Astronomin über Weltraumpolitik: „Wie im Wilden Westen“
Tech-CEOs und Großmächte treiben die Raumfahrt voran – und machen dieselben Fehler wie auf der Erde. Ein Gespräch über Alternativen zur Vermüllung.

taz: Etwa 13.000 Satelliten umkreisen die Erde, sie tragen zur Aufhellung des Nachthimmels bei. Eine ungetrübte Sicht ins All gibt es nicht mehr. Wie wirkt sich das auf die Forschung aus?
Aparna Venkatesan: Mit der zunehmenden Anzahl an Satelliten in der niedrigen Erdumlaufbahn erscheinen immer mehr reflektierende Geräte am Himmel. Diese kurzen Lichtblitze und Streifen beeinflussen die Messung kosmischer Phänomene. Außerdem kommt es insgesamt zu einer Aufhellung des Himmels durch die schiere Menge leuchtender Punkte. Es gibt aber auch eine ökologische Komponente. Umweltzerstörung findet an den Startplätzen statt, in der Umlaufbahn und wenn Satelliten in der Atmosphäre verglühen. Vielleicht fühlen wir Stolz, wenn wir eine Satellitenkette aufsteigen sehen und mit ihr all das Potenzial: schnelles Internet, globale Kommunikation, Daten für die Klimaforschung. Aber ganze Ökosysteme haben sich über Jahrtausende an den Rhythmus von Licht und Dunkelheit gewöhnt. So schnell können sie das nicht umstellen.
taz: Zahlreiche Lebewesen verlassen sich auf die Sterne. Auch polynesischen Seefahrer*innen dienten sie schon vor Tausenden von Jahren als Leuchttürme, als sie ihre Boote über den nächtlichen Pazifik steuerten. Doch schon jetzt haben die meisten Menschen keinen Zugang mehr zum dunklen Nachthimmel. Was bedeutet dieser Verlust?
Venkatesan: Für mich trägt der Himmel alle menschlichen Identitäten in sich, egal, ob wir Wissenschaftler*innen, Künstler*innen oder Umweltschützer*innen sind. Der Himmel ist wie ein übergeordnetes Sammelbecken, in dem all das Platz findet. Dass heute fast niemand mehr dunkle Sternenhimmel oder die Milchstraße sehen kann, bereitet mir Sorgen. Denn wir schützen und schätzen nur das, was wir kennen. Wenn wir den Himmel, den die Menschheit über Jahrtausende gekannt hat, nicht mehr erleben – wie sollen wir dann den Geschichtenerzähler*innen und Wissenschaftler*innen von morgen zeigen, was wir einst hatten? Das ist keine bloße Nostalgie nach einer vergangenen Zeit. Der Himmel war einst unser natürlicher Referenzrahmen, etwas, an das wir uns biologisch, kulturell und spirituell angepasst haben. Das will ich verteidigen. Ich halte es für ein zentrales menschliches und ökologisches Recht.
war die erste Frau, die an der Cornell University in New York ein Studium der Astronomie abschloss. Heute ist sie Professorin für Astronomie und Physik an der University of San Francisco. Sie arbeitet an Studien über die ersten Sterne und Quasare im Universum sowie an zahlreichen Projekten in den Bereichen Kulturastronomie und Raumfahrtpolitik.
taz: Die Erforschung des Weltraums ist mit hohen Emissionen verbunden, von deren Folgen indigene Gemeinschaften deutlich stärker betroffen sind als der Rest der globalen Bevölkerung. Auch für den Bau von Raketenstartplätzen müssen teils indigene Gemeinschaften weichen. Welche Rolle spielt die Raumfahrt in der Fortsetzung globaler Ungerechtigkeiten?
Venkatesan: Wir exportieren nicht nur Raketen ins All, sondern auch unsere Weltanschauungen, Rechtssysteme und politische Strukturen. Vieles davon hat bereits auf der Erde versagt, insbesondere gegenüber indigenen Völkern. Hier eröffnet sich ein weitgehend unbearbeitetes Feld: die Rolle indigener Rechte im Weltraum. Viele Raumfahrtnationen, die heute Raketen starten, haben Verträge mit indigenen Bevölkerungen und schulden ihnen Anteile an den Gewinnen aus dem Rohstoffabbau auf der Erde. Was bedeutet das für den Abbau von Ressourcen im All? Viele indigene Perspektiven betrachten Erde und Himmel nicht als getrennte Bereiche, sondern als Kontinuum – im Gegensatz zum westlichen Denken, das komplexe Dinge in isolierte Einzelteile zerlegt. Diese Art der Umweltverantwortung ist Teil eines größeren Verständnisses: Wir gehören zur Umwelt, sie gehört uns nicht.
Tech-Konzerne warnen ständig vor der Auslöschung der Menschheit, um sich selbst als Retter zu inszenieren. Elon Musk träumt von der Besiedlung des Mars. Popsängerin Katy Perry ließ sich kürzlich in einer Rakete des Tech-Milliardärs Jeff Bezos ins All befördern. Manche bezeichnen den Weltraum bereits als „Spielplatz für Milliardäre“.
