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Kulturstaatsminister Wolfram WeimerUnd das soll bürgerlich sein?

Auf die vehemente Kritik an seiner Nominierung als Kulturstaatsminister antwortet Wolfram Weimer in Interviews. Seine Äußerungen sind unglücklich.

Beschwichtigungsversuch: Wolfram Weimer, im Schatten Foto: Florian Gaertner

Nun lasst ihn doch erst einmal im Amt ankommen, wird einem gesagt. Ist die Redeweise vom Kulturkampf von rechts nicht allzu martialisch?, wird man gefragt. Und es wird einem gesagt, dass man die Nominierung von Wolfram Weimer zum Kulturstaatsminister cool nehmen solle.

Friedrich Merz musste, so geht dieser aparte Spin, wenn er schon mit den vielen neuen verabredeten Schulden den versprochenen radikalen Politikwechsel über Bord geworfen hat, der konservativen Seele zumindest symbolisch ein Beschwichtigungsangebot machen. Dieses Angebot sei halt Wolfram Weimer.

Nun gut. Die vehemente Kritik, die viele Menschen an dieser Personalie haben, sollte deutlich geworden sein, auch die der taz. An ihr ist nichts zurückzunehmen. Und man hätte das ja auch erst mal so stehen lassen können, wenn nicht die Interviews, die Wolfram Weimer zu seiner Verteidigung inzwischen gegeben hat, nicht schon wieder so verschwiemelt im Ganzen und irreführend im Besonderen wären. Zu ihnen zwei Anmerkungen, eine konkrete und eine allgemeine.

Die konkrete Anmerkung bezieht sich auf die Frage, ob sich Wolfram Weimer demografische Sorgen um die „Fortdauer des eigenen Blutes“ mache, was in der Tat, wenn es zutrifft, eine reaktionäre Denkweise ist. Im Hintergrund steht der bissige Kommentar Jürgen Kaubes zur Berufung Weimers. Der Feuilletonherausgeber der FAZ hatte einige markante Stellen aus Weimers Buch „Manifest des Konservativen“ aufgezählt und dabei kritisch erwähnt, Weimer mache „sich demografische Sorgen um die ‚Fortdau­er des eigenen Bluts‘ und die ‚biolo­gi­sche Selbst­auf­ga­be‘ Europas“.

Den Zusammenhang selbst verwischt

Im Stern wird Weimer nun darauf angesprochen. Und unser designierter Kulturstaatsminister antwortet: „Dieses Zitat ist völlig aus dem Zusammenhang gerissen. Ich beschreibe einen historischen Umstand, dass man früher in solchen Kategorien gedacht hat, aber gerade als Gegenentwurf zu unserem Denken.“ Nur stimmt das, was Weimer hier zur Verteidigung vorschützt, halt nicht.

Man kann den Zusammenhang ja nachlesen. Das Zitat fällt in einem Kontext, in dem das Verlöschen der „vitalen Kraft“ Europas beklagt wird, was immer das sein soll, und zwar ausdrücklich in positiver Anlehnung an Oswald Spenglers Schrift vom „Untergang des Abendlandes“.

Und dann heißt es: „Während Generation um Generation in einer Jahrtausende währenden Selbstverständlichkeit die Fortdauer der eigenen Familie, des eigenen Blutes, der Sippe, des Stammes, der Nation, der Kultur, der Zivilisation als einen heiligen Moment des Lebens begriffen hat, so bricht dieses Bewusstsein plötzlich in Scherben.“

An diesem Satz stimmt nichts. Das angeblich heilige Moment war immer Ideologie, es zu unterstellen sowieso eine Rückprojektion, und dass das Bewusstsein „plötzlich“ in Scherben geht, ist auch unwahr. Die Emanzipation des Individuums vollzog sich in langen symbolischen und politischen Kämpfen, in denen übrigens der Aufstieg des Bürgertums eine wichtige Rolle spielte. Egal.

Sippe, Blut, Nation

In einem hat Weimer allerdings recht. Er beschreibt wirklich einen angeblich historischen Umstand als Gegenentwurf zu „unserem“ Denken. Doch entscheidend ist: Er selbst ist es, der hier den Zusammenhang negiert. Denn aus dem Kontext wird ganz klar, dass er es bedauert, dass das alte Bewusstsein heute in Scherben liegt. Die Analyse, dass Europas Vitalität untergeht, kolportiert Weimer zustimmend. Und er selbst ist es, der dabei ausdrücklich Begriffe wie Sippe, Blut, Nation und Kultur ineinander übergehen lässt. Kaube trifft mit seiner Zusammenfassung die Aussage der Stelle also genau.

Was hat sich Weimer mit seiner abstreitenden Antwort gedacht? Er hätte sagen können: Oh, an der Stelle habe ich meine eigentliche Absicht nicht deutlich genug gemacht. Oder er hätte sagen können: Na ja, das Buch ist von 2018, womöglich war ich noch zu sehr von Thilo Sarazzins Deutschland-schafft-sich-ab-Thesen beeinflusst, die ich damals ins Europäische übertragen habe, davon distanziere ich mich inzwischen ausdrücklich. Hat er beides aber nicht getan.

