Premierminister der Exilregierung, Penpa Tsering, kommt zum Jugendforum. Seine Botschaft lautet, dass die junge Generation das Erbe weitertragen müsse, auch wenn sie sich im Ausland befindet. Denn China versuche bereits, „die neue Generation junger Tibeter in Chinesen zu verwandeln“, mahnte er gegenüber der taz. Die Regierung greife die Sprache an, indem sie Internate im Kolonialstil eingerichtet, in denen sie und Chinesisch sprechen. „Ernsthafte Assimilationspolitik und -programme sind im Gange“, sagt er.

Neben Sonam kommen die meisten der jungen Teilnehmenden der Diaspora aus dem Westen, beispielsweise aus Deutschland, Österreich, Belgien oder der Schweiz. Und ihr Seminar endet genau vor dem Geburtstag, sodass Zeit bleibt, in den Tempel zu gehen. Doch auch andernorts wird gefeiert. So auch im Café von Tenzin in „Little Tibet“ in der indischen Hauptstadt Delhi. Der 30-Jährige möchte aus Schutzgründen seinen ersten Namen nicht nennen und hat Marketing studiert. Er betreibt ein Café mit Karaoke-Bar. Der junge Familienvater wurde im Exil geboren und sein Lokal ist voller Anspielungen. Am Eingang hängt das Porträt des Dalai Lama, das mit einem gelben Gebetsschal eingerahmt ist. Auf der Speisekarte stehen jedoch nepalesische Gerichte aus der Heimat seiner Mutter und nebenan gibt es eine Karaoke-Bar. „Ich bin in Indien aufgewachsen, habe Familie in Nepal und fühle mich hier zu Hause. In meinem Herzen bin ich aber Tibeter. Das ist meine Identität“, sagt er.

Er spricht über die schwierigen Anfänge seiner Familie. Sein Großvater kam als Geflüchteter in die Siedlung Majnu-ka-Tila. Das hatte damals Slum-Charakter, sagt er. Heute ist es ein tibetischer Business-Hub mit Restaurants, Geschäften und Straßenständen. An diesem Ort ist das soziale Gefüge stark: Die Gemeinschaft organisiert sich über einen Wohlfahrtsverband. Die Gassen sind immer noch eng, doch Frauen fühlen sich sicher und das Essen ist erschwinglich. Neben dem Handel, dem Kunsthandwerk und der Gastronomie sind Tibeter auch in anderen Berufen tätig. Einige Tausend von ihnen sind in der paramilitärischen Spezialeinheit Special Frontier Force beschäftigt. Seit Jahrzehnten rekrutiert Indien Tibeter für diese verdeckte Einheit.

„Wir wollen unseren Lebensstandard verbessern. Die Migration der Tibeter wird weitergehen, aber ich bleibe“, sagt Tenzin. „Indien ist mein Zuhause“, fügt er hinzu. Vom Westen ist er nicht überzeugt. Doch „die Geschäfte in Indien laufen gut“, sagt er. Tenzin hat einen Laden gemietet und beschäftigt indische Mitarbeiter:innen, viele davon aus dem Nordosten des Landes. Gleichzeitig vergisst er nicht, warum seine Familie hier ist: „Wir haben einen Anspruch auf Tibet, egal wo wir geboren sind.“ Was die Menschen verbinde, seien die Sprache und die Erzählungen von zu Hause, sagt er.

Zugang zur Heimat verwehrt

Der Direktor der „Upper TCV School „ in Dharamsala: Tsultrim Dorjee Foto: Natalie Mayroth

Doch vielen Exil­ti­be­te­r:in­nen werde der Zugang zur Heimat verwehrt, sagt die Menschenrechtlerin Tenzyn Zöchbauer. Solange das so ist, werde Indien ein symbolischer Ort der Nähe bleiben – auch für sie, die rund um die Feierlichkeiten nach Nordindien gereist ist. „Tibeterinnen und Tibeter in Tibet kämpfen sehr stark und mutig dafür, dass die unsere Identität am Leben erhalten wird“, sagte sie der taz. Sie spricht auch die unschönen Seiten an und verweist auf Einschüchterungen, denen die Gemeinschaft im Exil ausgesetzt ist.

Dazu gehören Überwachung, und Drohungen. „Wir brauchen Schutz vor transnationalen Repressionen durch die internationale Gemeinschaft“, so Zöchbauer. In der Tibet Initiative e. V. engagiert sie sich für Aufklärung darüber, dass Ti­be­te­r:in­nen in Deutschland bei Demonstrationen fotografiert wurden und ihre Angehörigen später unter Druck gesetzt wurden, den Kontakt mit ihnen abzubrechen. Viele Ti­be­te­r:in­nen im Exil äußern sich vorsichtig, da sie befürchten, nicht mehr nach Tibet reisen zu dürfen oder ihre Familienmitglieder in Gefahr zu bringen. Dadurch wird eine Rückkehr in die Heimat, nach der sich viele sehnen, noch schwerer. Auch Asoma träumt davon, ihr Zuhause in Tibet noch einmal zu besuchen. Mit einem ausländischen Pass hofft sie, dass dies eines Tages möglich sein wird.

Viele Probleme würden sich lösen, wenn die Bitte des Dalai Lamas um echte Autonomie für Tibet erhört würde. „Er hält unsere Gemeinschaft zusammen und hat hart für uns gearbeitet“, sagt Tenzin über den Dalai Lama. Er hat viel gegeben, ohne dabei seinen eigenen Vorteil im Blick zu haben. Tenzin feierte das mit seinen Freunden. Das Resto-Café muss am Sonntag später öffnen.

Die Menschen im Exil halten dem 14. Dalai Lama zugute, dass er für Tibet die Welt bereiste. Er traf Staatsoberhäupter, Po­li­ti­ke­r:in­nen und Stars. Er wurde zum Symbol für den gewaltfreien Kampf – über Religionsgrenzen hinweg. Ein Gedanke, der auch Indien schmeichelt, denn der Dalai Lama bezieht sich ausdrücklich auch auf den Freiheitskämpfer Mahatma Gandhi. Sein Leben widmete er den Ti­be­te­r:in­nen – und den Prinzipien von Mitgefühl, Gewaltlosigkeit und Dialog. Für sein Streben nach „Versöhnung trotz brutaler Übergriffe“ wurde er 1989 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.

Srikanth Kondapalli, Professor für China-Studien an der Jawaharlal-Nehru-Universität in Delhi, verweist auf unterschiedliche Haltungen innerhalb der tibetischen Gemeinschaft – manche jüngere Ti­be­te­r:in­nen seien ungeduldiger als der Dalai Lama, was er als Zeichen einer reifenden Demokratie wertet. Gleichzeitig warnt er vor der sogenannten „Sinisierung des tibetischen Buddhismus“: einer ideologischen Anpassung von Religion, Sprache und Bildung an chinesisches Staatsdenken. Peking verfolge in Tibet nicht nur kulturelle, sondern auch strategische Interessen – etwa in Bezug auf Rohstoffe und Wasserquellen. Kondapalli sieht einen „Kampf um die Seele Tibets“ ausgebrochen. Mit seinem Anspruch auf die Nachfolgeregelung wolle China wohl gezielt Verwirrung stiften, wie es bereits beim Panchen Lama der Fall war. Gerade in solchen Zeiten wird es vielen schwerfallen, sich eine Welt ohne diese große Figur vorzustellen, die alles zusammenhält – bis der nächste oder die nächste Dalai Lama einmal so weise und erwachsen ist wie Tenzin Gyatso.

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