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Solidaritäts-Hungerstreik in BerlinVon Berlin nach Budapest bis in die Türkei

Vier Berliner Ak­ti­vis­t*in­nen treten in einen dreitägigen Hungerstreik. Sie solidarisieren sich mit der inhaftierten An­ti­fa­schis­t*in Maja T.

Treten für drei Tage in den Hungerstreik: Berliner Ak­ti­vis­t*in­nen im Café Karanfil Foto: Nina Schieben

Berlin taz | Rund 20 Personen, jüngere wie ältere, haben an diesem Mittwochvormittag auf flauschigen Sesseln und Holzstühlen im Café Karanfil in der Neuköllner Weisestraße Platz genommen. Die warmen Sonnenstrahlen, die in den Raum fallen, und der Duft von Chai können nicht über die Spannung hinwegtäuschen, die in der Luft hängt.

Zum Kaffeekranz sind sie Anwesenden nämlich nicht gekommen. An einem Tisch sitzen vier Personen mit roten Warnwesten, auf denen in schwarzer Großschrift „Hungerstreik“ steht. Ihre Gesichter sind ernst und entschlossen. Es handelt sich um vier Berliner Aktivist:innen, die den anti-imperialistischen Gruppen Young Struggle, Pride Rebellion und Stimmen der Gefangenen Plattform (TSP) angehören. Ab Mittwoch wollen sie für drei Tage hungern.

Mit der Aktion solidarisieren sich die Ak­ti­vis­t:in­nen mit sozialistischen Gefangenen in der Türkei sowie der non-binären Antifa-Aktivist*in Maja T. in Ungarn, die sich unter menschenunwürdigen Bedingungen in Isolationshaft befinden. „Wir fordern die Freilassung von allen inhaftierten Antifaschist*innen, die Schließung von Foltergefängnissen und die Befreiung von Maja“, liest ein*e der Ak­ti­vis­t*innen, die nicht mit ihrem Namen genannt werden möchten, laut von einem Zettel ab.

Eingebettet ist der Protest in europaweite dreitägige „Solidaritäts-Hungerstreiks“, wie sie hier bezeichnet werden. In den vergangenen Wochen haben sie bereits in Paris, Brüssel, Köln, Ulm, Frankfurt am Main, Leipzig und Hamburg stattgefunden. Und auch Berlin wird nicht die letzte Station sein: Der Staffelstab wird umgehend an antifaschistische Un­ter­stüt­ze­r*in­nen in Basel und London weitergereicht. Darüber hinaus werden die Streiks durch öffentliche Aktionen begleitet.

Demo für Maja T. am Freitagabend

Dass der Hungerstreik als politische Protestform zum Antifa-Mainstream wird, zeichnet sich dieser Tage gleichwohl noch nicht ab – auch nicht im unerschrockenen Berlin. Doch darum geht es auch gar nicht. „Uns geht es vor allem um Solidarität, und der Hungerstreik kann eben auch eine kollektive Praxis des Widerstands sein“, erklärt eine der Protestierenden.

Am Freitagabend ist dann erst einmal Schluss damit – doch nicht mit der Solidarität: Ein weiteres antifaschistisches Bündnis hat zu einer Demo für die Befreiung von Maja T. aufgerufen. Beginn ist um 17:30 Uhr am Pariser Platz, anschließend ziehen die Demonstrierenden vorbei an der Ungarischen Botschaft bis vor das Auswärtige Amt.

Politischer Druck muss sein, wenn dieser schon nicht von der Bundesregierung kommt: Maja T. soll im Februar 2023 in Budapest am so genannten „Tag der Ehre“ an zwei Angriffen auf Rechtsextreme beteiligt gewesen sein. Vor rund elf Monaten wurde T. nach Ungarn ausgeliefert und inhaftiert. Das Bundesverfassungsgericht erklärte jedoch später, dass die Auslieferung rechtswidrig war.

Trotzdem läuft seit Februar in Ungarn der Prozess gegen T., es drohen bis zu 24 Jahre Haft. Anfang Juni ist T. in einen Hungerstreik getreten. Der Ak­tivs­t*in wird lebensgefährliche Körperverletzung und die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen.

An diesem Vormittag im Café Karanfil wird deutlich, dass sich T. auf die Unterstützung von Berliner An­ti­fa­schis­t*in­nen verlassen kann. „Freiheit für alle politischen Gefangenen“, verkündet zum Abschluss der Auftaktkundgebung ei­ne*r der vier Protestierenden. Erst zögerlich, dann entschlossen stimmen die Versammelten ein.

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