Literaturtage des Leibniz-Zentrums: Wohin mit dem lieben Geld?
Die Literaturtage des Leibniz-Zentrums für Literatur- und Kulturforschung umkreisten in diesem Jahr ein höchst politisches Thema: das Erben.

Eigentum verpflichtet. So steht es sogar im Grundgesetz. Aber wozu verpflichtet Besitz eigentlich? Ihn zu schützen, zu verteidigen? „Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen“, heißt es weiter in Artikel 14. Im selben Artikel, in dem jeder und jedem deutschen Bundesbürger:in das Recht auf Eigentum zugesichert wird, ist das Erbrecht mitabgesichert.
Interessant eigentlich, wie beides scheinbar zusammengehört, findet der Autor und Jurist Georg M. Oswald, der bei den diesjährigen Literaturtagen des Leibniz-Zentrums für Literatur- und Kulturforschung seinen neuesten Roman vorstellt. Im Zentrum von „In unseren Kreisen“ steht das Thema der Tagung: Erbschaften.
Darin kommt ein gebildetes, mit ausgeprägtem Problembewusstsein für die durch Konsumentscheidungen abzumildernden Übel der Welt ausgestattetes Großstadtpaar unverhofft zu einer großen Summe Geld. Eine Stadtvilla gibt’s obendrauf. Eigentum ist Diebstahl, diese Losung spukt ihnen als eingefleischten Linksliberalen dabei wohl noch im Hinterkopf herum.
Obszön hohe Summen werden jährlich weitergereicht
Aber was ist das Leben nicht angenehm mit ein bisschen Geld! Und erben, das tut in ihrem Milieu, wo eigentlich das kulturelle Kapital den Ton angibt, ja ohnehin jeder – es spricht nur niemand darüber. Oswald hingegen schon, und im Moment, sagt er, seien Debatten über Erbrechtsreformen verstärkt vernehmbar.
Warum das Thema wieder im Fokus stehe, erwähnt er nicht. Gründe gäbe es viele; Kriege, Krisen, Inflation. Auch die obszön hohen Summen, die jährlich analog zur Abstammungslinie weitergereicht werden, böten genügend Anlass für Diskussion. 121,5 Milliarden Euro wurden im letzten Jahr in Deutschland vererbt – ein Rekordbetrag, ausgezahlt an einen stetig kleiner werdenden Teil der Bevölkerung.
Die Zahl erfasst dabei bloß jene Beträge, die über dem Steuerfreibetrag von 500.000 beziehungsweise 400.000 Euro liegen. Die also dem Finanzamt überhaupt bekannt sind und keine Umwege über Schmuck, Kunstwerke oder Karibikinseln genommen haben. Dass die ernster zu nehmenden Versuche, das Erbrecht zu reformieren, aktuell auf Initiativen von Superreichen zurückgeht – man erinnere sich an den von 370 (!) Millionären und Milliardärinnen unterzeichneten offenen Brief – ist dabei an Hohn eigentlich nicht zu überbieten.
Doch ums Ökonomische geht es bei der ZfL-Tagung weniger. Hier versteht man Erbe durchaus metaphysisch, als etwas nicht (mehr) Greifbares. Katja Petrowskaja etwa erzählt von ihrer Suche nach Verwandten, die im Warschauer Ghetto gelebt haben. Erbe als etwas der Geschichte Beigeordnetes zu begreifen, darüber schreibt auch Khuê Pham.
Erbe als geschichtlich Gebundenes
Die Journalistin geht in „Wo auch immer ihr seid“ den Spuren des Vietnamkriegs nach, dem Einfluss, den er auch auf die Nachbarländer hatte. Die Flucht ihres Onkels, der von Pol-Pot-Schergen in Kambodscha überfallen wurde, hat Pham literarisch ebenfalls verarbeitet.
Es ist also der „Zusammenhang zwischen Familien- und Weltgeschichte“, wie es später Lukas Bärfuss auf den Punkt bringt, der bei der Tagung zumeist im Mittelpunkt steht. Dass man sein familiäres Erbe auch hinter sich lassen kann, hat der Schweizer bewiesen. Aus ärmlichen Verhältnissen stammend, zeitweise auf der Straße lebend, ist Bärfuss heute ein erfolgreicher Schriftsteller. Ganz praktisch schlug er das Erbe seines Vaters aus, das bloß aus Schulden bestand, wovon er in „Vaters Kiste“ erzählt.
Bärfuss gilt als scharfer Kritiker der Schweiz, prangert den Umgang mit dem ärmeren Teil der Bevölkerung an. „Man wird schließlich nicht einfach so zum reichsten Land im Universum“, sagt er. In der Alpenrepublik weiß man jedenfalls, wie man diesen Titel verteidigt. Eine bundesweite Erbschaftssteuer gibt es nicht, jedes Kanton legt den Prozentsatz selbst fest. In Schwyz und Obwalden liegt der bei 0 Prozent. Doch auch hier gibt es Aufwind: 2024 starteten die schweizerischen Jusos die „Erbschaftssteuerinitiative“.
Gefordert wird die Einführung einer nationalen Erbschaftssteuer von 50 Prozent. Darunter leiden würden eher wenige: Die Steuer soll greifen ab einem Vermögen von 50 Millionen Franken. Die Erfolgschancen der Initiative werden als gering eingestuft.
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