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„Backen, das ist vielleicht das Handwerk per se“

Sarah Werner und Jona Redslob haben mit zwei Freunden im Kollektiv eine Bäckerei in Leipzig aufgemacht. Sie orientiert sich am Konzept der solidarischen Landwirtschaft. Und macht es ihnen möglich, auszuschlafen

Müssen nicht schon zur nachtschlafenden Zeit zum Backen raus: Sarah Werner und Jona Redslob

Amira Klute (Gespräch) und Thomas Victor (Fotos)

Für das Interview haben sich Sarah Werner und Jona Redslob vor ihre Backstube in der Markthalle in Leipzig-Plagwitz gesetzt. Sarah hat noch Teig an den Händen. Sie kommt direkt von der Vormittagsschicht. Jona hat ihr erst mal einen Kaffee gebracht.

taz: Frau Werner, was haben Sie gerade gebacken?

Sarah Werner: Ich habe gerade Brote aufgearbeitet. Wir bereiten am Freitag immer Brote vor für den Samstagsmarkt, der hier in der Markthalle stattfindet. Die Teiglinge, so nennt man die, kommen über Nacht in den Kühlschrank und werden dann morgen Früh gebacken. Dann sind die frisch für den Markt.

Jona Redslob: Und man muss nicht so früh aufstehen!

taz: Das ist eins von mehreren Dingen, die in Ihrer Bäckerei anders laufen als in den meisten Betrieben. Wie Sie das organisieren, darüber werden wir noch sprechen. Vorher aber erst einen Schritt zurück. Erinnern Sie sich noch an Ihr erstes Brot?

Redslob: Das erste weiß ich nicht mehr, aber ich erinnere mich an meine Sauerteigphase. Ich habe schon vor meiner Bäckerausbildung zu Hause experimentiert. Rückblickend würde ich sagen, dass es wirklich kein gutes Brot war. Es sah zwar aus wie ein Brot, aber war nicht richtig gelockert. „Kanonenkugel“ war der Kommentar, den ich bekommen hab. (beide lachen)

Werner: So richtig von Anfang bis Ende, von Teig ansetzen bis ausbacken, das kam bei mir erst in der Ausbildung. Aber ich bin ja mehr oder weniger in der Backstube aufgewachsen und da war ich schon am Backen beteiligt.

taz: Sie kommen aus einer schwäbischen Bäckerfamilie. In der Familie Ihres Vaters sind alle Bäcker gewesen. Wie war das als Kind?

Werner: Bis ich sieben war, hab ich über der Backstube mit Ladengeschäft gewohnt. Ich erinnere mich, wie ich im Laden gespielt habe, als meine Mama im Verkauf stand. Ich habe Brötchen aus dem Ofen geholt oder Salz auf die Brezeln gestreut. Und ich kann mich nicht daran erinnern, wie ich gelernt habe, Brezeln zu schwingen. Das kann ich einfach schon immer. Aber das war nur meine frühe Kindheit, bis meine Eltern sich getrennt haben. Meine Mutter, meine Geschwister und ich sind ausgezogen und dann kam eigentlich die Verbindung zum Backen erst wieder, als ich mit der Lehre angefangen habe.

taz: Bis dahin hat es aber noch gedauert. Sie haben beide erst mal studiert. Wie sind Sie dann doch noch Bä­cke­r:in geworden?

Werner: Ich glaube, einmal war es bei uns beiden ähnlich, dass das Studium irgendwie ins Leere gelaufen ist und wir was machen wollten, wo man am Ende des Tages sieht, was man geschafft hat.

Redslob: Ich wusste lange nicht, was für ein Handwerk ich machen soll und habe an irgendwas mit Holz gedacht oder mit Fahrrädern. Dann war ich bei einer Waldbesetzung in Frankreich, wo in einem Holzofen einmal die Woche Brot für alle gebacken wurde. Da habe ich mitgemacht und war richtig begeistert. Dann hat es noch ein Jahr gedauert, bis mir aufgefallen ist: Backen ist doch auch ein Handwerk, da macht man ja was mit Händen. Das ist vielleicht sogar das Handwerk per se, oder Sarah?

