Fehlende Integrationskultur: Soziale Isolation vertreibt Zugewanderte
Ständig geht es um Einwanderung, aber viele Zugewanderte verlassen Deutschland auch wieder. Eine neue Studie hat die Gründe untersucht.

Der zentrale Befund: Deutschland wird selten aus rein wirtschaftlicher Motivation verlassen. „Vielmehr sind es soziale Isolation, bürokratische Hürden, Diskriminierungserfahrungen oder mangelnde Aufstiegsmöglichkeiten, die dazu führen, dass Deutschland als nicht langfristig lebenswert empfunden wird“, heißt es in der Studie. Häufigster sogenannter Push-Faktor, der sie zum Wegzug bewog, war laut Befragten das Gefühl, sich nicht zuhause zu fühlen. An zweiter Stelle stand die Unzufriedenheit mit dem sozialen Leben, gefolgt vom Gefühl, nicht willkommen zu sein.
Die grundsätzliche Tendenz habe sie nicht überrascht, schreibt Franziska Loschert, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Friedrich-Ebert-Stiftung, auf Nachfrage der taz, „wohl aber die Deutlichkeit, mit der sich diese bestätigt hat“. Soziale Isolation erweise sich als ein wesentlicher Faktor für Abwanderung. Das stelle „grundlegende Fragen an die Integrationsfähigkeit und gesellschaftliche Offenheit in Deutschland“, so Loschert.
Bemerkenswert ist: Diese psychosozialen Aspekte spielten für die Befragten bei der Entscheidung zur Einwanderung zunächst kaum eine Rolle. Ausschlaggebend waren vielmehr berufliche oder bildungsbezogene Motive. Befragt wurden für die Studie vorwiegend hochqualifizierte Fachkräfte, die Stichprobe ist somit nicht repräsentativ.
Doch im Verlauf des Aufenthalts gewinnen psychosoziale Gründe offenbar zunehmend an Gewicht – und das, obwohl laut Studie viele der Befragten positive Erfahrungen im Arbeitsleben gemacht haben. „Das verdeutlicht, dass auf eine erfolgreiche Arbeitsmarktintegration nicht automatisch soziale Teilhabe folgt, wie oft angenommen wird“, schreiben die Studienautor:innen. Nicht zuletzt sind es aber auch sogenannte Pull-Faktoren in anderen Ländern, die für den Wegzug aus Deutschland entscheidend sind, etwa Jobangebote im Ausland sowie familiäre Gründe.
„Rückgewinnungsstrategie“ gefordert
Die Autor:innen zeigen auch zwei Handlungsfelder auf, um der Abwanderung entgegenzuwirken und dem Fachkräftemangel zu begegnen. Einerseits soll soziale Teilhabe von der Politik und Arbeitsmarktakteuren bei der Einwanderung aktiv gefördert werden, konkret könnte hier die Erarbeitung „eines umfassenden Willkommens- und Bleibekonzepts“ helfen.
Andererseits wird für eine „Rückgewinnungsstrategie“ plädiert, um die Abgewanderten wieder gezielt zurückzuholen. Immerhin würden 40 Prozent der Befragten über eine Rückkehr nach Deutschland nachdenken, heißt es in der Studie. Solche rückgewanderten Fachkräfte, die bereits mit Deutschland vertraut sind, würden ein wertvolles Potenzial darstellen, sagt Joana Marta Sommer, Referentin für Migration und Integration bei der Friedrich-Ebert-Stiftung, der taz. „Sie sollten gezielt angesprochen und eingebunden werden.“
Für die Studie wurden insgesamt 416 Personen befragt, 67 Prozent davon kommen aus Europa, davon etwa 40 Prozent aus Nicht-EU-Staaten. Die größte Gruppe innerhalb der Stichprobe nannte die Türkei als Herkunftsland.
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