Dazu zwei mögliche Erklärungsansätze. Entweder er glaubt: Wird schon niemand so genau nachlesen, und ich werde schon irgendwie damit durchkommen – Trump macht diese Taktik gerade im Weltmaßstab vor, und in den Talkshows, in denen Weimer viel sitzt, reicht sie als Ausweichmanöver ja auch meistens aus.

Oder, zweite Möglichkeit, er weiß selbst nicht so genau, was er da geschrieben hat. Dass kurz nach der Blut-Stelle eine Episode folgt, in der Weimer die nach 1945 unterbleibende räumliche Ausdehnung Europas als „Bedeutungsverlust“ beklagt und man als Leser also durchaus Blut-und-Boden-Assoziatio­nen haben kann, sei nur kurz erwähnt.

Er will Teil der Mitte sein

Damit zur allgemeinen Anmerkung zu Weimers Selbstverteidigungen. In dem Stern-Interview verortet sich Wolfram Weimer im „breiten Raum der bürgerlichen Mitte“. In einem Hintergrundgespräch mit der dpa sagt er es ausdrücklich: „Ich bin ein Mann der bürgerlichen Mitte.“ Dass er sich selbst so sehen möchte, kann man ihm abnehmen. Doch sagen wir es so: Wenn er Teil der Mitte sein will, hat er sich als Autor in der Vergangenheit äußerst ungeschickt verhalten.

Weiß Weimer denn nicht, was es heißt, sich affirmativ auf die Lehre vom weltweiten Kampf in sich geschlossener „Kulturkreise“ zu beziehen, wie er das in seinem „Konservativen Manifest“ tut? Die AfD redet so, Putin redet so, teils auch Trump – und bald nun auch ein Mitglied der Bundesregierung? Hat Weimer vergessen, dass er die „Zersetzung des öffentlichen Diskurses durch Ressentiments“, die er in dem dpa-Gespräch den Rechtspopulisten ankreidet, selbst umfangreich betrieben hat?

Dass er als diskursive Gegner „Linke und Rechtspopulisten“ auf eine Stufe stellt, ist das eine; dass er die Reihe verunglimpfend mit „Gutmenschen-Bevormunder und moralische Besserwisser“ fortsetzt, das andere. Das soll kein Ressentiment sein?

Und schließlich: Meint Weimer jetzt verwischen zu können, dass seine Verunglimpfungen des Multikulturalismus und seine Loblieder auf Vaterland, Familie und Glauben, die er in dem „Manifest des Konservativen“ und Kolumnen angestimmt hat, sich eindeutig gegen die Fundamentalliberalisierung der bundesdeutschen Gesellschaft richten, die ein selbstbestimmtes Leben in Deutschland erst möglich gemacht haben?

Heteronormative und biedermeierliche Vorstellungen

Tatsächlich ist sein Begriff von Bürgerlichkeit zusammengeträumt. Wenn man Weimer als Kulturstaatsminister ernst nehmen soll – und sei es eventuell dann eben als Gegner –, sind jedenfalls keine allgemeinen Floskeln, sondern konkrete Standortbestimmungen nötig. Und man muss sich von ihm nicht ausreden lassen, dass die Mitte unserer Gesellschaft sehr viel lebensweltlich liberaler, bunter, durcheinandergewürfelter und freier ist, als er es gut findet.

Womöglich merkt er gar nicht, wie vehement er alles ausschließt, was von seinen heteronormativen und dabei biedermeierlich im schlechten Sinn wirkenden Vorstellungen abweicht. Und wie sehr seine Beschreibung der gesellschaftlichen Gegenwart daran krankt.

Ein Wort noch zum Kulturverständnis. Der dpa gegenüber behauptet Weimer, Menschen, die lieber Thomas Mann als Bert Brecht lesen, würden „in die rechte Ecke“ gestellt. Dass Thomas Mann aktuell als antifaschistischer Kämpfer entdeckt wird, hat Weimer offenbar noch nicht mitbekommen. Er hätte es benutzen können, um seiner Versicherung, gegen die AfD zu sein, Glaubwürdigkeit und Substanz zu verleihen.

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1 Kommentar

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  • Alle die jetzt ein Problem mit Wolfram Weimer als Kulturstaatsminister haben hatten hoffentlich auch eins mit Claudia Roth als diese berufen wurde - schließlich ist sie zeitlebens keinesfalls weniger kulturkämpferisch unterwegs: "Wir haben eine multikulturelle Gesellschaft in Deutschland, ob es einem gefällt oder nicht (…) die Grünen werden sich in der Einwanderungspolitik nicht in die Defensive drängen lassen nach dem Motto: Der Traum von Multi-Kulti ist vorbei." - Claudia Roth.



    Roth war offensiv links, nun folgt halt Weimer der offensiv rechts agiert.



    Die Union würde sich ja selbst ein Bein stellen, hätte sie einen progressiven Geist für dieses Amt berufen... - wer darin einen Skandal sieht 🤷‍♂️