Werner: Ja, schon. Bei mir hatte es aber auch emotionale Gründe, warum es jetzt ausgerechnet das Bäckerhandwerk geworden ist. Es war die Zeit, wo ich mich mit der Beziehung zu meinem Vater auseinandergesetzt habe. Ich habe irgendwann gemerkt, vielleicht ist das der Weg, wieder zu ihm einen Zugang zu finden. Vor der Ausbildung habe ich ihn gefragt, ob ich mal bei ihm mitarbeiten darf. Na ja, und das hat mich schon viel Überwindung gekostet.

taz: Warum?

Werner: Weil wir nicht so den Draht zueinander hatten. Ich dachte immer, wir müssen unsere Geschichte und was alles so gelaufen ist mit der Trennung aufarbeiten. Und ich wusste nie so richtig, wie.

taz: Und wie war es dann, zusammen in der Backstube zu stehen?

Werner: Ich fand es ziemlich schön. Ich habe meinen Vater noch mal ganz anders kennengelernt – oder wir uns gegenseitig, was einfach so ganz viele Jahre überhaupt nicht der Fall war.

taz: Konnten Sie was von Ihrem Vater lernen?

Werner: Mein Vater hat sehr konventionell gearbeitet, mit Backmitteln und Fertigmischungen und ohne Sauerteig. Das ist nicht das Handwerk, das wir jetzt machen und was mein Anspruch ist. Es waren deshalb eher die Handgriffe, die ich von ihm abgeschaut habe. Und wir haben ein paar Sachen aus seiner Backstube bekommen, nachdem er vor zwei Jahren zugemacht hat, um in Rente zu gehen. Schüsseln, Messbecher, zwei Wagen.

taz: In den letzten zehn Jahren hat ein Drittel der kleinen Bäckereien in Deutschland zumachen müssen. Das größte Problem ist, dass es zu wenig Auszubildende gibt. Wundert Sie das?

Redslob: Nicht wirklich. Bäckerausbildung heißt harte Arbeit, schlechte Arbeitszeiten und schlechte Bezahlung.

taz: Nach Tarif sind es zwischen 1.000 und 1.230 Euro brutto im Monat – je nach Lehrjahr. In den meisten Betrieben wird nachts gearbeitet, in manchen startet der Nachtdienst bereits um 23 Uhr, in anderen dann um 2 oder 3 Uhr.

Redslob: Das ist einfach nicht gerade attraktiv.

Werner: Dazu kommt diese hierarchische Struktur. Also ich fand es tatsächlich problematisch, dass man als Azubi erst mal weit unten in der Hierarchie steht. Vielleicht als Frau dann sogar noch mehr. Ich merke jetzt, dass mir das total wichtig ist, wie ich mit meinen Kol­le­g:in­nen zusammenarbeite und dass das möglichst auf Augenhöhe passiert.

Redslob: Was ich noch sagen will: Es stimmt zwar, dass viele Bäckereien zumachen. Das ist aber nur die eine Seite der Medaille. Es gibt auch den Trend, dass neue Bäckereien aufmachen, die anders sind, also moderner, und die eben diese Probleme bearbeiten.

taz: Mein Stichwort. Zu viert haben Sie 2023 die Gemeinschaftsgetragene Bäckerei Ge:­Bäck gegründet. Sie funktioniert nach dem Konzept der solidarischen Landwirtschaft: Menschen bezahlen monatlich einen Beitrag und können dafür an 46 Wochen im Jahr ein Brot abholen. Wie kamen Sie auf die Idee?

Redslob: Alles hat damit angefangen, dass Kai aus unserem Kollektiv und ich in einem Leipziger Hausprojekt regelmäßig Brote in einem Holzofen gebacken haben. Das war zu einer Zeit, als ich sehr frustriert von meiner Ausbildung war, gerade wegen diesem Hierarchischen, was Sarah angesprochen hat. Da war das ein Raum, wo wir ganz selbstbestimmt backen konnten, auch in einem anderen Tempo. Also ein sehr, sehr langsames Tempo (lacht). In den Ofen haben 32 Kastenbrote gepasst. Die haben wir ohne Gegenleistung abgegeben an Leute, die halt Brot brauchten.

taz: Und dann hatten Sie keine Lust mehr, unbezahlt zu backen?

Redslob: Na ja, ich hab das teilweise neben der Ausbildung gemacht am Samstag, nach einer Fünftagewoche. Das knockt einen dann schon irgendwann aus. Und das, was wir eigentlich wollten, war genau das Gegenteil: weniger arbeiten als das so üblich ist mit den 40-Stunden-Wochen.

