: Mäurer will Frühwarnung für Psycho-Gewalttäter
Nach den zum Teil tödlichen Angriffen psychisch kranker Täter will Bremens Innensenator von der SPD ein Frühwarnsystem etablieren. Das wirft datenschutzrechtliche Bedenken auf
Von Eiken Bruhn
Ein „Frühwarnsystem“ hatte Bremens Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) Ende Januar versprochen, eine Woche nachdem ein psychisch kranker Mann in Aschaffenburg eine Kindergarten-Gruppe mit einem Messer angegriffen hatte. Ein zweijähriger Junge und ein 41-Jähriger starben, drei weitere Menschen wurden schwer verletzt, darunter ein Kleinkind.
Die Bremer Behörden sollten sich in Zukunft „stärker über psychisch auffällige, potenziell gewalttätige Personen austauschen“, kündigte Mäurer in einem Interview mit Radio Bremen an. Datenschutzrechtliche Probleme sieht er –im Gegensatz zu vielen Ärzt:innen und Psychotherapeut:innen –keine. Wichtig sei, dass die Behörden „das Problem analysieren, dass sie zusammenkommen“.
Das sollen sie nun jeden Monat tun, in einer ständigen Konferenz, abgekürzt Stäko, wie in einem dreiseitigen „Grundsatzpapier“ steht, das vergangene Woche in der Innendeputation der Bremischen Bürgerschaft vorgestellt wurde. Dieses wurde von Mitarbeiter:innen aus zwei Behörden mit unterschiedlichen Interessen geschrieben: Dem von der SPD geführten Innenressort und dem von der Linken geführten Gesundheitsressort. Und genau so liest es sich auch. Als hätten beide Seiten versucht, die jeweils andere zu neutralisieren. Das Ergebnis ist ein bisweilen wirrer Text.
Da geht es um „Gewalt als gesellschaftliches Problem“ und eine Gesellschaft im Wandel, was „Auswirkungen auf die Psyche“ habe. Welche, steht da nicht. Und auch nicht, was diese Auswirkungen mit Gewalt zu tun haben. Denn weiter heißt es: „Die Gewaltkriminalität steigt in den letzten Jahren, insbesondere im Bereich der Körperverletzungen, aber auch bei Vergewaltigung und sexueller Nötigung.“ Und eine Seite weiter: Es gebe keine „eindeutigen Daten, die zeigen, dass psychisch erkrankte Menschen im Allgemeinen eine größere Gefahr darstellen als andere Menschen“.
Dennoch müsse man etwas tun, sei sich der Senat sicher: „Die Bevölkerung ist verunsichert, weil Menschen mit den unterschiedlichsten Hintergründen Anschläge verüben.“ Konkret bezieht sich das Grundsatzpapier auf „Taten wie in Mannheim, Aschaffenburg und Magdeburg“. Bei allen Tätern liegen Hinweise auf eine psychische Erkrankung vor. In dem Grundsatzpapier ist allerdings die Rede von Personen, „die in keine eindeutigen Kategorien einzuordnen sind“. Auch auf Nachfrage der taz zu diesen Punkten wird der Innensenator nicht konkreter, etwa wie sich eine „Zunahme von Attentaten“ messen lasse.
Weiterhin fehlen in dem Papier Hinweise darauf, wie so ein Frühwarnsystem funktionieren könnte, und was sich überhaupt ändern wird – außer dass sich Behördenvertreter:innen häufiger treffen. Denn die Fallkonferenzen, die das Grundsatzpapier aufführt, gibt es bereits, wie eine Sprecherin der Gesundheitssenatorin bestätigt. Ebenso wie eine Reihe von Aufgaben, die in der Stäko „spezifiziert“ werden sollen, aber größtenteils im Rahmen der Psychiatriereform umgesetzt wurden. Zum Beispiel ein „aufsuchendes/nachgehendes Behandlungsmodell für Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen“. Offenbar soll dieses ausgebaut werden – was mit höheren Kosten verbunden wäre. Dasselbe gilt für andere der genannten Aufgaben wie ein rund um die Uhr erreichbarer sozialpsychiatrischer Krisendienst oder bessere Angebote für Geflüchtete. Die scheiterten bisher daran, dass die rot-rot-grüne Regierung dafür nicht das Geld hatte.
Und dann ist da immer wieder die Rede von Meldewegen und Möglichkeiten der Datenübermittlung, insbesondere nach Entlassung. Ein Frühwarnsystem, das hatte der Bremer Innensenator in dem Interview im Januar gesagt, müsse ähnlich aufgebaut sein wie bei Gefährdern ohne psychische Erkrankung wie Islamisten oder Rechtsextremisten. Dafür bräuchten die Sicherheitsbehörden Zugriff auf „gefährdungsrelevante Erkenntnisse zu psychisch Erkrankten“, so hatte es auch Ende Januar ein Beschluss der von Mäurer geleiteten Innenministerkonferenz der Bundesländer formuliert.
Gegen solche Register-Dateien über psychisch Kranke hatten sich augenblicklich Ärzt:innen und Psychotherapeut:innen ausgesprochen und auch in Bremen verweist die Sprecherin der Gesundheitssenatorin auf die ärztliche Schweigepflicht.
Allerdings sieht auch sie Verbesserungsbedarf in der Versorgung speziell geflüchteter Menschen, die aufgrund ihrer Erfahrungen im Herkunftsland, auf der Flucht und beim Ankommen ein vielfach höheres Risiko tragen, psychisch zu erkranken. Auf Nachfrage sagt eine Sprecherin, die Stäko habe die Aufgabe, „die systematische Aus- und Bewertung der Erkenntnisse aus den Fallkonferenzen mit den entsprechenden Konsequenzen“ zu verbessern. Zudem sollten die Dienste, die mit der Zielgruppe arbeiten, stärker kooperieren.
Hinweise darauf, dass der sozzialpsychiatrische Krisendienst der Stadt seiner Aufgabe häufig nicht gerecht werden kann, gibt es zahlreiche. Als Mitglied der Besuchskommission in psychiatrischen Kliniken im Land Bremen höre sie immer wieder, dass die Kapazitäten nicht ausreichten, sagte die Grüne Maike Schaefer in der Sitzung der Innendeputation. Und die Nachbetreuung nach einem Klinikaufenthalt sei häufig nicht gewährleistet. Das gilt besonders für Obdachlose. Auch Nelson Janßen von der Linken sagte, der Krisendienst müsse besser ausgestattet sein.
Eine Person aus dem Krisendienst, die anonym bleiben will, sagte der taz, oft müsse die Polizei gerufen werden, um jemand in die Klinik einweisen zu können, wenn die ambulante Hilfe nicht ausreiche. „Ansonsten nimmt die Klinik ihn oder sie aufgrund der Überbelegung nicht auf.“ Das könnte auch mit erklären, warum die Polizei zunehmend mit psychisch Kranken zu tun habe, wie es Mäurer in dem Radio-Bremen-Interview sagte.
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