Venkatesan: Es ist wie im Wilden Westen. Und noch dazu eine gefährliche Ausweitung kolonialer Praktiken auf ein kosmisches Level: Die Annahme, dass da draußen niemand ist, dass der Raum da ist, um erobert zu werden, das kennen wir schon von der Unterwerfung anderer Kontinente durch europäische Staaten. Das All wird im Kontext von Nutzen betrachtet – für all jene, die Anspruch erheben. Dabei sehen viele Wissenschaftler*innen das Weltall als globales Gemeingut. Es gehört niemandem.
In seiner „Mondrede“ 1962 erklärte John F. Kennedy: „Keine Nation, die erwartet, die Führung anderer Nationen zu übernehmen, kann erwarten, im Wettlauf um den Weltraum zurückzubleiben.“ Donald Trump verkündete 2024: „Wir werden die Welt im Weltraum anführen und den Mars noch vor dem Ende meiner Amtszeit erreichen.“ Woher kommt dieser zeitliche Druck?
Venkatesan: (lacht) Ja, wozu die Eile? Der Mond war immer unser Begleiter und in vielen kulturellen Vorstellungen auch unser Ahne. Die Māori-Wissenschaftlerin Linda Tuhiwai Smith bezeichnet das als „konstruierte Dringlichkeit“ kolonialer Systeme. Wir müssen jetzt dorthin. Als Erste. Ich sehe darin einen Ausdruck des westlichen linearen Zeitverständnisses: Anfang, Mitte, Ende, alles in klarer Reihenfolge. Unser Handeln wird nicht durch ein Modell verantwortungsvoller Fürsorge angetrieben, sondern durch die Angst, nicht die Ersten zu sein. Das nimmt uns die Möglichkeit, Zeit zyklisch zu betrachten, wie es viele indigene Perspektiven tun. Es wird immer Anfänge und Enden geben. Zeit ist in diesem Verständnis etwas, das durch uns hindurchfließt und an das wir uns nicht krampfhaft klammern müssen. Dieses Ringen darum, als Erste irgendwo zu sein, um es im Namen von irgendwem zu beanspruchen, ist koloniales Denken. Dabei ist das „Ich bin ein Entdecker“-Narrativ nicht nur etwas für Tech-CEOs. Es ist etwas zutiefst Menschliches. Wir sind immer neugierig gewesen.
Viele Historiker*innen betrachten die Astronomie als die älteste Wissenschaft der Welt.
Venkatesan: Die Tiefe an Wissen, die sich in den Himmelsbeobachtungen über verschiedene Breitengrade hinweg zeigt, ist atemberaubend. Auf der Südhalbkugel ist der Nachthimmel detailreich, so sehr, dass viele Kulturen dort nicht Sternbilder benennen, sondern die dunklen Muster zwischen den Sternen, die wiederum nach der lokalen Flora und Fauna benannt sind. Kosmische Muster und Rhythmen prägen Weltbilder und das Zeitgefühl ganzer Kulturen. Ich glaube aber, in einer Zeit, in der Wissenschaft zunehmend ignoriert und sogar lächerlich gemacht wird, wird es eine Weile dauern, bis wir uns ernsthaft mit der Frage auseinandersetzen: Wie schaffen wir es, ein verantwortungsvolles Modell der Weltraumforschung zu entwickeln?
Wie könnte ein solches Modell aussehen?
Venkatesan: Die Antarktis ist ein hervorragendes Beispiel eines globalen Gemeinguts: ein geschützter Raum, der keiner Nation gehört, aber von vielen gemeinsam betreut wird. Enge wissenschaftliche Zusammenarbeit, keine territoriale Beanspruchung, keine Ausbeutung. Dem gegenüber steht ihr Gegenpol: die Arktis. Dort dominieren ausbeuterische Interessen. Ob es um Grönland geht, oder um neue Passagen und Landflächen – der profitorientierte Zugang ist da und wird sich durch den Klimawandel weiter beschleunigen. Dieses Muster sehen wir auch im Weltraum, den gleichen Drang, zu beanspruchen, zu profitieren, zu kontrollieren. Deshalb finde ich, wir sollten diese beiden Pole im Blick behalten. Wenn wir nach zukunftsfähigen Modellen suchen, wie wir mit dem Weltraum umgehen, dann sollten wir von dem lernen, was bereits auf der Erde funktioniert.
Es gibt den sogenannten Weltraumvertrag, der vor über 50 Jahren von einem UN-Komitee ausgehandelt und von mehr als 100 Staaten ratifiziert wurde. Er bildet die Grundlage für die friedliche Erforschung des Weltraums.
Venkatesan: Der Weltraumvertrag ist das beste internationale Regelwerk, das wir derzeit für die Verwaltung des Weltraums und die friedliche Erforschung des Alls durch verschiedene Raumfahrtnationen haben. Wenn es uns gelänge, uns zumindest an die darin formulierten Grundprinzipien zu halten, wäre das ein großer Schritt. Der Vertrag ist aber ein Kind seiner Zeit. Er basierte auf der Annahme, dass Nationalstaaten im All friedlich zusammenarbeiten würden. Was er nicht antizipierte, ist die inzwischen übergroße Rolle privater Weltraum-Akteur*innen. Er ging davon aus, dass Regierungen Verträge schließen, sich an sie halten und einander zur Rechenschaft ziehen. Doch wie soll das gehen, wenn nun private Konzerne und milliardenschwere CEOs zunehmend das Sagen haben?
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