Werner: Und davon aber auch trotzdem leben können.

Redslob: Ja, aber der Grundgedanke sollte bleiben: dass Brot als Grundnahrungsmittel für Leute verfügbar ist, dass es eben kein Luxusprodukt wird. So wie das jetzt teilweise ist bei diesen fancy Bio Sourdough Bakeries, die überall aufploppen.

taz: Die Nachfrage nach Sauerteigbrot ist in Deutschland in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Sie setzen auch auf Sauerteig.

Redslob: Ja, aber wir wollen auch, dass die Leute, die Brot bekommen, ihren Anteil dazu beitragen, dass der ganze Betrieb rund laufen kann. Das haben wir in einem Aufruf formuliert und Sarah und Jonathan haben sich sofort gemeldet.

taz: Der solidarische Gedanke ist, dass manche mehr und manche weniger für einen Brotanteil zahlen. Geht das auf?

Werner: Ja. Es gibt sieben Beiträge, zwischen denen man wählen kann, sie liegen zwischen 22 und 32 Euro im Monat. Die Laufzeit für eine Mitgliedschaft sind mindestens drei Monate. Es sind inzwischen etwa 220 Anteile, wobei manche Personen auch mehrere Anteile haben. Wenn wir ab und zu mal reingucken, wer wie viel bezahlt, dann kommen wir eigentlich immer bei dem Durchschnittswert raus.

Redslob: Allerdings bräuchten wir noch mehr Abnehmer:innen. Gerade können wir uns nur finanzieren, weil wir auch noch an Cafés und Caterings liefern. Der Rest kommt über den Samstagsmarkt rein.

taz: Und können Sie vom Brotbacken leben?

Werner: Im ersten Jahr konnten wir uns aus einer Gründerförderung einen kleinen Lohn auszahlen. Seit vergangenem Jahr können wir dreitausend Euro im Monat freimachen, die wir unter uns vier aufteilen. Wir arbeiten alle unterschiedlich viel, manche 30, manche 12 Stunden oder weniger. Wir orientieren uns inzwischen an einem Stundenlohn von 14 Euro, aber zahlen nicht nur stumpf Stunden aus. Wir haben überlegt: Wer braucht was? Ich habe zum Beispiel auch noch einen anderen Job, der mir meine Versicherungen bezahlt.

Redslob: Unser Modell ist irgendwas zwischen Einheitslohn und bedürfnisorientiert. Ich glaube, das funktioniert, weil wir so ein kleines Kollektiv sind und uns die Zeit nehmen können, das immer mal wieder auszuhandeln.

taz: Gab es in Ihrem Kollektiv schon mal Streit über Geld oder den Schichtplan?

Werner: Nein, eigentlich echt nicht. Wenn, dann reden wir darüber.

Redslob: Wir haben uns auch von Anfang an von einer Supervisorin begleiten lassen. In zwei Wochen haben wir den nächsten Termin.

taz: Vielleicht sind Sie so entspannt, weil Sie ausschlafen können?

(beide lachen)

Erste Hilfsmittel beim Backen
Sarah Werner und Jona Redslob

Die Menschen

Sarah Werner, Jahrgang 1988, und Jona Redslob, Jahrgang 1990, haben sich nach ihrer Bäckerausbildung zusammengetan, um anders zu arbeiten. Zum Kollektiv gehören Jonathan Wolf und Kai Steins. Zu viert gründeten sie 2023 die Gemeinschaftsgetragene Bäckerei Ge:Bäck in Leipzig.

Die Bäckerei

Das Projekt orientiert sich an der Idee der solidarischen Landwirtschaft. Feste Abnehmer:innen bekommen gegen einen monatlichen Beitrag jede Woche ein Brot. Es sind noch Anteile frei. Außerdem verkaufen die vier immer samstags von 9 bis 14 Uhr Brot durchs Fenster ihrer Backstube in der Plagwitzer-Markthalle, Markranstädter Straße 8, in Leipzig.

Redslob: Wenn Leute erzählen, dass sie früh aufstehen, weil sie meinetwegen um 6 Uhr anfangen müssen zu arbeiten, dann sage ich jetzt gerne: Ach, bin ich froh, dass ich Bäcker geworden bin! Wir fangen unter der Woche meistens um acht an und nur für den Markt, der um neun losgeht, um 6.30 Uhr. Also sehr human.

taz: Warum können Sie das mit diesen Arbeitszeiten machen?

