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Singapurs Opposition spürt leichten Aufwind

Trotzdem steht bei den am Samstag anstehenden Parlamentswahlen der Sieg der Regierungspartei fest

Von Robert Lenz

Nach dem üblichen nur sehr kurzen Wahlkampf, dessen zehntägige Dauer stets die ewig regierende People’s Action Party (PAP) bevorteilt, wählt Singapur am 3. Mai ein neues Parlament. Das einzige Wahlkampfwochenende wurde in der gelenkten Demokratie des Stadtstaates trotzdem turbulent. Erstmals seit 2015 waren wieder öffentliche Wahlkampfkundgebungen möglich. Vor fünf Jahren mussten sie noch wegen der Coronapandemie ausfallen.

Für Aufregung und eine über parteipolitische Grenzen seltene Einheit sorgte jetzt der islamistische Prediger Noor Deros. Die oppositionelle Workers Party (WP), so der im benachbarten Malaysia lebende Noor Deros, habe seine Forderungen nach mehr Rechten für Muslime und einer antiisraelischen Politik akzeptiert. Die malaiisch-muslimischen Wähler forderte der Hardliner und Gründer der homophoben Wear White-Bewegung im multiethnischen Singapur auf, streng nach religiösen Kriterien zu wählen. Premierminister Lawrence Wong erklärte am Sonntag auf X: „Wir alle müssen Identitätspolitik ablehnen und dürfen Rasse und Religion nie mit Politik vermischen.“ Die Demokratieaktivistin Kirsten Han kommentierte in ihrem Blog Wir, die Bürger: „Singapur ist unsere Angelegenheit und von niemandem sonst.“ Die WP wies die Behauptung des Predigers entschieden zurück, dessen Forderungen zu teilen.

Religion ist im multireligiösen Singapur ein sensibles Thema und wie alles andere streng reguliert. Das betrifft auch Wahlen. Dank eines raffinierten Systems erscheinen sie als sehr demokratisch. In den Wahlkreisen treten sowohl Einzelkandidaten an als auch Kandidatengruppen, in denen mindestens ein Bewerber einer ethnischen Minderheit angehören muss.

Politische Vielfalt wird auch durch das System der Parlamentarier ohne Wahlkreis vorgetäuscht. Wegen des von den Briten geerbten Mehrheitswahlrechts kam es schon vor, dass die Opposition kein einziges Mandat bekam, auch wenn sie 30 Prozent der Stimmen erzielte. Um das System dennoch glaubwürdig erscheinen zu lassen, bekommen Spitzenreiter unter den Wahlverlierern trotzdem Mandate. Nutznießer mit zwei Sitzen war 2020 die von einem früheren PAP-Politiker gegründete Fortschrittspartei (PSP), die sonst kein Mandat gewonnen hätte. Han nennt dieses System gegenüber der taz unfair, undemokratisch und manipulativ: „Es ist darauf angelegt, die Fähigkeit der Singapurer zu beeinträchtigen, ein offenes und demokratisches System zu schaffen.“

Auch wenn an einem Sieg der PAP kein Zweifel besteht, schließlich tritt die Opposition nur in einem Teil der Wahlkreise überhaupt an, darf man auf das Wahlergebnis gespannt sein. Die Formel des verstorbenen autokratischen Staatsgründers Lee Kuan Yew „Ich mache euch wohlhabend, dafür haltet ihr die Klappe“ funktioniert nicht mehr reibungslos. Bei der letzten Wahl verlor die PAP fast neun Prozent. Das tut der dauerregierenden Partei weh, auch wenn sie 2020 immer noch auf gut 61 Prozent kam. Die WP hingegen feierte mit 10 Mandaten, was einem Zehntel der Sitze entspricht, einen historischen Erfolg.

Die junge Generation will soziale und demokratische Reformen. Regierung und PAP beobachten argwöhnisch den von Bangladesch über Myanmar und Thailand gewachsenen Einfluss der demokratisch gesinnten jungen Generation. Jetzt geht es in Singapur um Fragen des Lebensunterhalts, aber auch darum, ob die PAP auf lange Sicht Singapur am besten durch Krisen und Handelskriege führen kann. Das ist auch eine Vertrauensabstimmung über Premier Wong, der erst seit Mai 2024 im Amt ist.

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