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Stanisław Lem am Schauspiel FrankfurtEingebildete Dämonen

Opulent und doch missglückt: Christian Friedels Inszenierung des Sci-Fi-Klassikers „Solaris“ am Schauspiel Frankfurt verliert sich in Traumschleifen.

Wo es an Ideen mangelt, rettet die Show Foto: Thomas Aurin

Das gibt es nicht allzu häufig: Standing Ovations auf der einen Seite, Buhrufe auf der anderen. Selten war das Publikum am Schauspiel Frankfurt derart gespalten wie bei Christian Friedels jüngster Premiere. Wahrscheinlich, weil seine Inszenierung von Stanisław Lems Klassiker „Solaris“ von 1961 krasse Qualitätsschwankungen aufweist, und zwar zuvorderst auf der Handlungsebene:

Nachdem Kris Kelvin in der Raumstation auf dem titelgebenden Planeten landet, findet er Chaos vor. Ein Astronaut hat sich umgebracht und die Übriggebliebenen kämpfen mit Halluzinationen. Wie sich herauskristallisiert, scheint der Ozean des Himmelskörpers dafür ursächlich zu sein. Als eigenständiger Organismus nimmt er, so die Vermutung, Einfluss auf die Erinnerung der Ko­lo­ni­sa­to­r:in­nen und treibt sie in den Wahnsinn.

Übt der 2006 verstorbene polnische Schriftsteller mit seinem Roman insbesondere Kritik am Fortschrittsdrang sowie dem Machtstreben des Menschen, so bleibt in dieser Aufführung nichts von diesem politischen Überbau übrig. Die welthaltige Dystopie, sie schrumpelt zu einem inneren Bewusstseinsdrama zusammen. Die Figuren, verkörpert von Lotte Schubert, Miguel Klein und Stefan Graf, suchen sich selbst und die Verstorbenen, ringen mit eingebildeten Gästen und Dämonen.

Außer dem sich wiederholenden Irregehen passiert recht wenig. Kaum etwas erweist sich als konkret oder fassbar, das meiste wächst sich ins Abstrakte aus. So gleicht die Inszenierung von Anfang an einem UFO, das bezugslos, fern unserer Gegenwart im Weltraum schwebt. Damit wäre wohl die artikulierte Enttäuschung einiger Zu­schaue­r:in­nen erklärt, mitnichten jedoch die ebenso lautstarken Jubelbekundungen.

Diese dürften vorrangig auf einige stimmungsvolle Szenen zurückgehen. Begleitet vom Drummer Max Mahlert bietet Anabel Möbius in der Rolle des verstorbenen Gibarian poetische Songfragmente. Sie entfalten eine sphärische, hypnotische Wirkung. Wenn dann auch noch das Ensemble chorisch einstimmt, entstehen Momente von ekstatischer Kraft.

Zweigeteilter Abend

Überhaupt gilt an diesem höchst zweigeteilten Abend, der zähflüssig zu erzählen, aber emotional zu berühren vermag, die Formel: Wo es an Ideen mangelt, rettet die Show. Neben der aufwändigen Musik ragt die Kulisse hervor. Von der Decke herabkommende Tore, eine Rotunde und ein Tunnel, die durch Leuchtelemente konturiert werden, muten futuristisch und zugleich minimalistisch an. Jenes Universum verzichtet somit auf illustrative Bühnenbilder und beschränkt sich auf den Wechsel aus Finsternis und Helligkeit.

Dass man dem Düsteren nicht entfliehen kann, verdeutlicht überdies die Rondellbühne. Darauf gehen die Wis­sen­schaft­le­r:in­nen nicht nur im Kreis, sie fährt am Ende zudem in den Abgrund. Werden die Figuren nun schlussendlich vom Ozean verschlungen? Man kann darüber nur spekulieren, weil sich die Geschichte eben im Vagen auflöst. In der Luft verfängt sich dann theatraler Sternenstaub, zweifelsohne ein sehr schöner, der sich nur allzu schnell verflüchtigen wird.

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