Werner: Weil wir hier vor allem Brot backen und nur einmal die Woche für den Markt Brezeln, Dinkelseelen und Zimtschnecken. Aber wir bedienen nicht den Frühstücksmarkt und müssen nicht um 6 Uhr morgens ofenfrische Brötchen servieren. Und wir haben keinen Ladenverkauf, sondern liefern die Brote an Abholstationen. Das reicht dann, wenn die Brote am frühen Nachmittag fertig sind. Dann können die Leute zum Feierabend ihr frisches Brot abholen.

taz: Kommt es auch mal vor, dass Leute ihren Anteil nicht abholen?

Redslob: Ja, es kommt vor, dass die am nächsten Tag an die Backstube ans Fenster klopfen: Ich habe es gestern nicht geschafft, kann ich mein Brot haben?

Werner: Aber eigentlich bleibt nicht so viel über.

Redslob: Das ist das Schöne an unserem Konzept. Wir backen halt eigentlich immer nur genau so viel, wie auch gebraucht wird. Jedenfalls unter der Woche. Vom Markt bleibt manchmal was über, aber viel weniger als in anderen Betrieben, wo oft Unmengen Backwaren weggeschmissen werden. Wir haben jetzt auch angefangen, aus dem Altbrot wieder neues Brot zu machen. Das verbessert die Frischhaltung, aber auch den Geschmack. Du hast eine schöne braune Kruste, wo schon viel Aroma drinsteckt vom ersten Backprozess, und dann machst du es wieder in Teig.

taz: Lecker.

Redslob: Ja.

taz: Sie sind die einzigen beiden ausgebildeten Bä­cke­r:in­nen im Kollektiv. Herr Redslob, Sie haben sogar einen Meister, was auch Voraussetzung dafür war, die Bäckerei zu eröffnen. Müssen Sie den anderen beiden mal was erklären?

Redslob: Ich würde sagen, handwerklich merkt man inzwischen kaum einen Unterschied. Kai und Jonathan sind echt fit.

Werner: Das einzige, wo wir beide sagen, da merkt man, dass sie noch nicht im Betrieb waren, ist das Thema Sauberkeit und Ordnung. Wie man richtig den Boden schrubbt, die Arbeitsfläche hinterlässt. Das sind so Sachen, die kriegt man in der Ausbildung eingebläut.

taz: Gibt es Brote, die Sie besonders gern backen?

Werner: Ja, ich mag das Dunkle, ein Weizenmischbrot, am liebsten.

„Wenn Leute erzählen, dass sie früh aufstehen, weil sie meinetwegen um 6 Uhr anfangen müssen zu arbeiten, dann sage ich jetzt gerne: Ach, bin ich froh, dass ich Bäcker geworden bin! Wir fangen unter der Woche meistens um acht an“

Jona Redslob

Redslob: Ich auch!

Werner: Das ist einfach Teig, mit dem man was anfangen kann.

Redslob: Der lässt sich sehr schön aufarbeiten!

Werner: Den kann man so auseinanderziehen. Er fühlt sich geschmeidig an, da spüre ich am besten, wann der fertig ist. Alle anderen finde ich anstrengender.

taz: Welche sind das?

Werner: Die Vollkornbrote, die sind tricky. Ich kann da nie so richtig vorhersagen, wie das Brot am Ende wird. Und Roggenbrotteige sind meistens eine Sauerei, weil sie klebriger sind.

Redslob: Das liegt daran, dass ihr Gluten kein Klebernetzwerk ausbildet. Ganz anders sind die hellen Teige, da kann man so einen riesen Batzen raus aus der Knetmaschine holen (hebt die Arme über den Kopf und macht eine wuchtende Wurfbewegung) und auf den Tisch werfen! (beide lachen) Und die Roggenbrotteige, die kannst du nicht einfach rausziehen, sondern da gehe ich dann mit meinen Händen rein wie so eine Baggerschaufel und hebe Portion für Portion raus und alles bleibt kleben.

taz: Kann ich ein Praktikum bei Ihnen machen? Ich interessiere mich vor allem für die Zimtschnecken.

Werner: Klar! Wir haben auch gerade einen Praktikanten. Ohne den müsste Jonathan jetzt alleine in der Backstube stehen.

Redslob: Kommen Sie vorbei.

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