: Wenn der „australische Traum“ zum Albtraum wird
Am Samstag wird in Australien gewählt. Ein Thema überragt im Wahlkampf alle anderen: Wegen steigender Hauspreise und eskalierender Lebenshaltungskosten haben vor allem junge Menschen kaum noch eine Chance, eine Immobilie zu erwerben. Gleichzeitig nehmen Armut und Hunger zu in einem der reichsten Länder der Welt
Aus Canberra Urs Wälterlin
Peta Collins (Name geändert)ist den Tränen nah. „Kein Chance, absolut keine Chance“ habe sie, „je ein eigenes Haus kaufen zu können“, sagt die 24-Jährige aus der Kleinstadt Goulburn südlich von Sydney. Was noch vor einer Generation Teil des „australischen Traums“ gewesen war – ein Eigenheim mit Garten, weißem Zaun und Hund –, ist heute für viele vor allem jüngere Menschen zum Albtraum geworden. Eskalierende Immobilienpreise in den letzten fünf Jahren – im Schnitt um fast 40 Prozent – und ein Anstieg der Lebenshaltungskosten von 20 Prozent in vier Jahren machen es für Durchschnittsverdienerinnen wie der Zahnarztassistentin fast unmöglich, die notwendige Anzahlung für eine Hypothek anzusparen. Denn gleichzeitig blieben die Gehälter oft unverändert.
Obwohl der landesweite Durchschnittslohn offiziell bei rund 6.500 australischen Dollar (3.650 Euro) pro Monat liegt, müssen viele Australier:innen mit deutlich weniger auskommen. In Sydney kostet ein Haus im Schnitt fast 1,2 Millionen australische Dollar (670.000 Euro). Selbst für eine Zweizimmerwohnung legt man schon mal eine Million Dollar auf den Tisch. In ländlichen Gegenden ist eine Immobilie kaum noch unter 400.000 Dollar zu haben.
Der Verzicht auf ein eigenes Haus wird für immer mehr Menschen Realität in einem Land, das bis vor wenigen Jahren eine der höchsten Raten an Eigenheimbesitz hatte. Selbst Mieten ist eine Herausforderung. Die Durchschnittspreise kletterten in den letzten fünf Jahren um 36 Prozent auf 773 Dollar pro Woche in Sydney, etwas weniger in anderen Städten. Es sind deshalb nicht zuletzt junge Menschen, um deren Stimme Politiker:innen im Vorfeld der Wahlen an diesem Samstag buhlen.
Wahlbeobachter sehen Stimmenzuwächse bei progressiveren Kandidat*innen. Die Grünen, die im Repräsentantenhaus 4 und im Senat 11 Sitze haben, fordern höhere Steuern für Superreiche und große Rohstoffunternehmen. Laut der Denkfabrik Australia Institute subventioniert Canberra die Rohstoffindustrie mit jährlich bis zu 11 Milliarden Aus-Dollar.
Ähnliche Forderungen stellen einige der unabhängigen Politikerinnen. Diese parteipolitisch nicht gebundenen Kandidat*innen hatten ihre Zahl 2022 von drei auf zehn erhöhen können, weil sie vor allem einen entschlosseneren Kampf gegen die Klimaerwärmung gefordert hatten. Umfragen gehen jetzt von weiteren Gewinnen aus, was auch mit der für viele enttäuschenden Klimapolitik der Labor-Regierung zu tun. Zwar legte diese in den letzten drei Jahren einen Fokus auf erneuerbare Energien. Zugleich aber bewilligte die Regierung etwa im letzten Jahr zehn neue Kohle- und Gasprojekte oder Erweiterungen. Die konservative Opposition will mehrere Atomkraftwerke bauen, den Ausbau erneuerbarer Energien bremsen und Australiens Position als drittgrößtem Exporteur fossiler Brennstoffe deutlich stärken. (uw)
Sowohl die regierende Labor-Partei unter Premierminister Anthony Albanese als auch die oppositionelle konservative Koalition unter Peter Dutton bieten Lösungen an. Albanese verspricht die Erstellung von 1,2 Millionen Wohnungen bis 2029, Dutton will 500.000 Wohnungen bauen. Labor möchte Erstkäufern von Wohneigentum eine Anzahlung von nur 5 statt der üblichen 20 Prozent erlauben. Die Konservativen wollen, dass Kaufwillige bis zu 50.000 Dollar aus ihrer Altersvorsorge für eine Anzahlung verwenden können.
Doch Expert:innen sind kritisch: Beide Maßnahmen könnten den Immobilienmarkt weiter anheizen, solange das Grundproblem nicht gelöst werde. Es seien in den letzten Jahrzehnten schlicht zu wenige Häuser und Wohnungen gebaut worden. Komplexe Planungsgesetze und ein chronischer Mangel an Sozialwohnungen hätten die Situation noch verschlimmert. Gleichzeitig wuchs die Bevölkerung auf inzwischen über 26 Millionen. Während Premier Albanese auf Fortschritte hinweist, die seine Regierung seit ihrer Wahl 2022 im Bereich Wohnungsbau gemacht habe, will Oppositionsführer Dutton im Falle eines Wahlsieges die Zuwanderung drastisch beschneiden. Einwanderer erhöhten den Druck auf den Immobilienmarkt – eine Behauptung, die unter Experten umstritten ist. Kritiker werfen Dutton Polemik und rassistische Rhetorik vor.
So will der bis vor Kurzem begeisterte Anhänger des US-amerikanischen Präsident Donald Trump ein zweijähriges Verbot des Verkaufs bestehender Immobilen an Ausländer einführen. Auch argumentiert er für weniger zahlende Studierende – allen voran aus Asien, obwohl diese in der Regel in Universitätsunterkünften leben und maßgeblich zum Exporteinkommen Australiens beitragen. Auch sind ausländische Investoren für weniger als ein Prozent der Immobilienkäufe verantwortlich.
Für viele Australier:innen eine noch größere Belastung sind die steigenden Lebenshaltungskosten. Die bis heute anhaltenden Folgen des wirtschaftlichen Einbruchs während der Covidpandemie sowie hohe Lebensmittelpreise in einem Land, in dem zwei Großhändler den Markt fast monopolartig dominieren, führen laut Experten sogar zu Hunger. Laut einer Studie leiden in Australien etwa 3,4 Millionen Haushalte unter Lebensmittelunsicherheit. Sie lassen regelmäßig Mahlzeiten aus oder müssen ganze Tage ohne Essen verbringen, weil sie sich nicht genügend Lebensmittel leisten können. Schulen melden, dass Kinder ohne Frühstück in den Unterricht kommen. Karitative Organisationen wie Foodbank arbeiten mit der Lebensmittel- und Einzelhandelsbranche zusammen, um überschüssige Produkte zu sammeln. Foodbank versorgt so über eine Million Australier mit kostenlosen Lebensmitteln.
Ronny Kahn, Vorsitzende der Organisation OzHarvest, berichtet von immer mehr „Familien mit zwei verdienenden Elternteilen“, die in immer länger werdenden Warteschlangen stünden, „weil das Geld einfach nicht reicht“. Wenn es darum gehe, „eine Rechnung zu bezahlen oder Lebensmittel zu kaufen, ist es für die Leute einfacher, nichts zu essen“, so Kahn. Weder Premierminister Anthony Albanese noch Peter Dutton haben im Wahlkampf bisher wesentliche Maßnahmen vorgeschlagen, um dem Problem der wachsenden Armut zu begegnen.
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