: Mit dem Klemmbrett gegen Werbung
Die Initiative „Hamburg werbefrei“ hat mit dem Sammeln von Unterschriften begonnen. Beim Start vor dem Bahnhof Altona war sogar ein Bus von Mehr Demokratie dabei
Von Daniel Wiese
Es ist, als hätten manche nur darauf gewartet, dass es endlich losgeht, vielleicht auch befeuert durch die Plakate, mit der die Initiative „Hamburg werbefrei“ für ihr Anliegen wirbt. Seit Wochen hängen sie in der Stadt, so auch hier, vor dem Einkaufszentrum in der Ottenser Hauptstraße. Jetzt, zum Start der Unterschriftensammlung, steuert ein Mann mit kurzem Bart auf einen der Stehtische zu. Die Werbung auf der Straße empfinde er als aggressiv, meint er, „sie trifft einen hier“, er zeigt auf seine Brust. Klar, dass er unterschreibt.
Es ist der erste Tag, an dem die Initiative Unterschriften auf der Straße sammelt. In weißen Westen, die das Design ihrer Anti-Werbungsplakate aufnehmen, stehen die Freiwilligen da. Oft kommen Passant*innen von selbst zu ihnen, manchmal entsteht ein kleines Gedränge, weil es mehr Interessenten als Freiwillige gibt.
Mehrere Radio- und Fernsehsender filmen. Als Blickfang steht im Hintergrund ein weißer Doppeldeckerbus mit der Aufschrift „Omnibus für Direkte Demokratie“. Davor steht, barfuß und in Rosa, ein älterer Herr mit sehr wachen blauen Augen. Werner Küppers ist der Busfahrer und noch viel mehr: Er lebt in dem Bus und fährt damit seit Jahren durch Deutschland, von Einsatzort zu Einsatzort. Diese Woche ist er in Ottensen, nächste Woche in Moorburg.
Die Sache sei doch völlig klar, meint Küppers, dessen Spitzname „Flamingo“ lautet. Jeder, der sich damit beschäftige, müsse gegen die Werbeflut auf öffentlichen Plätzen und Straßen sein. Man lasse sich doch nicht freiwillig manipulieren! Wie zum Beweis wechselt auf einer der Werbetafeln, die vor dem Einkaufszentrum stehen, das Bild. Kurz wandern die Blicke hin.
Über 2.700 digitale und/oder beleuchtete Werbescreens gibt es mittlerweile in Hamburg. Seit der Coronapandemie sind es mehr geworden. Auf ihrer Website demonstriert die Initiative mit Vorher-nachher-Bildern, wie die Stadt aussehen würde, wenn ihr Volksbegehren durchkäme: Die digitalen Screens würden bis auf wenige Ausnahmen ganz verschwinden, ebenso die Werbeflächen, die die Aussicht verstellen oder sonst das Stadtbild stören.
Für die Stadt Hamburg gingen damit Einnahmen in zweistelliger Millionenhöhe verloren. Der Senat verweist zudem auf die Werbewirtschaft, die Schaden nehmen würde, käme das Volksbegehren durch. Sein Versuch, die Sache vor dem Hamburgischen Verfassungsgericht zu Fall zu bringen, ist allerdings gescheitert – der Gesetzentwurf der Initiative ist, mit nur kleinen Änderungen, zulässig, urteilten die Richter*innen.
Knapp 66.000 Unterschriften wären nötig, damit das Volksbegehren durchkommt, 80.000 Unterschriften hat die Initiative angepeilt. Dass sie das schafft, ist gar nicht so unwahrscheinlich, wie ein Besuch in ihrem Hauptquartier zeigt. Es liegt im Gängeviertel neben einem Café, vor dem auf Holzbänken schläfrige junge Menschen sitzen. Drinnen, in dem winzigen Raum der Initiative, herrscht Betriebsamkeit. Laptops sind aufgeklappt, Stapel von noch leeren Namenslisten und Taschen mit Stimmensammler-Kits warten auf ihre Abholung.
Und sie werden abgeholt, erst von einem Mann mit Lederhose und kariertem Hemd, der mit den Aktivist*innen im Raum über den Namen der Initiative diskutiert. „Hamburg werbefrei“, die politisch aktiven Leute wüssten ja Bescheid, aber den anderen müsse man das schon erklären. „Fast werbefrei“ sei wohl treffender, meint er und zieht mit einer Tasche ab, nachdem er sich als Helfer hat registrieren lassen.
Später kommt noch ein Herr in braunem Cord, der als ehemaliger Grundschulleiter vorgestellt wird. Auch er möchte sammeln. 450 Leute hätten sich bereits als Sammler*innen registriert, sagt Martin, der Pressesprecher der Initiative. 170 seien sie in der Signal-Chatgruppe, an 3.000 Menschen gehe der Newsletter. Aber ein Selbstläufer sei es nicht, man müsse für den Erfolg schon was tun.
Aktivist*in Sarah ist aus Berlin angereist, wo es die Schwester-Initiative schon seit 2018 gibt. Das Problem sei ihr bewusst geworden, nachdem die Brandmauern in Berlin zu riesigen Werbeflächen umgestaltet worden waren, sagt sie. Dazu sei dann die Zunahme der beleuchteten Screens gekommen. In Berlin ist das Verfahren durch die langsam mahlenden Mühlen des dortigen Senats aufgehalten worden. Nächstes Jahr wird dann aber auch in der Hauptstadt abgestimmt.
Wie es in Hamburg weitergeht, ist noch nicht klar. Übernimmt der Senat das Volksbegehren nicht, stünde ein Volksentscheid an, bei dem mindestens 20 Prozent der Wahlberechtigten für den Gesetzentwurf der Initiative stimmen müssten. Gleichzeitig laufen Ende kommenden Jahres die Verträge der Stadt mit den Werbefirmen Ströer und JCDecaux aus, die die Außenwerbung nicht nur in Hamburg, sondern deutschlandweit unter sich aufgeteilt haben.
Das sei gar nicht so schlecht, meinen die Aktivist*innen von „Hamburg werbefrei.“ Mit einem drohenden Volksentscheid im Rücken könnte der Senat nicht gut verhandeln.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen